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Foto: COURTESY OF DEFENSE ONE via REUTERS

Einmal mehr entzweit das Thema Asyl die türkis-grüne Regierung – diesmal in Form der Diskussion über die Lage in Afghanistan. Während Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in der Machtübernahme der Taliban keinen Grund sieht, Geflüchteten aus der Region zu helfen, wird langsam, aber doch auch bei den Grünen Kritik an diesem Vorgehen laut.

Nun positionierte sich die grüne Asylsprecherin Faika El-Nagashi völlig konträr zur Kanzlerpartei. "Eigentlich müssten alle Menschen außer den Taliban aus Afghanistan evakuiert und über humanitäre Aufnahmeprogramme in Sicherheit gebracht werden", twitterte Nagashi in einem längeren Statement am Dienstagabend. "Niemand ist unter den Taliban sicher. Das wäre die globale Verantwortung. Ein Verbrechen und eine Tragödie, zu der mir Worte fehlen."

Nehammer bleibt bei seiner Härte

Damit kann die ÖVP bekanntlich nichts anfangen. "Es gibt keinen Grund, warum ein Afghane jetzt nach Österreich kommen sollte", richtete Nehammer über die deutsche Zeitung "Welt" aus. Der türkise Innenminister sieht vielmehr die Nachbarländer Afghanistans am Zug. Diese sollen Fluchtbewegungen "auffangen". Österreich sagt jenen Ländern drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds zu, wie Nehammer in einer Pressekonferenz am Mittwoch ausführte. Diese Gelder seien "mit Sicherheit" erst der Anfang.

Bei Beratungen der EU-Innenminister schlug Nehammer seinen Kollegen zudem Abschiebezentren in der Region rund um Afghanistan vor, um die Grenzen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu umgehen und Afghanen weiterhin abschieben zu können. Denn Österreich möchte diese weiter nach europarechtlichen Möglichkeiten abschieben. Alles andere seien "Fake-News", die jene, die sich auf den Weg machen, nicht glauben sollen, erklärte Nehammer. Auch bei einer Krise wie in Afghanistan müsse Rechtsstaatlichkeit "glaubwürdig" bleiben. Es müsse daher weiterhin möglich sein, vor allem gewalttätige Asylwerber oder Asylberechtigte abzuschieben.

Aus Sicht des Innenministers habe nun auch der EU-Außengrenzschutz wieder besondere Priorität. "Migrationswellen bieten immer auch Terroristen die Chance, darin unterzutauchen, sich darin zu verbergen, und dann Unheil und Gewalt nach Europa zu bringen." Einmal mehr sagte Nehammer auch der organisierten Kriminalität, also den Schleppern, den Kampf an.

VfGH: Abschiebung derzeit nicht möglich

Ein richtungsweisendes Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom Mittwoch dürfte Auswirkungen auf künftige Abschiebungen nach Afghanistan haben: Ein afghanischer Staatsbürger hatte aufschiebende Wirkung betreffend seine Anhaltung in Schubhaft beantragt. Die Verfassungsrichter gaben dem statt und bezogen sich in ihrem Spruch auch auf die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan. Vor diesem Hintergrund sei eine zeitnahe Abschiebung in das Land nicht möglich, heißt es.

Faika El-Nagashi kritisiert den Koalitionspartner – allerdings ohne dessen Namen zu nennen.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Grüne Vorsicht

Beim kleinen Koalitionspartner driften die Positionen der einzelnen Funktionärinnen und Funktionäre allerdings auch langsam auseinander – spätestens seit Parteichef Werner Kogler (Grüne) am Montag im ORF-"Sommergespräch" sichtlich darum bemüht war, das Koalitionsklima nicht durch eine klare Position zu Afghanistan zu beflecken. Auch die grüne Klubchefin Sigrid Maurer sah zuletzt in der Afghanistan-Frage keinen koalitionsinternen Diskussionsbedarf: "Das ist keine Frage, die politisch ausgedealt wird, sondern es gibt Menschenrechtsgesetze, und die sind einzuhalten", sagte sie im APA-Sommerinterview am Sonntag.

Am Dienstag dann äußerten im STANDARD mehrere Grüne Kritik am Vorgehen von Vizekanzler Kogler und vor allem der ÖVP, nun greift Nagashi den Koalitionspartner direkt an – allerdings ohne die ÖVP beim Namen zu nennen. "Angesichts der humanitären Katastrophe für die afghanische Zivilbevölkerung weiterhin Phrasen fürs Abschieben zu dreschen – egal wohin, Hauptsache weg – und 'Dialog' mit den Taliban zu suchen ist entlarvend für eine Politik, die genau das macht: Phrasen dreschen, um abzucashen", tippte die grüne Mandatarin auf Twitter.

Und weiter: "Wer (angeblich) die 'Scharia' oder 'den politischen Islam' oder 'die Islamisierung' bekämpfen möchte, die religiös begründete Unterdrückung von Frauen, Männergewalt gegen Minderheiten, gegen Medien, gegen die Demokratie: Jetzt gäbe es etwas zu tun." Es brauche daher rasch humanitäre Aufnahmeprogramme, befindet Nagashi, um speziell vulnerable Menschen zu schützen. "Hier muss Österreich aktiv werden."

Innsbrucks grüner Bürgermeister Georg Willi geht noch einen Schritt weiter und will in seiner Stadt Geflüchtete aus Afghanistan aufnehmen. Laut ORF Tirol machte er Innenminister Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in einem offenen Brief ein konkretes Angebot: "Innsbruck hat Platz und kann und will Schutz bieten", wird Willi zitiert.

Rendi-Wagner: "Hilfsgelder an Bedingungen knüpfen"

Und was macht die Opposition? SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte schon am Wochenende: "Wenn die Flüchtlinge an der europäischen Außengrenze stehen, ist es zu spät." Auch sie forderte, "Hilfe vor Ort einzusetzen, um unkontrollierte Flucht zu verhindern", und stellte sich damit ungewöhnlicherweise zumindest zum Teil hinter die Position der ÖVP.

Dieses Ansinnen erneuerte die SPÖ-Chefin am Mittwoch im Roten Foyer: "Es muss verhindert werden, dass sich Menschen nach dieser Katastrophe auf einen unsicheren Weg machen, sich in die Hände gefährlicher Schlepperbanden begeben, damit auch ihr Leben und das Leben ihrer Kinder riskieren, und am Ende an den EU-Außengrenzen vielleicht zurückgeschoben werden", sagte Rendi-Wagner. Es müsse das Ziel sein, "menschenrechtskonforme" Schutzzonen in den Regionen um Afghanistan zu etablieren. Sie plädierte dafür, dass die EU mit den Nachbarländern Afghanistans kooperieren und diese finanziell entsprechend unterstützen müsse, damit sie Geflüchtete versorgen. Ein Faktor in dieser Hinsicht könnte die Einsetzung eines EU-Sonderbeauftragten für Afghanistan sein, den Rendi-Wagner vorschlägt.

Geht es nach Rendi-Wagner, so sollten die europäischen Hilfsgelder, auf die Afghanistan und nun auch die Taliban angewiesen seien, zudem an Bedingungen geknüpft sein. Konkret an "Stabilität, Sicherheit für die Bevölkerung sowie Menschen- und Frauenrechte". Die Gelder seien das "einzige westliche Druckmittel", das seit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan geblieben sei, sagte die SPÖ-Chefin. Sie forderte überdies eine internationale Afghanistan-Konferenz in Wien.

Die Bildsprache der FPÖ

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Eine Aufnahme aus dem Inneren einer C-17 Globemaster III der U.S. Air Force vom 15. August 2021.
Foto: COURTESY OF DEFENSE ONE via REUTERS

Aus der FPÖ kommen gewohnt harte Töne, da ist in Aussendungen die Rede von "illegaler Massenmigration", von Grenzschutz und von einem "Asylstopp". Für Aufregung sorgen außerdem mehrere Fotos, die Harald Vilimsky, FPÖ-Abgeordneter im Europäischen Parlament, geteilt hat. Auf Facebook schrieb er in einem Posting: "Frauen und Kinder zuerst? Bleibt zu Hause bei Euren Familien und in Eurem Land! Ihr seid hier nicht erwünscht!" Dazu veröffentlichte er ein Foto, das zahlreiche junge Männer in einem Flugzeug zeigt, die teilweise in die Kamera winken. Es wird seit Tagen häufig in sozialen Medien geteilt, oft mit dem Kommentar, es würden nur junge Männer aus Afghanistan fliehen. Wo das Foto aber tatsächlich herkommt, ist momentan unklar. Mehrere Fact-Checker haben das Bild bereits überprüft und kamen zu dem Schluss: Es dürfte aus dem Jahr 2018 stammen.

Tatsächlich ist es auf der Website einer spanischsprachigen türkischen Nachrichtenagentur als Bebilderung eines Texts aus dem April 2018 zu finden. Darin geht es um mehrere Hundert afghanische Flüchtlinge, die illegal in türkisches Hoheitsgebiet eingereist waren. Sie seien nach ihrer Festnahme durch Polizei und Gendarmerie der Einwanderungsbehörde der Provinz Erzurum übergeben worden, heißt es in dem Text. Nach einer Anfrage des STANDARD ergänzte Vilimsky diese Information in dem Posting.

Vilimksy veröffentlichte in dem Posting auch jenes Foto, das momentan um die Welt geht und hunderte Afghaninnen und Afghanen zeigt, die in einem Flieger kauern. Es wurde am Sonntag von der Nachrichtenagentur Reuters veröffentlicht und zeigt den Innenraum eines Transportflugzeugs der US-Streitkräfte. Der Zuschnitt, den Vilimsky veröffentlicht, zeigt allerdings nur den hinteren Teil des Fliegers, in dem vor allem Männer sitzen. Der vordere Teil, auf dem Frauen und Kinder zu sehen sind, fehlt. (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 18.8.2021)