Die Netflix-Serie "Bridgerton" gilt als Musterbeispiel für inklusive Schauspiel- und Unterhaltungskunst: im Bild Phoebe Dynevor und Regé-Jean Page.

Foto: Netflix

Amazon Studios ist neben Netflix und Disney+ ein neuer Gigant am Unterhaltungshimmel – der umstrittene Kauf des klassischen Hollywoodstudios MGM für 8,45 Milliarden Dollar hat das klar gezeigt. Jetzt hat Amazon Studios mit dem "Inclusion Playbook" der Inklusionsbeauftragten Latasha Gillespie eine gleichermaßen umjubelte wie kritisierte neue Richtlinie geschaffen, die Diversität, Verteilungsgerechtigkeit und Inklusion bei den von ihnen finanzierten Film- und Serienproduktionen umsetzen will.

Das Inklusions-Playbook definiert die Regeln des Spiels neu. Nicht länger sollen Produktionen mehrheitlich von weißen, großteils männlichen Produktionsteams getragen werden – es soll mithilfe von Quoten Abwechslung vor und hinter der Kamera geschaffen werden. Neben der Arbeitsbiografie ist künftig auch die "gelebte Erfahrung" bei Jobvergaben ausschlaggebend, die identitätspolitisch an Ethnie, Geschlecht und sexuelle Orientierung gebunden wird.

Vergessene Frage

Konkret sollen von nun an 30 Prozent Frauen und 30 Prozent Angehörige minderheitlicher ethnischer Gruppen bei Amazon-Studio-Produktionen beschäftigt werden. Dass hierbei – ganz amerikanisch – Klassenfragen vergessen werden, entspricht ganz der liberalen Ideologie eines Konzerns, der Gewerkschaftstreffen verbietet. Abgesehen davon ist der Vorstoß Amazons, das Arbeitsumfeld zu diversifizieren und dabei auf gleiche Bezahlung zu achten, der Ausdruck einer politischen Forderung nach Repräsentation und nach Arbeitsplätzen. Beide Anliegen sind – wie die jüngsten Hollywood-Diversitätsreporte der University of California zeigen – nicht unbegründet. Es ist schlichtweg Fakt, dass bestimmte soziale, ethnische und geschlechtliche Gruppen in Filmproduktionen stark unterrepräsentiert sind, was der derzeitigen US-amerikanischen Bevölkerungsverteilung von knapp 60 Prozent weißen und 40 Prozent nichtweißen Menschen widerspricht.

Der bis weit in die 2000er-Jahre praktizierte systematische Ausschluss nichtweißer Schauspielerinnen und Schauspieler wurde erst 2015 mit #OscarsSoWhite aufs Korn genommen. Veränderungen griffen Platz. Sie zeitigten positive Auswirkungen auf Preispolitiken, auf die Zusammensetzung von Film- und Serienproduktionen sowie auf die Oscar-Academy. Das Amazon-Inklusions-Playbook ist da die – von der Chefetage empfohlene – arbeitspolitische Umsetzung der Forderung nach Inklusion, Gleichbehandlung und Diversität in der US-amerikanischen Unterhaltungsbranche.

So weit so gut. Der eigentliche Stein des Anstoßes ist aber, dass künftig auch die sexuelle Orientierung bei Stellenvergaben vor und hinter der Kamera berücksichtigt werden soll. Damit wird, so die Befürchtung, zu sehr in die Privatsphäre eingegriffen.

Berechtigte Kritik

Das ist berechtigte Kritik. Doch gern wird dabei vergessen, dass im Schauspielberuf die Grenze zwischen privat und öffentlich seit jeher durchlässig ist. Weshalb es nicht erst seit Social Media besonderer Fähigkeiten bedürfte, die eigene sexuelle Orientierung vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.

Zudem ist mittlerweile die Abgrenzung zur heterosexuellen Norm zum Identifikationsmerkmal und zum Politikum geworden, weshalb Amazon die Richtlinie mit dem Ruf der LGBTQI+-Community nach mehr glaubhaften Identifikationsfiguren auf der Leinwand rechtfertigt.

Filme über Homosexuelle haben nämlich einen faden Beigeschmack, seitdem Tom Hanks 1993 in Philadelphia einen Oscar bekam, weil er derart glaubwürdig eine tragische, homosexuelle Persona verkörpern konnte.

"Homosexuell" spielen steht nun als Starvehikel für heterosexuelle Schauspielerinnen in der Kritik. Denn, so die Begründung, das unterscheide sich nicht groß von den 1940er-Jahren, als Schauspielerinnen wie Luise Rainer oder Katharine Hepburn für die ihre Darstellung von chinesischen Bauernmädchen mit Preisen gesegnet wurden. Die Logik, dass es schwer sein muss, als heterosexuelle bzw. nichtasiatische Person einen Homosexuellen oder eine Asiatin zu spielen, zieht nicht länger. Was gutes und glaubhaftes Schauspiel ausmacht, steht damit zur Diskussion.

Das Amazon-Playbook propagiert einen Authentizitätsbegriff, der eher an dokumentarische Praktiken als an Method-Acting angelehnt ist. Die Schauspielerin solle möglichst in sexueller Orientierung und ethnischer wie auch in geschlechtlicher Zugehörigkeit der Rolle, die sie spielt, entsprechen. Tut sie das nicht, ist das zumindest diskussionswürdig. Doch diese Forderung tritt nur in Kraft, wenn die Story ein authentisches Porträt sein will – will sie das nicht, ist lediglich auf die Vermeidung von Stereotypen und auf eine möglichst diverse Besetzung zu achten. Eine Besetzungspraktik, die andere Studios wie A24 oder Netflix ganz ohne Richtlinie mit The Green Knight (2021) oder Bridgerton (2021) bereits erfolgreich umgesetzt haben.

Neue Spielregeln

Schließlich bleibt das Playbook eine Empfehlung, wie das Spiel künftig zu spielen ist, und bietet Raum für Diskussion und selbstständige künstlerische Entscheidungen. Inklusion bejahende Verbände, wie der körperlich beeinträchtigten Schauspielerinnen und Schauspieler, beklatschen Gillespies Vorstoß euphorisch. Wohingegen konservativere Stimmen, nicht weiter verwunderlich, das Ende der Schauspielkunst und die Diktatur der Woke-Kultur wittert.

Das eigentlich Spannende wird aber sein, die Resultate dieser Policy auf den Bildschirmen und Leinwänden zu sehen. Denn eignet man sich das Argument der Kritiker an, so sollte die Qualität eines Kunstwerks nicht an dessen Entstehungsbedingungen gemessen werden – seien die nun inklusiv oder nicht. (Valerie Dirk, 18.8.2021)