Das geplante Bundesstatistikgesetz sieht einen besseren Zugang zu Daten vor, die zu Forschungszwecken verknüpft werden können. Könnten diese Daten Rückschlüsse auf konkrete Personen zulassen?

Grafik: Marie Jecel

Es sind hochaktuelle Fragen, die für den weiteren Verlauf der Pandemie mitentscheidend sind: Wie gut und wie lange schützen die Impfungen vor Infektionen mit der Delta-Variante? Wie sehr können die Immunisierungen vor schweren Covid-19-Krankheitsverläufen bewahren? In Österreich hat die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) zwar erste Zahlen dazu vorgelegt. Für verlässlichere und aktuellere Informationen sind wir aber auf Studien aus anderen Ländern wie Israel, Großbritannien, Island oder den USA angewiesen.

Das liegt nicht nur daran, dass man in diesen Ländern mit der "vierten Welle" schon etwas weiter ist. Vor allem hat es damit zu tun, dass in vielen anderen Staaten eine weitaus bessere Datenlage und -infrastruktur gegeben ist als in Österreich. Das gilt freilich nicht nur für die Pandemie und für den Bereich der Gesundheit, sondern für so gut wie alle Bereiche der Gesellschaft.

Österreich hat, was Fachleute seit vielen Jahren beklagten und für eine etwas breitere Öffentlichkeit in Pandemiezeiten offensichtlich wurde, einen erheblichen Aufholbedarf bei der Erhebung und Vernetzung von Daten im Dienst der Forschung – und damit auch zum Wohl der Gesellschaft. Denn eine gute Datengrundlage ist nun einmal die notwendige Voraussetzung für rational begründbare Entscheidungen und Maßnahmen. Im konkreten Beispiel könnte sie etwa helfen, Impfskepsis abzubauen.

Vielschichtige Probleme

Bei den Daten zu den Spitalsbehandlungen bei Geimpften und Ungeimpften hakt es gleich auf mehreren Ebenen: Die Erfassung der Krankenhausdaten obliegt den Bundesländern, die uneinheitlich liefern. Dann mangelt es an der Verknüpfung der Daten – also jener zu den Infizierten und Geimpften – auf höherer Ebene. Schließlich werden als weitere Ausrede auch noch rechtliche Probleme genannt, wie Erich Neuwirth kürzlich auf Twitter beklagte.

Der emeritierte Statistik-Professor, der tagtäglich die verfügbaren Corona-Daten als Dienst an der Zivilgesellschaft aufbereitet, machte kürzlich in einer Streitschrift im STANDARD und einer Salve von Tweets seinem Ärger Luft. Neuwirths Resümee: "Ich habe generell den Eindruck, dass saubere und möglichst umfangreiche Datenaufbereitung und Datenauswertung den politisch Verantwortlichen kein Herzensanliegen ist."

Hoffnung durch Novelle

Das soll sich nun ändern, nämlich durch die Novelle des Bundesstatistikgesetzes und des Forschungsorganisationsgesetzes, die im Herbst abgesegnet werden sollen. Kernstück ist die geplante Einrichtung des Austrian Micro Data Center, vulgo "Superdatenbank". Dieser geschützte Datenraum für die Forschung soll bei der Statistik Austria eingerichtet und mit sogenannten Registerdaten aus öffentlichen Stellen und Gebietskörperschaften befüllt werden.

Das Besondere an dem neuen Datenzentrum, das universitären und außeruniversitären Einrichtungen für Forschungszwecke zur Verfügung stehen soll: Die Meldedaten, Bildungsdaten, Gesundheitsdaten und Erwerbsdaten sollen verschränkbar werden, was bisher so gut wie nicht möglich war. Aufgrund einer Pseudonymisierung soll der Datenschutz dabei gewahrt bleiben.

Wie nicht weiter überraschend, langten zustimmende Stellungnahmen zum Gesetzesentwurfs vor allem aus der Wissenschaft und deren Interessenvertretungen ein. Gegen die Novelle sprachen sich insbesondere Datenschutz-NGOs wie Epicenter Works aus. Kritik formulierte aber etwa auch die Rechtsanwaltskammer.

Datenschutz versus Forschung

Ist das neue Gesetz tatsächlich ein großer Wurf für die Wissenschaft, der für die Pandemie halt zwei Jahre zu spät kommt? Oder sind die Datenschutzbedenken nicht doch berechtigt?

Zur Beantwortung solcher Fragen muss Nikolaus Forgó, der in gewisser Weise sowohl Forschungs- wie auch Datenschutzinteressen vertritt, erst einmal weit ausholen. Als Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht ist er auf der einen Seite an der Universität Wien tätig, also einer Forschungseinrichtung, die vom neuen Gesetz profitieren wird. Auf der anderen Seite ist der international renommierte Fachmann seit 2018 auch Expertenmitglied des Datenschutzrats.

Ganz grundsätzlich kann Forgó aus eigener Erfahrung aus zwei Jahrzehnten der Diagnose nur zustimmen, dass es in Österreich in Sachen Dateninfrastruktur nicht erst seit der Pandemie einen erheblichen Reformbedarf gibt. Die Gründe dafür seien vielfältig und auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, so Forgó.

Nikolaus Forgó verweist auf einen grundsätzlichen ethischen Konflikt in der Datendebatte, der nicht ausdiskutiert sei.
Foto: Rainer Schoditsch

So habe man auf einer ganz grundsätzlichen Ebene in der EU und in Österreich entscheidende ethische Grundkonflikte nicht wirklich durchdiskutiert und beantwortet. Konkret: "Wie bewerten wir das Grundrecht auf Datenschutz im Verhältnis zum Grundrecht auf körperliche Integrität beziehungsweise Gesundheit und im Verhältnis zur Wissenschaftsfreiheit?"

Datenschutz als Vorwand

Eine Lösung dieses grundsätzlichen ethischen Dilemmas würde freilich noch nicht das Problem der Unwilligkeit lösen, die Daten auch zu teilen, räumt Forgó ein. So würden datenschutzrechtliche Argumente in Österreich regelmäßig dafür verwendet, "andere dahinterliegende Interessen zu kaschieren. Dazu gehört im Wesentlichen, sich die Herrschaft über die Daten zu sichern, so wie man sich Herrschaft über andere Dinge sichert."

In Österreich gibt es – um beim Beispiel der Gesundheitsdaten zu bleiben – gleich mehrere beteiligte Institutionen und Gruppen, die Anspruch darauf anmelden: das Gesundheitsministerium, die Gesundheit Österreich GmbH, die Elga GmbH, die Sozialversicherungen, die Ärztekammer oder auch die Bundesländer. Kommt die Novelle wie geplant, würde sie offensichtlich eine Stärkung der Statistik Austria bedeuten, die dem Bundeskanzleramt zugeordnet ist.

Der Gesetzesentwurf weist für Forgó freilich noch einige offene Fragen auf, die konkreter beantwortet werden sollten: etwa jene, wie in der Statistik Austria mit Forschungsanträgen umgegangen werden soll, die ethisch oder rechtlich etwas heikler sind. "Welches Gremium da konkret entscheidet und die Abwägung zwischen legitimem Forschungsinteresse und Datenschutz vornimmt, ist nicht wirklich klar", gibt Forgó zu bedenken.

Keine einzige Zulassung

Ein ähnliches Problem gab es im Übrigen schon vor vier Jahren bei der Novelle des Forschungsorganisationsgesetzes, als ebenfalls versucht wurde, den Zugang der Forschung zu Daten zu verbessern. "Doch in vier Jahren erfolgte keine einzige Zulassung, weil niemand die entsprechende Verantwortung übernehmen wollte", sagt Forgó.

Wird die Gesetzesnovelle ermöglichen, die eingangs gestellten Fragen zu den Impfungen und Infektionen zu beantworten? Forgó ist sich nicht so sicher, insbesondere wenn es um kurzfristigen Datenzugang in einer Krisensituation geht. Grundsätzlich seien die datenschutzrechtlichen Probleme aber alle überwindbar: "Man muss nur den politischen Willen dazu haben." (Klaus Taschwer, 19.8.2021)