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Eigentlich sind sie politische Zwillinge. Doch in Machtfragen schenken sich Giorgia Meloni und Matteo Salvini nichts.

Foto: Reuters / Guglielmo Mangiapane

Schließlich ließ sich Matteo Salvini doch noch impfen – und prompt zog Giorgia Meloni drei Tage später nach. An die große Glocke wollten die beiden Politiker ihre Corona-Impfung freilich nicht hängen. Sowohl der Chef von Italiens Rechtspartei Lega als auch die Anführerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia kokettieren schon länger offen mit Impfverweigerern und Gegnern der Corona-Maßnahmen.

Publik wurde Salvinis Impfung dann auch nur durch ein Versehen: Auf einem von ihm in Social Media geposteten Foto war der QR-Code seines grünen Passes zu sehen. Salvinis Rechtfertigung für seinen ideologischen Umfaller fiel nachgerade kurios aus. Er wolle nicht miterleben, wie ein mit einer Injektionsspritze bewaffneter Arzt seinem Sohn hinterherlaufe. Und Meloni beeilte sich, trotz ihrer Impfung den Zwang zum Impfzertifikat lautstark als "Angriff auf die individuellen Freiheitsrechte" zu verurteilen.

Das Buhlen der beiden Rechtspopulisten um die Gunst der in Italien zahlenmäßig nur eine kleine Minderheit bildenden Impfgegner mag auf den ersten Blick verblüffen – doch beim Duell der beiden Rechtsausleger zählt mittlerweile jede einzelne Stimme.

Aufholjagd von rechts

Salvini vs. Meloni, Meloni vs. Salvini: Seit Monaten werden die Italienerinnen und Italiener Zeugen eines Wettstreits zwischen dem 48-jährigen Ex-Innenminister und der 44-jährigen Römerin, die im Arbeiterviertel Garbatella aufwuchs.

Noch bis vor kurzem war Salvini der größte Held im rechtspopulistischen Milieu. In den persönlichen Popularitätswerten aber ist Meloni an ihm vorbeigezogen. Ihre Partei liegt inzwischen mit 20 Prozent gleichauf mit Salvinis Lega.

Dabei handelt es sich im Grunde um politische Zwillinge: Beide stehen für eine restriktive Einwanderungspolitik. Beide geben sich betont nationalistisch, EU-skeptisch bis -feindlich. Und sowohl Salvini als auch Meloni haben kein Problem damit, dass sich in ihren Parteien auch erklärte Neofaschisten tummeln.

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Noch bis vor kurzem war Salvini der größte Held im rechtspopulistischen Milieu.
Foto: Reuters / Massimo Pinca

Als der Wirtschaftsstaatssekretär Claudio Durigon (Lega) vorschlug, einen Park in Latina nach Arnaldo Mussolini, dem Bruder des faschistischen Diktators, zu benennen, sah sein Chef keinen Grund, sich davon zu distanzieren. Auch Meloni grenzt sich kaum vom Mussolini-Kult ab: "Der Faschismus muss im Kontext seiner Zeit beurteilt werden", erklärt sie dazu lapidar.

Rechts seit der Jugend

Die Diskussion darüber, wer von beiden nun rechter sei, belustigt Meloni: "Ich bin die Rechte, ich bin schon rechts geboren!" Tatsächlich trat Giorgia Meloni schon mit 15 Jahren dem Fronte della Gioventù (Jugendfront) des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) bei. Später politisierte sie in der Al leanza Nazionale von Gianfranco Fini, der die Postfaschisten salon- und regierungsfähig machte.

Salvini legte sich erst später fest. In seinen Sturm- und Drang-Jahren sah man ihn noch in den kommunistisch-anarchistischen Jugendzentren Mailands. Zu Beginn seiner politischen Laufbahn in der damaligen Lega Nord trug er den Spitznamen "Roter Padanier".

Was nun erklärt Melonis Aufholjagd von rechts? Ihr fällt es aktuell leichter als Salvini, die Corona-Politik zu kritisieren. Ihre "Brüder Italiens" waren im Februar die einzige größere Partei, die der Regierung der nationalen Einheit unter Mario Draghi nicht beitrat. Dazu hat Meloni als Oppositionschefin jedes Recht, den grünen Pass zu kritisieren. Bei Salvini liegt der Fall anders: Er stellt öffentlich jene Maßnahmen infrage, die formal von ihm und seinen eigenen Ministern mitgetragen werden. Seine Glaubwürdigkeit erhöht derlei nicht.

Wie eine Zwangsjacke

Salvini leidet unter den Umständen merkbar, die Regierungsbeteiligung wirkt wie eine Zwangsjacke. Der begnadete Demagoge, der die Lega mit ausländerfeindlichen Hasstiraden, "Basta Euro"-Parolen und kostspieligen Steuerversprechen bei den Europawahlen 2019 zum Rekordresultat von 34 Prozent geführt hat, ist nun an der moderatesten und europafreundlichsten Regierung beteiligt, die Italien seit Jahrzehnten hatte – und die mit Mario Draghi von einem Finanzfachmann von Weltruf angeführt wird.

Salvini hatte keine andere Wahl, als die unliebsame Regierungsbeteiligung anzutreten: Die Kleinunternehmer und Gewerbetreibenden im produktiven Norden Italiens, die nach wie vor einen wesentlichen Teil seiner Wählerbasis bilden, hätten es nicht verstanden, wenn er Ex-EZB-Chef Draghi mitten in der Not der Pandemie einen Korb gegeben hätte.

In den persönlichen Popularitätswerten aber ist Giorgia Meloni an Salvini vorbeigezogen.
Foto: Imago / Samantha Zucchi

Für Meloni hingegen wäre es ein Verrat an ihrer Basis, würde sie mit Sozialdemokraten und der linken Fünf-Sterne-Bewegung regieren.

Und so steigen Melonis Beliebtheitswerte, während Salvini schon froh sein muss, wenn er nicht weiter verliert. "Bei uns stehen die Leute Schlange", prahlte Meloni unlängst. Tatsächlich sammeln sich hinter ihr zunehmend frustrierte Lega-Mitglieder, die nicht weiter "mit den Linken" regieren wollen.

Bewunderung und Abscheu

Vom Siegernimbus Salvinis, der als Innenminister 2018 und 2019 mit seiner "Politik der geschlossenen Häfen" in Europa entweder Bewunderung oder Abscheu auslöste, ist nicht viel übrig geblieben. Dass Meloni im Beliebtheitsranking Salvini den Rang abgelaufen hat, liegt aber nicht nur an der Regierungsbeteiligung der Lega: Mit dem Putschversuch gegen den damaligen Premier Giuseppe Conte beging der damalige Innenminister im August 2019 einen kapitalen Anfängerfehler.

Und letztlich steht sich Salvini auch oft selbst im Weg: Der ewige Demagoge beherrscht nur Angriff. Doch diese oft primitiven Attacken verschrecken etliche moderate Wähler rechts der Mitte.

Meloni hingegen ist in der Wortwahl behutsamer: Auch sie befürwortet eine Seeblockade für Flüchtlingsboote – doch sie verunglimpft Migranten nicht pauschal als potenzielle Verbrecher, Terroristen und Drogenhändler.

Verlässlicher zeigt sich Meloni auch in außenpolitischen Fragen. Sie stand immer für transatlantische Treue – auch dann, wenn im Weißen Haus nicht gerade Donald Trump regierte. Salvini dagegen entdeckte erst unter Trump seine USA-Begeisterung, davor schwärmte er für Wladimir Putin, den "besten Staatsmann der Welt". Seine Russland-Nähe ging so weit, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnahm, weil die Lega im Verdacht stand, sich um illegale Parteispenden aus dem Kreml bemüht zu haben.

Es geht um alles

Ins Finale geht das Duell im Frühjahr 2023. Dann stehen in Italien die Parlamentswahlen an – und damit die Entscheidung, wer Mario Draghi als Premier ablösen wird. Denn dass sich die Linke an der Macht halten wird, gilt aus heutiger Sicht als ziemlich unwahrscheinlich.

Die Rechtsparteien wollen laut einer stillschweigenden Vereinbarung jene Person als Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat aufstellen, die kurz vor Urnengang in den Umfragen die Nase vorn hat. Es geht also für Salvini und Meloni um nicht weniger als die Chance ihres Lebens. (Dominik Straub, 21.8.2021)