Hochwasser in Bayern im Sommer 2021, bis zu sechs Zentimeter große Hagelkörner gehen zu Boden: Die Extremereignisse werden häufiger.

Foto: Imago / Bernd März

Nach der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli 2021 mit mehr als 220 Todesopfern und gewaltigen finanziellen Schäden forderte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen "Klimaruck" für Deutschland. Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU, verlangte mehr Tempo beim Klimaschutz. Dass der Klimawandel zu einer Zunahme extremer Wetterereignisse und damit auch zu verstärktem Auftreten von Hochwassern führt, ist also auch in Kreisen angekommen, die sich bisher nicht so sehr für den Klimaschutz eingesetzt haben.

Die Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung haben vor 15 Jahren in ihrem Übersichtswerk Der Klimawandel (Verlag C.H. Beck Wissen) darauf hingewiesen, dass Wetterextreme wie Hitze oder Starkregen im Zuge der Erderwärmung gehäuft auftreten werden, weil die Luft mit jedem Grad Erwärmung sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen und dann abregnen kann.

In der Neuauflage 2018 schreiben sie, inzwischen würden Messdaten nachweisen, dass Extremniederschläge zunehmen. Werden damit auch Hochwasser verstärkt auftreten, und wird das ganz Europa betreffen?

Mit dieser entscheidenden Frage beschäftigt sich der Hydrologe Günter Blöschl vom Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie der TU Wien seit vielen Jahren. Die kurze Antwort der umfangreichen Forschung dazu lautet: Es ist komplex. Denn die Klimaveränderung führt zu einer Zunahme und zu einer Abnahme der Hochwasserereignisse in Europa – je nach Region.

Tausende Messstellen

Bisherige Studien waren nicht in der Lage zu erkennen, ob es im Zuge des Klimawandels zu einer Zunahme an Hochwassern in Europa kommt, weil die räumliche Abdeckung durch die und die Anzahl der hydrometrischen Stationen nicht ausreichend waren.

Ein großes Team von Forscherinnen und Forschern rund um Günter Blöschl konnte jedoch in den vergangenen zehn Jahren mithilfe einer Förderung des Europäischen Forschungsrats ERC die bisher größte Datensammlung zu Hochwasserereignissen in Europa erstellen und damit Neuland betreten.

Das Team hat meteorologische und hydrologische Daten von tausenden Messstellen sowie Daten über Bodenfeuchte und Schnee aus der Fernerkundung zusammentragen und in Beziehung gesetzt. Dazu kamen historische Aufzeichnungen über Hochwasser, die eine Historikerin in Archiven gesucht und ausgewertet hat. All diese Daten wurden zueinander in Beziehung gesetzt und Wahrscheinlichkeiten errechnet. Durch die Zusammenführung der Daten seien plötzlich räumliche Muster aufgetaucht, die vorher nicht sichtbar waren, sagt Blöschl.

Extremwetter in kalter Zeit

Interessanterweise hat die Langzeitbetrachtung gezeigt, dass in den vergangenen rund 500 Jahren Hochwasser vor allem in kalten Perioden aufgetreten sind, und nicht in warmen. Die Klimaerwärmung verändert jedoch die Wetterlagen in Europa (und weltweit), und das dürfte indirekt zu häufigerem Hochwasser in den vergangenen Jahrzehnten geführt haben.

Die Ergebnisse der umfangreichen Forschung deuten darauf hin, dass in den vergangenen 50 Jahren zunehmende Herbst- und Winterniederschläge einen Anstieg der Überschwemmungen in Nordwesteuropa bewirkt haben. In mittleren und großen Flusseinzugsgebieten in Südeuropa hingegen sind die Hochwasser aufgrund abnehmender Niederschläge und zunehmender Verdunstung zurückgegangen.

Eine abnehmende Schneedecke und Schneeschmelze aufgrund wärmerer Temperaturen sind für einen Rückgang der Hochwasser in Osteuropa verantwortlich. Die regionalen Trends reichen dabei von einer Zunahme von rund elf Prozent pro Jahrzehnt bis zu einer Abnahme von 23 Prozent.

Hochwasser werden zunehmen

"Ungeachtet der räumlichen und zeitlichen Heterogenität der Beobachtungen stimmen die festgestellten Hochwasserveränderungen weitgehend mit den Klimamodellprojektionen für das nächste Jahrhundert überein, was darauf hindeutet, dass klimabedingte Veränderungen bereits im Gange sind, und die Forderung nach einer Berücksichtigung des Klimawandels beim Hochwasserrisikomanagement unterstützt", schrieben die Forscherinnen und Forscher im September 2019 im Fachjournal Nature.

Auch die Hochwasserereignisse vom Juli 2021 würden zu den Ergebnissen dieser Forschung passen, ergänzt Günter Blöschl im Gespräch. In Österreich werden Hochwasser in Zukunft nördlich der Alpen zunehmen. Die zuständigen Behörden von Bund und Ländern würden die Ergebnisse seiner Forschung aber wahrnehmen und in die Planungen für die Verbesserung des Hochwasserschutzes einfließen lassen.

Aus der Vergangenheit lernen

Wichtig sei es, aus Hochwasserereignissen zu lernen, sagt Blöschl. Im deutschen Bundesland Sachsen sei der Hochwasserschutz nach den leidvollen Erfahrungen in den Jahren 2002 und 2013 verbessert worden, andere Regionen in Deutschland hätten daraus aber nicht für sich gelernt beziehungsweise das Gelernte nicht umgesetzt.

"Wenn die Menschen vergessen, dass es ein Hochwasser gegeben hat, ist es schwer, Maßnahmen durchzusetzen", so der Hydrologe. Helfen könnten dabei Prognosen für die Folgen des Klimawandels.

In einem internationalen Forschungsprojekt über die langfristige Variabilität extremer Hochwasserereignisse, einer Kooperation von Instituten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, wird Günter Blöschl weiter an diesem Thema arbeiten, finanziert vom Wissenschaftsfonds FWF. Die Gruppe in Wien wird die langfristigen Zyklen erforschen, jene in Stuttgart beispielsweise die räumliche Verteilung und die in Frankfurt die Kopplung mit dem Ozean. (Sonja Bettel, 18.8.2021)