Das Thema "Sicherungshaft" oder "Präventivhaft" ist im Zuge der Afghanistan-Krise erneut in der österreichischen Innenpolitik aufgetaucht.

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Was tun mit straffällig gewordenen Asylwerbern? In vielen Fällen ist die Antwort klar: Durch eine rechtskräftige Verurteilung kann die Aufenthaltsberechtigung entzogen werden, die Folge sind Schubhaft und Abschiebung. Nach Afghanistan sind diese aufgrund der brutalen Machtübernahme der Taliban faktisch aber nicht mehr möglich; die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nicht in allen Fällen.

Bestünde die Regierung nach wie vor aus ÖVP und FPÖ, wäre die Antwort wohl klar: Dann würde mit Nachdruck eine sogenannte Sicherungshaft forciert werden. Der jetzige FPÖ-Chef Herbert Kickl hatte 2019 als Innenminister schon eine Punktation für diese Präventivhaft präsentiert. Geplant war, dass "gefährliche", vorbestrafte Asylwerber für maximal sechs Monate inhaftiert werden können; aus "besonderen Gründen" auch länger. Das Ibiza-Video samt Regierungsende machte den Plänen aber einen Strich durch die Rechnung.

Die ÖVP beharrte aber weiterhin auf der Sicherungshaft, auch bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Im Regierungsprogramm findet sich daher ein eigenartiges Konstrukt: Eine Sicherungshaft solle konform mit der österreichischen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sein. Was diese Formulierung bedeutet, dürfte bald heftig debattiert werden: Die EMRK, die Österreich nicht so einfach ändern kann, erlaubt gewisse Formen der Sicherungshaft. Die heimische Verfassung hingegen nicht, sie ist strenger.

Grüne: Keine Verfassungsänderung

Heißt "verfassungskonform" nun, dass die Verfassung geändert werden kann? Die Grünen sehen das nicht so: "Einer Änderung der Verfassung zu diesem Zweck haben die Grünen wiederholt eine klare Absage erteilt", heißt es auf Anfrage des STANDARD. Das Innenministerium sagt hingegen: "Das Regierungsprogramm sieht die Einführung einer Sicherungshaft für Asylwerber vor. Sie wird in den zuständigen Ministerien rechtlich geprüft."

Die wahlkämpfende ÖVP in Oberösterreich preschte sogar mit einer Forderung nach rascher Umsetzung der Sicherungshaft vor. Auf Bundesebene hielt sich die ÖVP bislang noch zurück. Allerdings thematisierte der Boulevard am Donnerstag schon die Enthaftung eines vorbestraften Afghanen aus der Schubhaft: Von einer "tickenden Zeitbombe" schrieb die Krone; Oe24.at von einem "Drogendealer".

Zwei-Drittel-Mehrheit fehlt

Für eine Verfassungsänderung wäre jedenfalls eine Zweidrittel-Mehrheit nötig – und die schaffen derzeit nicht einmal ÖVP und FPÖ gemeinsam. In den anderen Parteien herrscht Skepsis vor: Die Neos "sind immer gegen eine Sicherungshaft eingetreten"; die SPÖ will eine "rechtlich gangbare Lösung" statt "Showpolitik".

Experten sehen die Sicherungshaft jedenfalls kritisch: Sie verletzt das Prinzip, dass Menschen aufgrund einer bestimmten Straftat eingesperrt werden, sondern richtet nach ihrer potenziellen "Gefährlichkeit". Außerdem sehen sie rechtliche Hürden, eine Sicherungshaft tatsächlich nur für Asylwerber einzuführen – wenn, dann müsste sie womöglich für alle in Österreich lebenden Menschen gültig sein. Im Bereich der Terrorismusabwehr haben sich Türkise und Grüne allerdings schon geeinigt: Nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien beschlossen sie, noch radikalisierte Jihadisten in einer Form des Maßnahmenvollzugs unterbringen zu wollen. (fsc, 21.8.2021)