Das Spiel ist eine originelle Mischung aus Body-Horror, Science-Fiction und Fantasy, wie man sie schlicht noch nirgends in Videospielen und auch sonst kaum wo gesehen hat.

Foto: Hövelbrinks

Wenn der Name "Fallout" fällt, werden Rollenspielfans hellhörig. Die Kultserie vor der Kulisse einer schwarzhumorigen atomaren Postapokalypse im Stil der amerikanischen Fünfzigerjahre gilt vielen als Höhepunkt des Genres – zumindest bis zum eher aus der Art schlagenden letzten Eintrag der Serie. Nur echte Games-Veteranen erinnern sich aber daran, wie alles angefangen hat.

Im Jahr 1997, als der allererste Teil der Reihe erschien, war alles noch ganz anders, als es jene gewohnt sind, die "Fallout" nur als First-Person-Rollenspiel aus dem Haus Bethesda kennen. Die zwei ersten Teile stammten vom damals berühmten Entwicklerstudio Interplay beziehungsweise dessen Rollenspielabteilung Black Isle. "Fallout" 1 und 2 waren Erben der klassischen isometrischen Tradition, wie sie von "Baldur's Gate" & Co populär gemacht worden war – nur böser, lustiger und mit einzigartigem Setting.

Mit dem Early-Access-Start von "Death Trash" erfüllt sich nun der deutsche Solo-Entwickler Stephan Hövelbrinks einen Wunsch, den auch viele Fans der klassischen zwei ersten "Fallout"-Teile seit jeher mit Wehmut im Herzen trugen: einen echten Nachfolger im Geiste in Sachen Spielmechaniken, Detailverliebtheit und Komplexität der Vorbilder auf die Bildschirme zu bekommen. Seit 2015 arbeitet der Deutsche an seinem Traum, seit kurzem darf man sich im Early Access selbst ein Bild davon machen. Eines vorweg: "Death Trash" ist weitaus mehr als nur aufwendig ausgelebte Nostalgie – und schon jetzt ein kleiner Triumph.

Death Trash

Eine Welt aus Fleisch

"Death Trash" ist hipsterpixelig wie die Originale, bietet als klassisches Rollenspiel viele derselben altbewährten Mechaniken und entführt in eine postapokalyptische Welt, in der sich Horror und absurder Humor die Hand geben. So weit, so ähnlich, doch schon die ersten Minuten zeigen, dass es hier nicht um Epigonentum geht. Als aus einer Untergrundfestung Verbannter finden wir uns nämlich sofort in einer Welt, die den Großteil anderer Science-Fiction- und Fantasy-Settings verblassen lässt.

Überall in den verwüsteten Landschaften wuchert lebendes Fleisch aus allen Ritzen, Organe, Gehirne und wabernde Fleischwürmer bestimmen das Bild, ein riesiger Fleischkrake sucht telepathisch nach Freunden. Dass man als allerersten Skill die Fähigkeit zum Kotzen (!) bekommt, ist symptomatisch für den sehr seltsamen Humor dieses Spiels.

Und dennoch: Hier geht es nicht ums Grausliche als Selbstzweck, sondern um eine absolut originelle Mischung aus Body-Horror, Science-Fiction und Fantasy, wie man sie schlicht noch nirgends in Videospielen und auch sonst kaum wo gesehen hat. Allein unterwegs, spricht man mit NPCs, die Aufträge erteilen oder häppchenweise Informationen preisgeben, kämpft in Echtzeit gegen Monster und böse Plünderer und bereist auf einer riesigen Überlandkarte diese Welt. Interessantes Kuriosum: Auf Wunsch darf man auch im Koop zu zweit per Splitscreen in die bizarre Welt von "Death Trash" aufbrechen.

Als Early-Access-Spiel bietet "Death Trash" im Moment noch keine abgeschlossene Kampagne, doch knapp acht Stunden lang ist man schon jetzt mit dem Folgen der Haupthandlung, diversen Sidequests und dem Erforschen der riesigen Welt beschäftigt.

Das Spiel ist noch nicht fertig, was für ein Early-Access-Game nicht ungewöhnlich ist.
Foto: Hövelbrinks

Was ist gelungen?

Ästhetik und vor allem das Setting machen "Death Trash" zum Unikat: Angesichts der Seltsamkeit, die hier gezeigt wird, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Dank Pixelstyle ist der Ekelfaktor auch moderater, als man es erwarten könnte – hier gibt es durchaus immer wieder dank hervorragender Dialoge und schräger Ideen etwas zum Schmunzeln.

Aber auch spielmechanisch beweist "Death Trash" einmal mehr, dass in vermeintlich überholten Games-Konzepten noch jede Menge Reiz steckt. Schräge Missionen, Crafting und Charakterentwicklung und das recht freie Erforschen einer riesigen Spielwelt machen auch fast ein Vierteljahrhundert nach dem ersten "Fallout" noch jede Menge Spaß. Dass statt rundenbasiertem Kampf hier auf simple, aber erstaunlich taktische Action gesetzt wird, werden auch Puristen nur anfangs als störend empfinden. Dank Spezialisierungsmöglichkeiten auf Schleichen, Nah- oder Fernkampf ergänzt der Action-Part das klassische Rezept durchaus passend.

Was ist weniger gelungen?

Wer keine Pixelgrafik mag, sei daran erinnert: Nicht jedes Spiel ist für jedermann und -frau. Schwerer wiegt, dass naturgemäß ein Early-Access-Spiel nur ein Versprechen auf ein ganzes Spiel ist; dass Content fehlt, wird vor allem durch die Kürze der Hauptquest im jetzigen Zustand überdeutlich. Dank toller Verkäufe ist aber die Fertigstellung zumindest finanziell schon zur Gänze gesichert. Eine weitere Warnung: Eine Kompatibilität der Savegames mit der finalen Version kann nicht garantiert werden.

Abgesehen davon plagen das Spiel nur genretypische (und zum Teil historische) Altlasten: Das Inventory wird dauerhaft zu klein, die AI der Gegner ist wenig smart, und die Map lässt Komfortfeatures vermissen, wie etwa genauere Angaben, wo Questgeber oder Shops zu finden sind.

Die Dialoge sind gelungen und laden zum Schmunzeln ein.
Foto: Hövelbrinks

Fazit

"Death Trash" ist noch eine Baustelle, aber was für eine: In Sachen Originalität und Einzigartigkeit ist diese Welt aus Fleisch und Dreck ein absolut faszinierendes Erlebnis. Spielerisch solide, erinnert das, was im Early Access jetzt schon zu sehen ist, eindrücklich daran, was an den klassischen "Fallout"-Teilen so gut war – und was durch ihre "Modernisierung" und Transformation zum First-Person-Spiel letztlich verloren gegangen ist.

Wer die Klassiker noch in guter Erinnerung hat, findet in diesem großartig bizarren Einzelstück einen eigenwilligen Erben, der souverän auf eigenen Beinen steht. Early-Access-Verweigerer gedulden sich noch mindestens ein Jahr; wer mutig zugreift, bekommt einen Vorgeschmack auf ein Spiel mit außergewöhnlichen Ideen, das jetzt schon großartig unterhält.

"Death Trash" ist im Early Access für Windows, Mac und Linux erschienen. Der Preis liegt bei 19,99 Euro. (Rainer Sigl, 21.8.2021)