Betrachtet man unseren Planeten aus einiger Entfernung, könnte man auf die Idee kommen, hier liege ein Irrtum vor. "Erde" nennen wir unsere Welt, dabei wäre die Bezeichnung "Wasser" eigentlich passender: Mehr als zwei Drittel der Oberfläche sind damit bedeckt. Auch wenn Weltkarten etwas anderes suggerieren, ist es tatsächlich ein überwiegend blauer Planet, den wir bewohnen.

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Ozeane einst sogar fast doppelt so viel Wasser enthalten haben könnten wie heute – und noch viel größere Landmassen bedeckten. Eine von Wasser geprägte Welt war die Erde zwar nicht von Anfang an, aber die allerlängste Zeit.

Als Ausnahme im Sonnensystem konnte die Erde über Jahrmilliarden ein stabiles System aus Atmosphäre und Ozean etablieren, das die Entstehung von Leben ermöglichte. Dass es aber auch anderswo lebensfreundliche Bedingungen gibt, ist alles andere als ausgeschlossen.
Foto: Getty Images / iStock / MarcelC

Was genau sich in den turbulenten ersten Jahrmillionen nach der Entstehung unseres Heimatplaneten vor rund 4,6 Milliarden Jahren abgespielt hat, beschäftigt Wissenschafter vieler Disziplinen. Etliche Details liegen im Dunkeln, wichtige Eckdaten lassen sich aber rekonstruieren.

Etwa, dass schon früh eine Gashülle um den noch kleinen Brocken entstand, der durch Kollisionen mit anderen Protoplaneten zunehmend anwuchs. Diese Uratmosphäre, die größtenteils aus Wasserstoff und Helium bestand, ging schon bald wieder verloren. Noch deutete nichts darauf hin, dass auf diesem Himmelskörper einmal Leben entstehen würde.

Wasserbomben aus dem All

Nach heutigem Wissensstand ist davon auszugehen, dass nach etwa 200 Millionen Jahren die Verwandlung in einen nassen Planeten ihren Ausgang nahm. Wie genau es dazu kam, ist umstritten. Die meisten Forscher nehmen an, dass ein großer Teil des Wassers durch Asteroiden auf die Erde gelangte, genauer gesagt durch ein regelrechtes Bombardement wasserreicher Brocken.

Chemische und mineralogische Untersuchungen untermauern dieses Szenario und sprechen eher dagegen, dass auch Kometen bedeutsame Wasserbringer gewesen sein könnten. Ein besonders dramatisches Ereignis steht hingegen weiterhin im Verdacht, an der Entwicklung einer frühen Wasserwelt beteiligt gewesen zu sein: die kataklysmische Kollision mit einem etwa marsgroßen Himmelskörper, genannt Theia, vor etwa 4,5 Milliarden Jahren.

Aus Bruchstücken, die dieser kosmische Frontalcrash hinterließ, entstand unser Mond. Möglicherweise brachte Theia auch große Mengen an Wasser aus dem äußeren Sonnensystem mit auf die Erde.

Meer aus Magma

Ein Teil des irdischen Wassers könnte aber auch von Anfang an vorhanden gewesen sein – eingeschlossen in dem Material, aus dem der Planet entstanden ist. "Dieses Wasser konnte sich aber vermutlich nicht lange halten", sagt Luca Fossati vom Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Graz.

Denn der junge Planet war so heiß, dass sein erster Ozean nicht aus Wasser bestand, sondern aus Magma – noch war die Erde eine brodelnde Vulkanwelt, die vielleicht sogar vollständig von flüssiger Gesteinsschmelze bedeckt war. In dieser Suppe wurde alles Material eingekocht, das durch Meteoriteneinschläge und Kollisionen mit anderen Objekten die junge Erde erreichte.

Als der Dauerbeschuss mit kosmischen Brocken seltener wurde, die Erde allmählich abkühlte und ihre Oberfläche erstarrte, bildete sich durch Ausgasungen wieder eine Gashülle, erklärt Fossati, der die Evolution von Planetenatmosphären erforscht. Die neue Erdatmosphäre bestand hauptsächlich aus Wasserdampf, Kohlenstoffdioxid und Stickstoff.

Inzwischen sind etliche Exoplaneten bekannt, die flüssiges Wasser auf ihrer Oberfläche besitzen könnten – manche sind womöglich vollständig von Ozeanen bedeckt. Für die Entstehung von Leben könnte das ungünstig sein: Auf der Erde dürfte es in Grenzbereichen zwischen Wasser und Land begonnen haben.
Foto: ESA / Hubble, M. Kornmesser

Als die Temperatur so weit abgesunken war, dass Wasser kondensieren konnte, brach ein geologisches Kapitel an, dem wir letztlich alles verdanken: Wolken entstanden, und es begann zu regnen – für eine halbe Ewigkeit. Die Verwandlung in einen blauen Planeten hatte begonnen.

Weiße Welt

Vorübergehend dürfte die Erde aber auch eine weiße Welt gewesen sein, ein riesiger gefrorener Schneeball: "Das ist ein etwas spekulativer Teil der Geschichte, aber wir sind ziemlich sicher, dass die Erde mindestens einmal komplett einfror – vielleicht sogar öfter", sagt Fossati. Denn der Dauerregen ließ nicht nur einen Urozean entstehen, sondern hatte auch einen anderen Effekt: Er "spülte" große CO2-Mengen aus der Atmosphäre.

Die sinkende Konzentration des Treibhausgases und die immer dünnere Gashülle führten zu einer Abkühlung, wie sie der Planet bis dahin noch nicht erlebt hatte. Den Wiederauftauprozess leiteten Vulkane ein, die durch ihre Ausgasungen erneut eine CO2-reiche Atmosphäre aufbauten, bis das Eis wieder schmolz und abermals Regen einsetzen konnte. Als die Erde etwa 800 Millionen Jahre alt war, tauchte dann ein anderer Faktor auf, der alles verändern sollte: Leben.

Die Stoffwechselvorgänge sogenannter chemolithotropher Mikroben, die zu den ältesten Erdenbewohnern zählen, erhöhten den Gehalt von Stickstoff und Methan in der Atmosphäre zunehmend. Sauerstoff, der heute ein Fünftel der Erdatmosphäre ausmacht, hatte seinen großen atmosphärischen Auftritt erst später.

Leben unter Extremen

Unter welchen Bedingungen die chemolithotrophen Urlebewesen vor mutmaßlich schon 3,8 Milliarden gedeihen konnten, wie sie selbst die Welt um sich veränderten und wo ähnliches Leben fern der Erde entstanden sein könnte, sind zentrale Forschungsfragen für Tetyana Milojevic.

Die Astrobiologin von der Universität Wien erforscht das extreme Leben solcher Mikroben im Labor. "Diese frühen Lebensformen mussten die damals vorhandenen Ressourcen des Planeten nutzen – und das waren in erster Linie Wasser, Gesteine und Kohlenstoffdioxid. Sie mussten ihre Energie aus anorganischen Mineralquellen gewinnen", sagt Milojevic.

Das prächtige Bild ist von Mikroben gemalt: Es zeigt die Ostsee um die Insel Gotland während der jährlichen Algenblüte, die durch Cyanobakterien zustande kommt. Diesen Mikroorganismen, die es schon vor 3,5 Milliarden Jahren gab, verdanken wir die Entstehung unserer sauerstoffhaltigen Atmosphäre.
Foto: Esa / Copernicus / Sentinel

In warmen, schwefel- und eisenreichen Umgebungen, etwa rund um Unterwasservulkane oder hydrothermale Tiefseequellen, bilden solche Mikroorganismen auch heute blühende Ökosysteme – und genau das macht sie für die Astrobiologie so interessant. "Wir untersuchen, wie sie mit Mineralien interagieren und welche Spuren sie dabei hinterlassen", sagt Milojevic.

So soll die "Fahndungsliste" für die Suche nach außerirdischem Leben um verdächtige Hinweise ergänzt werden. Denn vieles spricht dafür, dass zum Beispiel in unserer unmittelbaren Nachbarschaft einmal sehr ähnliche Bedingungen geherrscht haben wie auf der Erde: Der Mars war nicht immer jener unwirtliche Planet, den wir heute kennen.

"Wir wissen, dass viele Exoplaneten in der habitablen Zone ihrer Sterne existieren, auf denen es Wasser gibt – die Grundvoraussetzung für Leben." Astronom Luca Fossati
Foto: Getty Images / iStock / RugliG

Lebensfreundliche Nachbarwelt

Vor etwa 3,5 Milliarden Jahren schützte eine dichte Atmosphäre den Mars vor der lebensfeindlichen UV-Strahlung der Sonne, die Temperaturen waren deutlich milder als heute – und es gab flüssiges Wasser. Mit anderen Worten: Die Gegebenheiten auf unserem Nachbarplaneten ähnelten damals jenen auf der Erde. "Die Bedingungen des jungen Mars passen gut zu chemolithotrophen Lebensformen", sagt Milojevic.

Stabil war die Lage auf unserer Nachbarwelt nicht, allzu lange konnte der Mars die Voraussetzungen für Leben, wie wir es kennen, nicht halten: Er verlor erst große Teile seiner Atmosphäre und nach und nach auch sein Wasser – heute gibt es nur noch unterirdische Reservoirs von unklarer Größe.

Manche Forscher schätzen, dass sich das Zeitfenster für Oberflächenwasser schon nach einigen Hunderttausend Jahren wieder schloss, während die Erde ihr System aus Ozean und Atmosphäre über Jahrmilliarden stabilisieren konnte. Die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben auf dem Mars waren aber wahrscheinlich zeitweise günstig – die große Frage ist, ob auch etwas in Gang gekommen ist.

Die Suche nach einer Antwort beschäftigt nicht nur Forscher auf der Erde, sondern längst auch zahlreiche Sonden und Roboter vor Ort. Erst im Februar landete mit Perseverance ein weiterer Rover der Nasa auf dem Roten Planeten, der nach Spuren von Leben suchen soll.

Seeboden auf dem Mars

Der Hightech-Roboter befindet sich in einem großen Krater auf der Nordhalbkugel des Mars, in dem sich einst ein riesiger See befand. Wissenschafter erhoffen sich von der Analyse gut erhaltener Ablagerungen des uralten Seebodens aufschlussreiche Informationen.

Der Jezero-Krater auf der Nordhalbkugel des Mars stand einst unter Wasser, davon zeugen Sedimente.
Foto: Nasa / JPL / HUAPL / MSSS / Brown University

Bei der Suche nach vielversprechenden geologischen Strukturen kommt auch Technologie aus Österreich zum Einsatz: Das Forschungsinstitut Joanneum Research in Graz und das Wiener Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung VRVis haben gemeinsam ein Softwaretool entwickelt, das eine detaillierte 3D-Auswertung von Daten des Perseverance-Kamerasystems ermöglicht.

Wonach Marsrover gezielt Ausschau halten sollten, wenn es tatsächlich einmal chemolithotrophe Mikroben auf unserem Nachbarplaneten gegeben haben sollte, untersucht Astrobiologin Milojevic in einem Forschungsprojekt, für das sie im Vorjahr einen hochdotierten Förderpreis des Europäischen Forschungsrats ERC erhalten hat: Sie züchtet im Labor Mikroorganismen auf Marsgestein, um herauszufinden, welche Spuren sie darauf hinterlassen. "Das können spezifische Biominerale sein, chemische Signaturen oder morphologische Besonderheiten", sagt die Forscherin. "Ziel ist es, eine Datenbank mit Signaturen zu erstellen, die für Marsmissionen genutzt werden kann."

Rückholmission von Marsgestein

Perseverance soll zwar auch die erste Rückholmission von Marsgestein vorbereiten, bisher wurden aber noch nie Proben vom Roten Planeten zur Erde gebracht – zumindest nicht durch die Raumfahrt. Milojevic nutzt für ihre Experimente Marsmeteoriten, die auf der Erde gefunden wurden. Darunter ist auch der in der Sahara entdeckte Brocken "Black Beauty", der wissenschaftlich Northwest Africa 7034 heißt und Material enthält, das fast 4,5 Milliarden Jahre alt ist. Milojevic: "Im Labor bringen wir das Gestein des jungen Mars mit uralten Lebensformen der Erde zusammen und schauen, was passiert."

Ein bemerkenswertes Ergebnis haben Milojevic und Kollegen erst vor wenigen Monaten im Fachblatt "Nature Earth & Environment" veröffentlicht. Sie "verfütterten" Proben von "Black Beauty" an Metallosphaera sedula, ein Archaeon, das in heißen vulkanischen Schwefelquellen vorkommt und seine Energie aus anorganischen Quellen wie Eisen gewinnt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine wichtige Rolle bei der Verwandlung der Erde in einen blauen Planeten spielten Vulkane.
Illustration: Picturedesk.com / Science Photo Library / Claus Lunau

Dabei konnten die Forscher beobachten, wie diese Mikrobenart das Marsmaterial biotransformierte, indem sie an der Zelloberfläche Eisen-, Mangan- und Aluminiumphosphat absorbierte. "Diese Schicht wird mit der Zeit immer dicker und bildet eine Mineralkapsel, bis der Mikroorganismus irgendwann abstirbt und die Kapsel übrigbleibt", sagt Milojevic.

Auch innerhalb der Archeonzelle selbst konnten die Wissenschafter Biomineralisationsmuster identifizieren, die für die "Fahndungsliste" nach außerirdischem Leben von Interesse sein dürften. Wie sich die mikrobiellen Hinterlassenschaften unter den unwirtlichen Bedingungen des heutigen Mars im Lauf der Zeit verändern, will Milojevic in weiteren Experimenten untersuchen. Wäre die Astrobiologin überrascht, wenn irgendwann ein Marsrover auf Signaturen solcher Lebewesen stoßen würde? Nein, antwortet Milojevic: "Mikroben finden immer einen Weg!"

Vielversprechende Jupitermonde

Neben dem Mars stehen aber auch andere Orte im Sonnensystem im Fokus der Astrobiologie. Die aufsehenerregende Messung eines giftigen Gases in der Venusatmosphäre, die im Vorjahr alten Spekulationen über mikrobielles Leben in den Wolken unseres heißen inneren Nachbarplaneten neuen Auftrieb gab, hat sich zwar inzwischen als falsch herausgestellt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Erde verdankt ihre Lebensfreundlichkeit vielen Faktoren: Der günstige Abstand zur Sonne spielt ebenso eine Rolle wie der Aufbau des Planeten, die Entstehung des Mondes, aber auch die Existenz des Jupiters, der die Erde wie eine Art Schutzschild vor vielen Einschlägen von Asteroiden und Kometen bewahrt.
Foto: Getty Images / adventtr

Abseits unserer Nachbarwelten erscheinen aber auch andere Himmelskörper im Sonnensystem für die Suche nach Leben interessant: Monde der Planeten Jupiter und Saturn. Da wäre etwa Europa, der viertgrößte Jupitermond, der in vielen Hinsichten eher an einen eisigen Planeten erinnert als an einen kargen Trabanten.

Er besitzt einen Schalenaufbau mit Eisenkern und einen riesigen Ozean aus flüssigem Wasser, der unter einem dicken Eispanzer verborgen ist. Es wäre denkbar, dass dort heiße Quellen eine Umgebung bilden, die einfaches Leben zulässt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Saturnmond Enceladus: Auch er ist ein Eismond, der unter seiner dicken Kruste flüssiges Wasser beherbergen dürfte und immer wieder gefrorenen Wasserdampf ausstößt. In diesen Eisfontänen konnten bereits interessante chemische Verbindungen nachgewiesen werden. Um mögliches Leben auf Europa oder Enceladus finden zu können, wären aber eine Landung und eine Eisbohrung nötig – also eine äußerst schwierige Mission, an die sich bisher noch niemand gewagt hat.

Ferne Welten im Visier

In viel größerer Entfernung kommen indes in rasender Geschwindigkeit neue vielversprechende Ziele für die Suche nach extraterrestrischem Leben hinzu: Exoplaneten, also Planeten in anderen Sternsystemen. Seit dem ersten Nachweis einer solchen Welt im Jahr 1995 ist viel passiert, rund 4500 Exoplaneten wurden inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen, fast täglich kommen neue hinzu.

Und einige davon könnten durchaus lebensfreundliche Bedingungen aufweisen. "Wir wissen heute, dass viele kleine Planeten in der habitablen Zone ihrer Sterne existieren, auf denen es auch Wasser gibt – die Grundvoraussetzung für Leben, wie wir es kennen", sagt der Astronom Luca Fossati.

Wie wahrscheinlich ist es, dass eine zweite Erde darunter ist? "Es gibt viele Faktoren, die für die Entstehung von Leben auf der Erde sehr wichtig waren, aber ob das auch für andere Lebensformen gilt, ist unklar", sagt Fossati. "Die Fragen, die wir uns daher stellen müssen, sind andere: Wie gewöhnlich ist Leben? Ist es ein Sonderfall oder kommt es häufig vor, dass Leben entsteht? Die ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es nicht." (David Rennert, 1.11.2021)