"Unglaublich ist es, dieses Kind. Jessica. Damals war sie vielleicht drei oder vier Jahre alt, als mein Kollege und ich sie regelmäßig im St.-Anna-Kinderspital besucht haben. Krebs hat sie gehabt. So einen, wo man allein auf der Isolierstation schlafen muss. Ohne Mama. Wir waren oft dort. Plötzlich hat es geheißen: alles ganz dramatisch ..."

Es ist einer dieser lauen Sommerabende, irgendwann zwischen den Wellen der Pandemie. Im Theater Olé im dritten Wiener Gemeindebezirk sind die Vorhänge zugezogen. Durch die offene Tür des Kellerlokals dringt dennoch genug Sonnenlicht, um die abgewetzten Sessel und die kleine Holzbühne im schmalen Zuschauerbereich zu erhellen.

Hier ist Verena Vondrak-Zorell zu Hause. Oder, besser gesagt, die ihr innewohnende Clownin namens Doktor Tupfen-Topfen. Wenn die nicht gerade im St.-Anna-Kinderspital krebskranken Kindern wie Jessica versucht, ein Lachen zu entlocken, spielt sie hier für erwachsene Menschen.

Seit 30 Jahren gibt es die Cliniclowns. Und seither ist Verena Vondrak-Zorell als Clownin im Einsatz.
Foto: Regine Hendrich

Es duftet nach frischgebrühtem Filterkaffee. Im Winkel, über dem Lamellenheizkörper, steht eine kleine Ziehharmonika. Die hat die längstdienende Clownin der Cliniclowns mit ihrer ersten Gage gekauft. Und auf der Couch, gleich ums Eck in der kleinen Theaterküche, sitzt sie. Nippt an ihrem Kaffeehäferl. Daneben die rote Nase, die für all das steht, was schwer zu begreifen ist. Und noch schwerer zu erzählen. Wie die Geschichte von Jessica.

Wenn Wunder Realität werden

"Plötzlich durften wir auch nicht mehr zu ihr. Aber ihre Mutter hat angefangen, ihre Tochter als Doktor Tupfen-Topfen zu verkleiden. Jessica hatte sich das gewünscht. Jedenfalls hat sie es geschafft. Sie geht mittlerweile zur Schule und hat kürzlich geschrieben, dass sie noch an uns denkt. Dass wir ein wichtiger Teil ihres Aufenthalts im St. Anna waren. Es ist sehr berührend, wenn man von so einem Wunder erfährt!"

Jessicas Geschichte ist eine von den schönen. Eine von denen, die Verena Vondrak-Zorell täglich aufs Neue dazu ermutigen, die weniger schönen zu akzeptieren. Eine solche Hiobsbotschaft hat Frau Doktor Tupfen-Topfen vor vielen Jahrzehnten überhaupt erst das Leben eingehaucht: Als junge Frau lebte die gebürtige Wienerin in Paris. Besuchte die berühmte Clownschule Jacques Lecoq. Dann kam die Nachricht, dass ihr Vater überraschend verstorben sei. Ein Schock.

Mit etwas Abstand erkannte die junge Clownin dann, dass die Arbeit mit Humor einen therapeutischen Effekt auf sie hatte. "Das hat mich sicher ein bisschen drübergerettet", sagt sie heute. Blickt einen Halbsatz lang nach oben. "Humor kann nicht alles Schmerzvolle wegwischen, retuschieren. Aber das Lachen kann die Schwere erleichtern. Das hab ich damals erlebt. Und deshalb kann ich das heute noch so gut vertreten, was wir bei den Cliniclowns machen."

Ansteckende Fröhlichkeit

Was das genau ist, lässt sich nicht einfach in einer Jobbeschreibung mit Bulletpoints aufschlüsseln. Das macht diese kleine rote Nase deutlich, die da vor uns auf dem Couchtisch liegt. Dieses Accessoire befähigt keinen Menschen dazu, andere mit Fröhlichkeit anzustecken. Dazu braucht es weit mehr. Vor allem Mut. "Man kann nicht sagen, ich bin jetzt dieser Clown oder lieber diese Clownin", erklärt Vondrak-Zorell. "Die Clownfigur eines Menschen ist das Ergebnis der Beschäftigung mit der eigenen naiven, kindlichen Seite."

Der Clown als Vehikel, das uns Zugriff auf Emotionen gibt, die wir uns sonst verbieten. "Clownarbeit ist ein konstant andauernder Prozess", erklärt die Humorexpertin. Einer, der mit allen Sinnen und mit sehr viel Körpersprache zu tun hat. Ein Beispiel: Wenn sich ein Kind freut, hüpft es vor Freude umher. Das machen die Erwachsenen nicht mehr. Wenn es dann ein Erwachsener aber doch macht, dann ist das irgendwie lustig. Weil es nicht einzuordnen ist. Über diesen Bruch lachen Kinder.

"Die rote Nase steht für irgendetwas. Vielleicht einfach für das Leben." Verena Vondrak-Zorell, Cliniclown.
Foto: Regine Hendrich

"Grundsätzlich", sagt die erfahrene Clownin, gehe es in der Clownerie immer darum, Kontakt zu anderen Menschen herzustellen. "Der Clown bleibt nie zu Hause, er muss raus in die Welt! Egal ob es ein Zirkus- oder ein Straßenclown ist."

Kontakt in der analogen Welt

Eben deshalb lag die Arbeit von ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen in den letzten Monaten großteils wirklich brach. Just heuer, als die Cliniclowns in ganz Österreich ihr 30-Jahr-Jubiläum fröhlich feiern wollten, war bis vor wenigen Wochen weder das Feiern noch das Arbeiten erlaubt. Die Versuche, mit Videocalls kranke Kinder zu erreichen, zeigten bei ihr wenig Erfolg.

Nachsatz: "Andere Clowns hatten in Altersheimen etwa damit viel Erfolg. Nur, mit Kindern klappt das nicht." Weil eben die Interaktion, die das Clownsein so direkt macht, nicht möglich war. Was sind Accessoires wie Luftballons, Seifenblasen oder markante Clownnasen, wenn man sie nicht angreifen kann? Das sind alles Elemente, die in einer analogen Welt helfen, in Kontakt zu treten. Doch im digitalen Szenario verlieren die kleinen Brückenbauer auf der Stelle ihren Zauber.

Und im Fall der Cliniclowns ist vor allem die rote Nase weit mehr als bloß Markenzeichen und Vermittler. Sie ist auch ein Schutzschild, der vor dunklen Wolken schützt, die bei der Arbeit mit schwerkranken Menschen immer wieder aufziehen. Wenn eben das Wunder langsamer ist als der Tod. "Ich weiß nicht so genau, wie Doktor Tupfen-Topfen mit so schlimmen Dingen umgeht", sagt jetzt Verena Vondrak-Zorell. Und verdeutlicht, dass die rote Nase wie ein Schalter funktioniert, den die Clownin in ihr jederzeit aktivieren kann.

Die rote Nase, der Schutzschild der Clownin?

Um die Verena hinter der Maske zu schützen. Das erkannte die Frau mit den zwei selbstgewählten Identitäten spätestens, als sie Pauli kennenlernte. "Er war damals ungefähr vier Jahre alt", sagt die 60-Jährige. Holt kurz Luft. Nun beginnt sie mit ruhiger Stimme zu erzählen: "Ich hab Pauli im Namen des Momo-Kinderhospizes immer wieder zu Hause besucht. Dann ist sein Geschwisterchen auf die Welt gekommen. Er hat ihm noch den Namen gegeben und ist dann im gleichen Monat gestorben. Ich gehe sonst nie zu einem Kinderbegräbnis, aber da hat sich die Mutter das gewünscht. Weil ich so einen guten Draht zu dem Buben hatte. Dann war ich dort. Die haben das wunderschön gemacht. Ich hab eine Schoßpuppe, die Pauli so gern hatte, mitgenommen. Wir sind also zum Grab, und ich hab mir nur die Nase aufgesetzt. Doktor Tupfen-Topfen hat sich bei ihm mit Seifenblasen verabschiedet. Dann bin ich zu den Leuten von der Trauergemeinde gegangen. Und ich hab noch meine Nase aufgehabt. Sie haben mich angeschaut – so: Bitte, mach doch etwas! Das hab ich herausgelesen aus ihren Blicken. Ich hab die Oma umarmt. Seifenblasen gepustet und so. Ich war schon überfordert. Aber ich hab bemerkt, dass ich der Clown war, bloß weil ich diese Nase aufgehabt hab. Nicht mehr. Doch diese Nase steht für etwas. Vielleicht steht sie für das Wiedergutmachen. Vielleicht steht sie einfach für das Leben." (Johannes Stühlinger, CURE, 15.9.2021)