Carneiro da Cunha schätzt die Technologien der Indigenen.

Foto: Eryk Rocha

Wien – "Ich will teilen, was ich bei meinen Aufenthalten am Rio Xingu erlebt habe", sagt Gabriela Carneiro da Cunha. Mit den Teilnehmerinnen an ihrem Labor "Encounters of Waters" werde sie versuchen, der Donau zuzuhören und zu verstehen, was dieser Fluss zu sagen hat.

Zum Einsatz kommen Erfahrungen, die die Künstlerin in ihrer bisherigen Arbeit gemacht hat.

"Ich war drei Jahre lang an den Flüssen Araguaio und Xingu, aber hier bin ich nur einen Monat. Das ist ein Unterschied", erklärt sie.

Aber sie könne jenen, die hier an der Donau leben, dabei helfen, ihre Ohren aufzumachen. Carneiro da Cunha hat sich die Ausstellung Die Donau. Eine Reise in die Vergangenheit in der Nationalbibliothek angeschaut und meint: "Was, wenn man den Fluss als Kurator ansähe? Welche Perspektiven würde die Donau als Gestalterin dieser Ausstellung anbieten?"

Wenn die Künstlerin einen Fluss zur Person erklärt, die sich äußert und der gelauscht werden kann, dann folgt sie der Perspektive von Indigenen am Rio Xingu: "Was wir eine Ressource nennen, nennen sie ,Großvater‘, ,Bruder‘, eine ,Mutter der Gewässer‘ oder den ,Vater der Wälder‘. Das brauchen wir heute."

Keine Gegnerin der Wissenschaft

Es sei jetzt genug mit der Auffassung von allem als Nutzmittel und Kapital, denn diese habe "uns an keinen guten Ort geführt".

"Die Bewohner des Regenwalds haben uns viel zu geben", erinnert Gabriela Carneiro da Cunha. "Sie müssen als zeitgenössische geopolitische Kraft gesehen werden, die eine andere Sprache hat, um Dinge zu bezeichnen. Damit schaffen sie andere Möglichkeiten für die Welt." Das versuche sie auch hier in Wien zu vermitteln.

Allerdings sei es nicht sie, die dem Fluss, den Indigenen oder den Tieren Stimmen verleiht, denn die hätten sie selbst: "Das sind starke Stimmen, und sie schreien, aber wir hören nicht zu." Sie fördere lediglich das Zuhören.

Unsere Sprache sei, sagt sie, die von Ökonomie und Organisation, nicht eine poetische, künstlerische oder philosophische. "Man redet so, als ob die Leute wieder eine Verbindung zur Natur haben sollten – aber wir sind Natur, wir sind Teil davon. Es gibt kein ,Außerhalb der Natur‘."

Die Menschen am Xingu haben Carneiro da Cunhas Kunst- und Theaterauffassung verändert, weil sie sich anders auf die Dinge beziehen. Die Künstlerin verweist auf die belgische Philosophin Isabelle Stengers, die meinte, die westlichen Wissenschaften seien mit einem "Fluch der Toleranz" behaftet. Sie würden damit den Alleinanspruch auf den Zugang zur Wirklichkeit stellen.

Die Künstlerin ist keine Gegnerin der Wissenschaft. Aber im Bund mit dem Kapitalismus verursache diese eben ein Chaos: "Wenn wir Fortschritt weiterhin als Wachstumsbesessenheit verstehen, wird es keine Welt und keine Zukunft mehr geben, auf die man sich noch beziehen kann."

Ein Rückfall in Richtung einer Orientierung an der Vergangenheit sei ausgeschlossen. Die Indigenen leben nicht in der Vergangenheit, sondern im Jetzt: "Sie können Zeichen der Natur lesen. Sie haben eine hochentwickelte Technologie, etwa, um dem Fluss zuhören und verstehen zu können, dass er nicht aufgestaut werden darf, weil das die Vernichtung von Millionen Leben bedeutet. Dafür brauchen sie keine Computerprogramme."

Ein Labor für Frauen

Warum Gabriela Carneiro da Cunhas Labor nur für Frauen bestimmt ist? Unter anderem, weil es eine Fortsetzung ihrer Arbeit mit dem Buiúnas-Netzwerk für und von Frauen sei, sagt sie.

Die Projekte in Amazonien lägen vor allem in den Händen von Frauen, weil "Männer", wie sie sagt, "zu schnell verhandeln". (ploe, 21.8.2021)