Impfungen sollen Israel helfen, ohne Lockdown durch die vierte Welle zu kommen.

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In der vierten Welle ist vieles anders. Israel, das Land, das zum Zweck der Virusbekämpfung voriges Jahr die Strände sperrte und Menschen Strafe zahlen ließ, wenn sie einen Kilometer entfernt von ihrem Haus beim Spazierengehen erwischt wurden, setzt jetzt in puncto Corona auf maximale Freiheit. Zwar geht die Inzidenz weiter steil nach oben, 7800 neue Fälle kamen allein am Mittwoch hinzu. Trotzdem gibt es immer noch keinen Lockdown. Am 1. September sollen auch die Schulen aufsperren.

Anders als im Vorjahr sind es nun Ältere, die für vorsichtige Zuversicht sorgen, inmitten der allgemeinen Furcht vor überfüllten Spitälern und noch mehr Toten. Neue Zahlen belegen nämlich, dass die dritte Impfung bereits Wirkung zeigt. Bei den über 60-Jährigen, die seit fast drei Wochen zur dritten Impfung gerufen werden, flacht die Infektionskurve deutlich ab, obwohl sie beim Rest der Bevölkerung weiter steil ansteigt.

Und es gibt noch eine weitere Studie, die optimistisch stimmt: Die dritte Impfung ist laut Erhebungen der zweitgrößten Krankenkasse des Landes bei Personen ab 60 Jahren zu mindestens 86 Prozent effektiv. Die Auffrischung bietet also auch gegen die hochansteckende Delta-Variante einen guten Schutz.

Für ältere Menschen ist das nicht nur wegen ihrer insgesamt verringerten Immunabwehr wichtig, sondern auch, weil sie die Ersten waren, die im Dezember und Jänner geimpft wurden. Die Effektivität des Impfschutzes nimmt aber mit jedem Monat ab – daher die Auffrischung.

Impfen um vier Uhr früh

So erklärt sich, dass Israel in der vierten Welle alles auf die Impfung setzt. Und zwar durchaus mit kreativen Mitteln: Eigene Nachtspots haben bis vier Uhr früh geöffnet. Wer von der Spätschicht kommt, in die Frühschicht fährt oder vom Club nach Hause wankt, kann sich hier ohne Terminvereinbarung immunisieren lassen.

Um die vielen ungeimpften Jüngeren zu erreichen, engagierte das Gesundheitsministerium junge Influencerinnen auf Tiktok. In gewohnt perfektem Styling schwärmen sie davon, wie toll die Impfung sei. An mobilen Impfstationen in den Schulen sollen sich die Zwölf- bis 18-Jährigen dann auch gleich ohne Umweg impfen lassen. An religiöse Impfskeptiker appellierte die islamische Partei Vereinigte Arabische Liste auf Facebook mit einer Doppelbotschaft: Lasst euch impfen und vertraut auf Gott.

Premierminister Naftali Bennett trat Mittwochabend mit einer scharf formulierten Rede vor die Presse und die Livekameras: "Der Staat ist kein Babysitter", sagte Bennett. Jeder und jede Einzelne sei für den Kampf gegen das Virus verantwortlich. Wer immer noch Impfgegner sei, sei wie ein Mensch, "der einfach auf die Autobahn rennt und das Beste hofft".

Auf die Frage, ob es möglich sei, ohne Lockdown durch die Massenversammlungen rund um die hohen jüdischen Feiertage im September zu kommen, sagte Bennett: "Der Lockdown ist die äußerste Verteidigungslinie." Sperren kosteten den Staat viel Geld, das dann bei der Raketenabwehr fehle, so Bennett – "oder für die Operation eines krebskranken Mädchens".

Kampf gegen Fake-News

Die Frage "Lockdown ja oder nein" sei aber keine abstrakte Entscheidung der Politik, sondern hänge davon ab, wie viele Menschen in den Impfstationen die Ärmel hochkrempeln. Die dritte Impfung war bisher für alle ab 50 Jahren zugänglich, am Donnerstag wurde sie auch für Personen ab 40 sowie Lehrer freigeschaltet. Schon im September könnte die Schwelle auf alle ab zwölf Jahren abgesenkt werden.

Indes hat die Armee hunderte Reservisten mobilisiert, um bei der Impfkampagne mitzuhelfen. Ihr Einsatz gilt auch dem Kampf gegen Fake-News: In 56 Gemeinden sind die Soldaten unterwegs, um mehrsprachig aufzuklären und Skepsis zu zerstreuen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 19.8.2021)