Vor dieser Krankenschwester gibt es für falsche Freunde kein Entrinnen: Cassie (Carey Mulligan) bei ihrem letzten Streich.

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Das Rape-Revenge-Genre ist wegen seiner schmuddeligen Anfänge im Sexploitation-Kino der 1970er berüchtigt. Lange Zeit wurde darin mehr die perverse Schaulust von meist männlichen Regisseuren und Zuschauern gesehen als das Vermögen, eine zumindest ansatzweise aufschlussreiche Auseinandersetzung mit Vergewaltigung, der Urangst weiblicher Lebensrealitäten, zu sein.

Doch die feministische Kritik hat den Spieß umgedreht und die spannenden Seiten des Genres offengelegt: Sexuelle Gewalt an Frauen wird dabei in ihrer Brutalität sichtbar gemacht und an gesellschaftliche Machtdynamiken gekoppelt. Dazu kommt, dass ganz und gar nicht submissive Frauenfiguren in ihrer Rache zentrale Handlungsträgerinnen sind.

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Ganz prominent zeigt das I Spit on Your Grave (1978). Die sogenannten Waffen einer Frau haben hier nichts mehr verloren, stattdessen greift das Missbrauchsopfer – eine selbstbestimmte New Yorkerin – zu Axt, Revolver oder Messer, um sich an ihren ländlichen Vergewaltigern zu rächen, Kastration inklusive. Allerdings wird mit der Figur der Selbstjustiz übenden Rachegöttin (oder der "männermordenden Emanze") auch ein Bild von einem Opfer gezeichnet, das sich gut selbst zu helfen weiß – wodurch die Verantwortung der Täter und die des Rechtsstaats aus dem Blick geraten können.

"Im Zweifel für den Angeklagten"

Der Rechtsstaat kommt in I Spit on Your Grave gar nicht erst vor. In Filmen wie Lipstick (1976) oder The Accused (1988) wird er hingegen als patriarchal entlarvt, indem er sich als Komplize des "Selbst schuld"-Narrativs herausstellt. Das "Im Zweifel für den Angeklagten" führt in beiden Filmen dazu, dass die Jury zuerst dem Mann glaubt, vor allem deshalb, weil die Opfer – gespielt von Margaux Hemingway und Jodie Foster – so verführerisch sind. Damit zeigen die Filme einen Vergewaltigungsmythos auf, der sexuelle Gewalt fast schon zum Kompliment umdichtet und "hässliche Opfer" unglaubwürdig macht.

Der Typus der schönen Frau, "die selbst schuld ist", ist so alt wie der der rachsüchtigen Furie. Kassandra, eine Königstochter in der griechischen Mythologie, etwa war so schön, dass ihr Apollo, der freundliche Gott der Dichtkunst, die Gabe der Weissagung verlieh. Doch da Kassandra ihn nicht zum Dank in ihr Bett ließ, setzte er die Zusatzklausel in Kraft: Niemand sollte ihr glauben. Und so sagte Kassandra viel Wahres, das niemand hören wollte, und erlitt als Sexsklavin von Agamemnon ein tragisches Ende.

Schlagkäftige Frau

Da kann es kein Zufall sein, dass Cassie (Carey Mulligan), die 30-jährige Protagonistin in Emerald Fennells Promising Young Woman, Cassandra heißt. Doch anders als ihre antike Namenspatronin weiß Cassie ihr Aussehen und ihre Worte geschickt zu nutzen, um die Doppelmoral von selbsternannten "netten Typen" (wie Apollo ja auch einer war) zu entlarven. Einmal wöchentlich brezelt sie sich auf und spielt in einem Club das sturzbetrunkene, "leichte" Opfer, und jedes Mal bietet ihr ein "nice guy" an, sie nach Hause zu bringen. Versucht er dann, ihren gespielt wehrlosen Zustand trotz ihres Widerstands auszunutzen, konfrontiert sie ihn stocknüchtern mit der Tatsache, dass er Missbrauch begeht: In ihrer direkten, wahren Ansprache liegt ihre Macht.

Warum das Thema "drunk rape" Cassie beherrscht, erfährt man, nachdem sie Ryan (Bo Burnham) begegnet, der seit der gemeinsamen Collegezeit für Cassie schwärmt. Beide studierten Medizin, doch Cassie brach das Studium ab, nachdem ihre beste Freundin Nina in einer Partynacht von Kommilitonen vergewaltigt wurde und deswegen Selbstmord beging. Zur Verantwortung zieht Cassie in ihrem nun folgenden Rachefeldzug nicht nur die Täter, sondern auch – egal ob Mann oder Frau – diejenigen, die sich damals auf deren Seite stellten.

Schwankende Filmbilder

Indem Cassie jedoch, entgegen den Genrekonventionen, Worte statt Waffen benutzt, macht sie sich selbst verletzlich. Nicht in jeder Situation behält sie die Oberhand. Verliert sie die Kontrolle, schwanken auch die streng kadrierten Filmbilder, in die jedes Ausstattungselement genau eingepasst ist. Am Ende ist auf Cassies Planungssicherheit aber ebenso viel Verlass wie auf Fennells oscarprämiertes Drehbuch, das klug und mit viel schwarzem Humor Stärken wie Schwächen des Genres und die problematischen Popkulturstereotype der letzten 50 Jahre – vom "nice guy" bis zur "hot mess" – abhandelt.

Fennell, die sich als Schauspielerin in der Netflix-Serie The Crown (die junge Camilla Parker-Bowles) und als Drehbuchautorin (Killing Eve) einen Namen gemacht hat, gelingt ein komplexer Film, der aktueller, unterhaltsamer und feministischer nicht sein könnte. Denn auch mit dem poppig-feministischen Soundtrack und dem ungewöhnlichen Cast – einige der "netten Kerle" sind bekannte Seriendarsteller, die gegen ihr eigenes Image anspielen – bleibt sie ihrer Agenda, Rape-Revenge für die Post-#MeToo-Ära zu aktualisieren, treu. (Valerie Dirk, 20.8.2021)