Beinahe das Einzige, was die türkisen Mitglieder der Bundesregierung an Afghanistan interessiert, ist die Frage, ob wir einen neuen Zustrom von afghanischen Flüchtlingen zu erwarten haben.

Es ist allerdings auch fast das Einzige, was einen Großteil der österreichischen Bevölkerung interessiert. Daher soll hier versucht werden, realistisch einzuschätzen, wie sich die Lage entwickeln könnte und was eine österreichische Regierung gegebenenfalls unternehmen könnte.

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Afghanische Bürger am Flughafen von Kabul.
Foto: AP

Das ist keine Abwertung jener sehr vielen Österreicher, die Mitleid mit den Opfern der Taliban haben und/oder sich für sie einsetzten. Aber es gab Gewalttaten, und ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung dürfte unter Mitleidsermüdung leiden. Selbst wenn die Bundesregierung einige Tausend echt gefährdete Personen (Frauen) aufnehmen wollte (wofür es überhaupt keine Anzeichen gibt), wird das politisch Schwierigkeiten machen.

Die Regierung (Innenminister Nehammer, Außenminister Schallenberg, Kanzler Kurz ist auf Urlaub) hat nur eine vage Vorstellung, wie eine große Flüchtlingswelle zu verhindern ist. Mit einem großen Aber: Vielleicht lassen die Taliban gar niemanden hinaus. Aber man muss auf alles vorbereitet sein.

Türkiser Plan

Der einzige bisher gangbare Weg, große Zahlen von Flüchtenden beziehungsweise Migranten abzuhalten, ist, sie in ihren Absprungsländern (wie der Türkei) festzuhalten. Und zwar indem man diese Länder dafür bezahlt, dass sie die Flüchtenden nicht weiterlassen. Das hat im Fall des Abkommens Merkel/Erdoğan seit 2016 halbwegs funktioniert. Erdoğan lässt viel weniger Flüchtende in die Boote in der Ägäis und bekommt dafür Milliarden Euro – um ihm die Kosten für die Versorgung der rund 3,5 Millionen Syrer und 500.000 Afghanen (!), die er im Land hat, zu ersetzen. Ähnliches gibt es mit Marokko. Und mit Libyen, wobei dort die "Partner" der EU allerdings kriminelle Banden sind.

Nehammer und Schallenberg reden nun davon, in den Nachbarstaaten Afghanistans (Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan) "Abschiebezentren" für abgelehnte Asylwerber einzurichten. Das sind zentralasiatische autoritäre Regime voll Korruption und Gewalt. Aber der Schluss liegt nahe, dass der türkise Plan lautet, die EU möge diese Staaten dafür bezahlen, überhaupt alle Flüchtlinge aus Afghanistan dortzubehalten – nach dem EU/Türkei-Modell. Dieses Modell haben Kurz und Co zwar jahrelang schlechtgeredet und sich mit der "Schließung der Balkanroute" gebrüstet, aber ein besserer Plan ist nicht in Sicht. Allerdings braucht man für die Idee eine zahlende EU und ein noch größeres Vertrauen in die Natur dieser Regime, als man es bisher Erdoğan entgegengebracht hat (der kann sich einen totalen Bruch mit der EU nicht leisten). Überdies fehlt in der Rechnung der Iran, woher die meisten Afghanen nach Europa kommen. Erdoğan baut bereits an einer Mauer zum Iran, weil auch die Aufnahmefähigkeit der Türkei zu Ende geht.

Wenn es mit Tadschikistan und Co zu einem solchen Deal kommt, dann sitzen die Afghanen im schlechtesten Fall dort in Elendslagern fest, im besten Fall können sie sich ansiedeln. Das wird ohne großes Leid nicht abgehen. Aber Europa will keine Afghanen mehr. (Hans Rauscher, 17.8.2021)