Maurizio Pollini.

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Vier seiner unbotmäßigsten Kinder nannte Robert Schumann die vier Sätze des op. 35 von Frédéric Chopin und hielt die Bezeichnung "Sonate" für einen schieren Witz. Schumann hat Chopins Sonate für Klavier Nr. 2 b-Moll aber auch nie in der Lesart von Maurizio Pollini gehört. Ein bewegendes Tondokument, keineswegs aus dem Phonomuseum – mag sich der Pianist auch seinem Achtziger nähern.

Pollini spannte einen souveränen Bogen. Die ungezogenen Kinder mögen ja tatsächlich alle ein bisserl bipolar sein. Aber der erste Satz trägt das "doppio" offen in der Satzbezeichnung – und an Haupt- und Seitenthema laboriert bald einmal ein Sonatensatz. Pollini entwickelte aus den Gegensätzen von unruhevoll pochenden und gelöst singenden Momenten eine enorme Spannung.

Dem bockigen Scherzo ließ er kundig die Zügel schießen, mit dem gesanglichen Trio "più lento" öffnete er seinem Auditorium quasi einen Blick auf einen Sonnenuntergang am Meer. Die vielgestaltigen Trauermonumente des Marche funèbre gestaltete Pollini mit den feinsten Werkzeugen. Wie bedrohlich grollend und dabei präzise artikuliert er etwa die tiefen Triller.

Mit dem kurzen Sturm des Presto-Finale fegte Pollini alles Liebliche hinweg – um es mit der Berceuse Des-Dur op. 57 verklärt wiegend zurückkehren zu lassen. Bei den rasanten Oktavenläufen im Diskant in der Polonaise As-Dur op. 53 "Héroïque" war zwischendurch kollektives Daumenhalten angesagt. Die Kraftanstrengung war hör- und spürbar, aber im nächsten Moment schon wieder vergessen: Ein Epos mit einem angeschlagenen Helden ist allemal aufregender als ein stromlinienförmiges.

Eröffnet hat Maurizio Pollini sein Solistenkonzert im Haus für Mozart mit einer vielgestaltigen Lesart von Robert Schumanns Arabeske C-Dur op. 18 und der Fantasie C-Dur op. 17, deren Langatmigkeiten Pollini nicht aus der Welt schaffen konnte. Vielleicht hätte der Franzose zum Werk des Deutschen gesagt, "wenig aufgeweckte Kinder", trat aber dann ohnedies selbst auf den Plan. (klaba, 18.8.2021)