Wenn die Hand überlastet ist, kann es im Handgelenk bizzeln und schmerzen. Schuld daran könnte ein zu enger Karpaltunnel sein.

Foto: Getty Images/iStockphoto/horillaz

An manchen Stellen hat die Natur den menschlichen Körper etwas enger gestrickt. Der Karpaltunnel im Handgelenk ist eine davon. Rund einer halben Million Österreicherinnen und Österreichern, überwiegend Frauen, macht er zuweilen Beschwerden. Denn die durch den Tunnel laufenden Sehnen der kräftigen Finger- und Handgelenksbeugemuskulatur sowie der Handmittelnerv (Nervus Medianus) liegen dicht an dicht zwischen den Handwurzelknochen und dem stramm darüber gespannten Karpalband.

Wird es im Tunnel zu eng, wird der Nerv abgequetscht, und die Finger fangen an zu bitzeln. Ohne Therapie kann der Nerv immer mehr Schaden nehmen und die Finger zunehmend gefühlloser und steifer werden. Am Ende hilft nur die OP, die das Karpalband durchtrennt und dem Nerv so wieder Luft verschafft.

"Letztendlich sind diese Engstelle und auftretender Schmerz auch ein Schutzmechanismus des Körpers vor Überlastung und Verletzungen der sensiblen Strukturen, welche diesen Tunnel passieren", sagt der Wiener Physiotherapeut Bernhard Pany. Die Sehnen sind im Bereich dieser Engstelle von den sogenannten Sehnenscheiden umhüllt, welche ein möglichst reibungsloses Gleiten ermöglichen. Sowohl der Handmittelnerv als auch die Sehnen müssen bei jeder noch so kleinen Bewegung geschmeidig durch den Tunnel, aber auch aneinander vorbeigleiten.

Überforderter Greifapparat

Dass es im Karpaltunnel zu eng wird, kann viele Ursachen haben. "Oft ist der Auslöser eine ungewohnte und zu intensiv durchgeführte Tätigkeit wie Hecke schneiden, Blumenbeet vorbereiten, Holz hacken oder eine lange Fahrradtour", sagt Pany. Grob gesprochen jede Tätigkeit, bei der die Arbeitshand über eine relativ lange Zeitspanne die Greiffunktion aufrecht hält und sogar noch Stöße oder Vibration hinzukommen. Der ganze Greifapparat wird dabei zu sehr und zu lange überfordert. Das kann die Sehnenscheiden reizen und anschwellen lassen, sodass es im Tunnel zunehmend enger wird.

"Auch Menschen, die im Alltag viel mit den Händen arbeiten, betrifft es, oder jene, die irgendwann mal eine Vorbelastung durch einen Sturz auf Schulter, Ellbogen oder Hände hatten", sagt Pany. Bei einem Bruch des Handgelenks, bei Rheuma oder Arthrose können sich die Handwurzelknochen verändern oder das Karpalband verdicken und somit den Kanal verschmälern. Aber auch verspannte Muskeln, nicht richtig ausgerichtete Ellbogen- und Handgelenke oder Fehlstellungen von Brust- oder Halswirbel können Auslöser sein.

Gegen das Kribbeln verschreibt der Arzt dann meist eine Handgelenksmanschette, die im Alltag vor weiterer Provokation schützen und vor allem nachts das unkontrollierbare Abknicken des Handgelenks verhindern soll. Bei stärkeren Beschwerden kann zusätzlich Kortison in den Karpaltunnel gespritzt werden, wo es abschwellend wirkt und dem Nerv wieder mehr Platz lässt.

Heilungschance mit Eigenverantwortung

Doch betroffene Personen können auch selbst mithelfen, damit das Kribbeln verschwindet. Ergo- und Physiotherapeuten unterstützen mit verschiedenen Techniken. "Kortisonspritzen und Schienen helfen zwar, aber die Ursache ist dadurch nicht behoben", sagt Pany. Wichtig sei es, sich den gesamten Menschen anzuschauen, um dann zu entscheiden, welche therapeutischen Maßnahmen ihm effektiv helfen und mit welchen Übungen er zu Hause die Therapie aktiv mitgestalten kann. Ebenso wichtig ist es, dem Patienten das Problem für sein Leiden zu veranschaulichen. "Das ist oftmals ein bedeutender Schritt zu mehr Eigenverantwortung der Betroffenen." Auf Arztverordnung bezahlt bzw. beteiligt sich die Krankenkasse an den Behandlungskosten für die Therapie bei Ergo- und Physiotherapeuten.

Wesentlich sei es aber, den Patienten im Gespräch anzuregen, darüber nachzudenken, was er im Alltag anders machen kann, und Strategien aufzuzeigen, die dabei helfen sollen, den Nerv nicht unnötig zu reizen: Pausen, eine andere Technik, die Hand wechseln, ein anderes Gerät verwenden oder zwischendurch Entlastungsübungen. "Wieder mehr auf den eigenen Körper hören und Verhaltensmuster ändern, nicht einfach was durchziehen, weil wir im Kopf haben, das muss jetzt unbedingt noch fertig werden, was sollen sonst die Leute denken."

Damit sanfte konservative Methoden helfen können, sei es jedoch Voraussetzung, dass die Kompression auf den Handnerv nicht schon zu lange besteht und den Nerv zu sehr geschädigt hat, weil die Patienten zu lange mit Handeln gewartet haben. "Dann kann ich bei meinen Patienten eine OP mit ziemlicher Sicherheit vermeiden oder zumindest hinauszögern", sagt Pany. (Andreas Grote, 21.8.2021)