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Zu wenig Wissen, ungenaue Informationen oder auch gezielte Falschinformationen, geteilt etwa in sozialen Netzwerken, sorgen immer wieder für Unsicherheit im Zusammenhang mit der Sars-CoV-2-Infektion und der Impfung dagegen. Grund genug, die gängigsten Mythen einmal unter die Lupe zu nehmen und im Überblick aufzuklären.

Ich habe keine Symptome, also kann ich auch niemanden mit Sars-CoV-2 infizieren

Ob man Symptome hat oder nicht, ist nicht entscheidend für eine Weitergabe des Virus, sondern die Viruslast, die man ausscheidet. Das deutsch Robert-Koch-Institut (RKI) betont, dass auch im Zeitraum vor dem Auftreten von Symptomen eine hohe Infektiosität besteht. Tatsächlich steckt sich ein relevanter Anteil von Personen innerhalb von ein bis zwei Tagen bei bereits infektiösen, aber noch nicht symptomatischen Personen an. Genaue Zahlen gibt es leider nicht, da in vielen Studien der "Symptombeginn" nicht oder nicht ausreichend definiert ist.

Die Dauer von der Ansteckung bis zum Beginn der eigenen Ansteckungsfähigkeit ist variabel. Beobachtungen zeigen jedoch, dass dieses Intervall sehr kurz sein kann und etwa zur Ansteckung anderer Personen am Tag nach der eigenen Infektion, möglicherweise sogar am selben Tag führen kann.

All das verstärkt sich durch die Delta-Variante, deren Viruslast bis zu 1.000-mal höher ist als beim Wildtyp. Besonders viele Viren sitzen außerdem im Rachenbereich. Beim Wildtyp etwa hat sich innerhalb der Familie eines Infizierten im Schnitt eine Person angesteckt. Durch Delta infizieren sich rund drei Familienmitglieder, wie der Kinderarzt und Leiter des Expertengremiums im oberösterreichischen Krisenstab, Tilman Königswieser, betont.

Tatsächlich eine untergeordnete Rolle bei der Weitergabe spielen vermutlich Personen, die zwar infiziert sind und auch infektiös, aber überhaupt keine Symptome entwickeln. Ihre Viruslast dürfte wirklich geringer sein. Es gibt jedoch keine Garantie dafür.

Ich kann mich nicht infizieren, weil ich zweimal geimpft bin

Die Impfdurchbrüche, also wenn man sich trotz vollständiger Impfung infiziert, sind das große Thema der vergangenen Tage. Tatsächlich zeichnet sich spätestens seit den klinischen Phase-3-Studien – der Wirksamkeitsprüfung – zu den Impfungen ab, dass das passieren kann.

Durch die infektiösere Delta-Variante nimmt der Schutz vor einer Infektion trotz Impfung deutlich ab, er beträgt nur noch zwischen 40, wie israelische Daten zeigen, und gut 80 Prozent, wie Daten aus Kanada und Großbritannien nahelegen. Was bedeutet das konkret? Besitzt ein Wirkstoff eine 80-prozentige Wirksamkeit gegen eine Infektion, heißt das nicht, dass sich zwei von zehn geimpften Probanden infizieren. Es heißt, dass die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, bei den Geimpften um 80 Prozent geringer ist als bei den Probanden der Kontrollgruppe, wie das Deutsche Science Media Center in einer Aussendung erklärt.

Relevant ist aber ohnehin der Schutz vor schweren Erkrankungen, und der beträgt in allen Studien auch für die Delta-Variante über 90 Prozent.

Der Impfstoff ist wirkungslos, weil man sich trotzdem infizieren kann

Das stimmt nicht, denn im Normalfall ist eine Infektion nach einer vollständigen Impfung ungefährlich und verläuft sehr leicht oder sogar symptomlos. Kommt es dennoch zu einem schweren Verlauf, betrifft das in erster Linie Menschen, die auch ohne Impfung Gefahr laufen, einen schweren Verlauf zu haben, also Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, weil bei ihnen die Immunantwort geschwächt ist.

Grund für Impfdurchbrüche ist ein schwaches Immunsystem, wie es Krebspatienten, Menschen mit Autoimmunerkrankungen oder transplantierten Organen oder auch ältere Personen haben. Deshalb sollen diese Risikopatienten auch bald einen dritten Stich bekommen, der die Zahl der Antikörper boostet.

Weiters sinkt die Zahl der Antikörper, je länger die Impfung zurückliegt. Und auch wenn der Abstand zwischen den beiden Impfungen kürzer war, dürften sich nicht so viele Antikörper gebildet haben. Das ist auch die wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass in Israel der Impfschutz stärker reduziert ist als in anderen Ländern. Dort hat der Abstand zwischen Erst- und Zweitstich drei Wochen betragen. In Kanada und Großbritannien waren es zwischen acht und zwölf Wochen, wie der US-amerikanische Kardiologe Eric Topol auf Twitter erklärt.

Und es gibt noch einen rein statistischen Grund für Impfdurchbrüche: Je mehr Menschen doppelt geimpft sind, desto mehr werden sich trotzdem anstecken. Das zeigen auch österreichische Zahlen: Von insgesamt 1.656 Impfdurchbrüchen laut Österreichischer Agentur für Ernährungssicherheit (Ages, Stand: 3. August, aktuellere Daten sind nicht verfügbar) entfallen alleine 738 auf den Juli, das ist fast jede elfte Erkrankung in diesem Monat. Diese Zahl wird vermutlich auch noch steigen.

Ich bin bereits an Covid erkrankt, deshalb brauche ich keine Impfung

Eine Covid-Erkrankung sorgt tatsächlich für Immunität, aber sie ist nicht so stabil wie jene nach einer Impfung. Die Menge der Antikörper ist auch, je nach Stärke der Erkrankung, sehr unterschiedlich. Eine Impfung boostet die Immunantwort und schützt auch besser vor Virusvarianten wie Delta.

Die Empfehlung des Sozialministeriums lautet dahingehend, dass man sich aufgrund der infektiöseren Delta-Variante bereits ab vier Wochen nach Genesung von einer Covid-Erkrankung impfen lassen kann. Eine einmalige Impfung reicht aus, auch wenn die Infektion mehr als acht Monate zurückliegt. Entsprechende Studien zeigen, dass in diesen Fällen eine Impfung einen vergleichbaren Schutz bietet, wie ihn nichtinfizierte, regulär geimpfte Personen erlangen. Dem wird mittlerweile auch im grünen Pass Rechnung getragen. Personen, die nach ihrer Genesung eine Impfung erhalten haben, haben dort "1/1" vermerkt, wie nach nur einem nötigen Stich mit dem Vakzin von Johnson & Johnson.

Ich lebe gesund und stärke mein Immunsystem, deshalb brauche ich keine Impfung

Immer wieder hört man das Argument, dass ein fittes Immunsystem mit Sars-CoV-2 gut fertigwerden könne. Das hat sich spätestens mit der Tatsache relativiert, dass auch gesunde, junge, fitte Menschen ohne Vorerkrankungen auf der Intensivstation gelandet sind. Das Immunsystem hat es hier mit einem völlig neuartigen Virus zu tun, gegen das es keine Hintergrundimmunität gibt, und entsprechend auch keinerlei Antikörper.

Dazu kommt die Gefahr von Long Covid, also Spätfolgen einer Infektion, die durch eine Überreaktion des Immunsystems hervorgerufen werden dürften und die auch nach leichter Erkrankung möglich sind. Besonders häufig sind davon Frauen in mittleren Jahren betroffen, wie etwa eine Studie an der University of Leicester zeigt.

Natürlich schadet es nicht, sein Immunsystem zu stärken, sei es durch gesunde Ernährung, Bewegung oder Vitamine. Dass das vor einer Corona-Infektion oder vor einem schweren Verlauf schützen soll, dafür gibt es aber keinerlei wissenschaftliche Evidenz.

Kinder erkranken ohnehin nicht schwer an Covid

Es stimmt, dass der absolut überwiegende Teil der infizierten Kinder einen leichten Verlauf hat, oft sogar einen symptomlosen. Trotzdem steigen die Fälle. Selbst bei den Kindern unter fünf liegt die Sieben-Tage-Inzidenz höher (26,3, Stand 16. August) als bei den über 84-Jährigen (17,9). Bei den Fünf- bis 14-Jährigen liegt die Inzidenz bei 83,8. Das zeigt bereits die positiven Auswirkungen der Impfung.

Und auch wenn Kinder äußerst selten schwer erkranken, ist es nicht ausgeschlossen. Dazu besteht die Gefahr von Long Covid. Laut einer österreichischen Studie mit 755 erkrankten Kindern von null bis 14 Jahre hatten einen Monat nach der Erkrankung elf Prozent der Kinder noch Symptome, drei Monate danach waren es noch sechs Prozent. Internationale Zahlen sprechen eine ähnliche Sprache. In England etwa sind rund sieben Prozent der Kinder von Long Covid betroffen.

Dazu kommt ein neuartiges Krankheitsbild, das es fast nur bei Kindern gibt, das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS). Dabei handelt es sich um eine überschießende Reaktion des Immunsystems, die alle Organe betreffen kann und im Schnitt vier bis sechs Wochen nach einer Infektion auftritt. Genaue Zahlen wurden zuletzt im Jänner erhoben, damals gab es österreichweit 51 Fälle, das entspricht etwa einem von tausend Fällen. Laut Information von Volker Strenger, Professor an der Kinderklinik der Med-Uni Graz und Leiter der Arbeitsgruppe Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), wurden im April im Schnitt aber drei bis vier Kinder pro Woche mit PIMS in den Krankenhäusern aufgenommen.

Wenn sich genug Menschen impfen lassen, wird das Virus verschwinden

Jein, dafür müssen es nämlich wirklich viele sein. Ursprünglich ist man von einer Durchimpfungsrate von 60 bis 70 Prozent ausgegangen, um das Virus in den Griff zu bekommen. Selbst diese Rate ist in Österreich noch nicht erreicht. Dann kam die deutlich infektiösere Delta-Variante, und die Schwelle der Durchimpfungsrate wurde vom Robert-Koch-Institut auf über 80 Prozent angehoben. Der deutsche Immunologe Carsten Watzl spricht sogar von 85 Prozent – ein Ziel, das in weiter Ferne liegt.

Für Österreich würde das bedeuten, dass sich beinahe alle Menschen impfen lassen müssen. Denn laut Statistik Austria sind 88,5 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher zwölf Jahre oder älter – und die Jüngeren können derzeit nicht geimpft werden.

Erreicht man keine Herdenimmunität, wird das Virus nicht verschwinden. Solange die Hospitalisierungszahlen aber niedrig sind, wird das Gesundheitssystem nicht überfordert, und die Lage ist im Griff. Dass die Impfung diese Wirkung hat, zeigt sich an Zahlen aus Großbritannien und den USA. Dort hat sich die Zahl der Hospitalisierungen deutlich von den Infektionen entkoppelt. Bei den US-Bundesstaaten haben jene die höchste Hospitalisierungesrate, die die niedrigste Impfquote haben, wie US-Kardiologe Topol twitterte. Auf die Wirkung der Impfung setzt man auch bei uns, deshalb gehen derzeit beinahe alle Expertinnen und Experten davon aus, dass im Herbst ein weiterer Lockdown sehr unwahrscheinlich ist.

Der mRNA-Impfstoff ist völlig neu, es gibt keine Erfahrungswerte

Das stimmt so nicht. Die konkreten Covid-Impfstoffe wurden zwar in weniger als einem Jahr zugelassen, tatsächlich forscht man an der Technologie aber bereits seit dem Jahr 1990. Die mRNA-Impfstoffe sind nämlich für viele Infektionskrankheiten eine sehr vielversprechende Methode, die bereits in mehreren Phase-1-Studien getestet wurde. Auch bei der Behandlung mehrerer Krebsarten wie Schwarzer Hautkrebs, Bauchspeicheldrüsen-, Brust- oder Eierstockkrebs verspricht man sich viel davon, es gibt dazu auch schon Phase-1-Studien.

Für Impfungen wird die Technologie seit 2013 in Studien untersucht. Das Problem: Klinische Phase-3-Studien, in denen der Impfstoff an sehr vielen Menschen getestet wird, kosten oft mehrere 100 Millionen Euro. Dank großzügiger staatlicher Förderungen war dieser Schritt bei der Covid-Impfung kein Problem.

Noch ein Wort zu den Langzeitwirkungen: Eine Impfung ist, anders als ein Medikament, eine Einmalgabe, Nebenwirkungen zeigen sich innerhalb weniger Stunden bzw. Tage. Auch allergische Reaktionen kommen bald nach der Verabreichung. Sehr seltene Nebenwirkungen treten spätestens wenige Wochen nach Verabreichung auf.

Trotzdem braucht man Daten über einen längeren Zeitraum. Denn tritt eine sehr seltene Nebenwirkung, etwa eine Sinusvenenthrombose nach einer Astra-Zeneca-Impfung, auf – laut der europäischen Arzneimittelbehörde EMA ein bis zwei Mal pro 100.000 Geimpften –, braucht es einfach eine gewisse Zeit, bis ausreichend Menschen geimpft sind, um diese Nebenwirkung überhaupt zu entdecken.

Die Impfung bringt den weiblichen Zyklus komplett durcheinander, das ist gefährlich

Immer wieder berichten Frauen davon, dass sich durch die Impfung ihr Zyklus verschoben hat. Und das kann tatsächlich passieren. Der weibliche Zyklus kann, ausgelöst durch unterschiedliche Faktoren, schon einmal aus dem Takt geraten. Besonders häufig steckt Stress dahinter, durch vermehrte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. So ein hormonelles Ungleichgewicht kann wiederum den Menstruationszyklus, das prämenstruelle Syndrom, die Blutungsstärke oder andere Beschwerden beeinflussen.

Eine weitere mögliche Erklärung kommt von der englischen Reproduktionsimmunologin Victoria Male vom Imperial College in London. Sie vermutet hinter den Zyklusschwankungen chemische Signale im Körper, die das Potenzial haben, Immunzellen zu beeinflussen. Diese Abwehrzellen wiederum befinden sich im gesamten Körper und damit natürlich auch in der Gebärmutter. Das könnte dazu führen, dass sich die Gebärmutterschleimhaut frühzeitig ablöst.

Expertinnen und Experten sind sich jedenfalls einig, dass eine solche Impfreaktion zwar möglich, aber nicht besorgniserregend ist. Übrigens kann sich die Menstruation auch durch eine durchgemachte Erkrankung verschieben. Für eine im Jänner veröffentlichte Studie des Journals "Reproductive Biomedicine Online" mit 233 Teilnehmerinnen gaben 28 Prozent der an Covid erkrankten Frauen an, dass sie Veränderungen in ihrem Menstruationszyklus festgestellt hätten. (Pia Kruckenhauser, 19.8.2021)