Haltung bewahren, selbst wenn alles haltlos wird: Sofas und Möpse (die Hunderasse!) waren Loriots liebste Statussymbole.

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Seine Satire war angewandte Kommunikationswissenschaft. Vicco von Bülow, berühmt geworden als Loriot, schrieb Sketche, Reden und Dialoge von zeitlos sinnvoller Sinnlosigkeit. 1923 in Brandenburg an der Havel geboren, begann er als Karikaturist und prägte ab 1967 die deutsche TV-Satire. Mit Ödipussi (1988) und Pappa ante portas (1991) entstanden Filme, daneben dutzende Bücher und Zeichentrick-verfilmte Sketche. Einige davon spielen die ORF-Satiriker Dirk Stermann und Christoph Grissemann seit Jahren im Theater Akzent auf der Bühne.

STANDARD: Wie würde Loriot ein Gespräch über seinen 10. Todestag beginnen?

Stermann: Guten Tag.

STANDARD: Wäre es ein guter Tag für ihn?

Stermann: Das ist schwer zu sagen. Hinge wohl von seiner Tagesverfassung ab.

STANDARD: Loriots Kunst lag in der Bloßlegung unserer Kommunikationsprobleme. Die Leute in seinen Sketchen reden so sehr aneinander vorbei, dass es fast schon wehtut. Was lernen wir daraus?

Stermann: Dass man mehrere Gespräche gleichzeitig führen kann, auch wenn nur zwei beteiligt sind.

STANDARD: Hilft es also, dass wir dieses Gespräch schriftlich führen?

Stermann: Nicht zwangsläufig, aber wir können ja so tun, als schrieben wir nicht aneinander vorbei. Oder: Wir schreiben bei vollem Bewusstsein aneinander vorbei, präzise aneinander vorbei, denn Präzision ist ein wesentlicher Bestandteil der Loriot’schen Komik.

STANDARD: Wo ist eigentlich Herr Grissemann?

Stermann: Herr Grissemann geht sehr viel zu Fuß, seit er einen Schrittzähler hat. Der Weg ist ihm egal, aber genug Schritte müssen es sein.

Satiriker und Loriot-Fan Dirk Stermann: "Man kann mehrere Gespräche gleichzeitig führen, auch wenn nur zwei beteiligt sind."
Foto: APA

STANDARD: Sie beide haben in der Pandemie "Willkommen Österreich" auch via Videokonferenz moderiert. Das hat erstaunlich gut funktioniert.

Stermann: Ich finde, es hat erstaunlich schlecht funktioniert. Es ist schwierig, bei technischen Gebrechen und Leitungsproblemen schlagfertig zu sein.

STANDARD: Aber man kann einander schlecht ins Wort fallen. Es strukturiert ein Gespräch.

Stermann: Eben. Das macht das Gespräch, wenn es nicht schriftlich passiert, vorhersehbar.

STANDARD: Welche sind Loriots beste Werke?

Stermann: Ich habe einmal seinen Nachlassverwalter kennengelernt, der ein merkwürdiger Mann ist. Er behauptete, am Ende Loriot beratend zur Seite gestanden zu sein, was seine Arbeit betrifft. Da der Nachlassverwalter aber ein denkbar humorloser Mann war, glaube ich ihm das nicht. Loriots Arbeit zu bewerten, da bin ich ein zu kleines Humorlicht. Als jemand, der das Glück hat, Loriot auf Bühnen vorlesen zu dürfen, würde ich mich dennoch für seine Sketche entscheiden.

STANDARD: Haben Sie einen Lieblingssketch?

Stermann: Die Szenen einer Ehe mag ich am meisten, das alte Ehepaar. Feierabend ist mein Lieblingssketch.

STANDARD: Das ist der, in dem der Mann nur in Ruhe im Fauteuil sitzen will und die Frau ihm unablässig nervige Fragen stellt. Die Frau kommt da nicht gut weg. Dabei wollte Loriot in der Ehepaarserie auch nur die Frustrationen eines Paars aufzeigen, oder?

Stermann: Der Mann kommt auch nicht gut weg, vor allem aber ihre Beziehung zueinander. Ich mag das Dadaistische der Situation, die Energie, die aufgewendet wird, um aneinander vorbeizureden.

Hannelore Schwerdtfeger

STANDARD: Sie spielen die Ehepaar-Sketche auf der Bühne ja seit Jahren. Hilft es, dass Sie und Herr Grissemann selbst so etwas wie ein altes Ehepaar geworden sind?

Stermann: Ja, das hilft. Aber am meisten hilft, dass wir beide diese Sketche gerne vorlesen.

STANDARD: Es gibt von Loriot den Satz: "Man kann eine Beziehung nur unter der Voraussetzung eingehen, dass sie eigentlich nicht funktionieren kann." Soll man sie trotzdem eingehen?

Stermann: Ja, natürlich. Aber das Wissen um die Richtigkeit dieser Feststellung kann hilfreich sein.

STANDARD: Wäre die Welt eine bessere, wenn alle Loriot-Sketche schauen würden? Also auch die Taliban?

Stermann: Die Taliban essen Eis und fahren Karussell, wenn ich den Bildern Glauben schenken darf. Vielleicht werden sie jetzt bald auch Loriot lesen. Zum Beispiel sein Gedicht: "Ich muss die Nase meiner Ollen an jeder Grenze neu verzollen."

Kultkino

STANDARD: In seiner Rede zum Thema "Satire im Fernsehen" sagt Loriot, dass Politik und Satire Geschwister sind: eng verwandt und daher geborene Gegner. Und ihr gemeinsamer Geliebter sei das Fernsehen. Ist das so?

Stermann: Da muss man vielleicht den ÖVP-Politiker Andreas Hanger fragen. Obwohl er da als Satiriker ja einseitig antworten würde.

STANDARD: Aber er hat öffentlich klargestellt: Er ist kein Satiriker.

Stermann: Das sagen Satiriker oft. Sie kennen den Satz von den Kretern: Alle Kreter lügen.

STANDARD: Der beste Loriot ist der spätere, ergraute Loriot. Komiker bestechen oft erst als friedhofsblonde ältere Herren, denken wir an Leslie Nielsen. Hatte Dirk Stermann jemals dunkle Haare?

Stermann: Natürlich. Ich bin ja nicht ergraut auf die Welt gekommen. Sehr selten sehen Neugeborene aus wie Loriot. Aber Loriots Tochter, die ich kennenlernen durfte, sieht exakt aus wie er, nur mit kleinem Zopf. Man hätte sie sich gut in einem Tweedanzug vorstellen können.

Kultkino

STANDARD: Satire, sagt Loriot, solle eigentlich nicht bessern und veredeln, sondernzersetzen, destruktiv sein. Aber ist das Mantra vom Zwischen-allen-Stühlen-Sitzennicht ein Selbstbetrug? Heutige Satiriker sind doch im Grunde zu 90 Prozent politisch links orientiert, oder?

Stermann: Das täuscht, weil viele um die Satiriker herum so weit rechts sind.

STANDARD: Loriot war wahrscheinlich der letzte große bürgerliche Satiriker. Verschwindet das Bürgerliche?

Stermann: Also Loriots Sofa als Symbol seiner Bürgerlichkeit ist nach wie vor begehrt. Es würde auf keinem Flohmarkt lange unverkauft stehen.

STANDARD: Der bürgerliche Satirikersoll also gar nicht zwischen allen Stühlen sitzen, sondern gemütlich auf demSofa?

Stermann: Sitzen in der Öffentlichkeit, privat darf man auch liegen. Aber unbedingt Sofa, ja.

STANDARD: Wie würde Loriot ein Gespräch über seinen 10. Todestag beenden?

Stermann: Einen schönen Tag noch und bis bald.

(INTERVIEW: Stefan Weiss, 21.8.2021)