Innenminister Karl Nehammer und Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP).

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Auf die ÖVP ist Verlass. Das ist die Botschaft von Innenminister Karl Nehammer, der davor warnt, "abertausende" oder vielleicht gar "alle Menschen aus Afghanistan nach Europa zu holen". Nicht mit Nehammer, nicht mit Kanzler Sebastian Kurz, nicht mit österreichischer Zustimmung. Damit niemand in der Kanzlerpartei oder in der konkurrierenden FPÖ auf die Idee kommen kann, dass da "Umvolkung", "Bevölkerungsaustausch" oder wie auch immer das aktuelle Codewort der rechten Szene lauten mag, betrieben wird.

Die Positionierung ist verständlich, wenn man nur den innenpolitischen Aspekt im Blickfeld hat – aber sie lässt außer Acht, dass es um mehr geht als um ein paar zwischen ÖVP und FPÖ schwankende Wählerinnen und Wähler.

Kein Wille zur Aufarbeitung

Es geht darum, wie der Westen mit der Niederlage umgehen soll, die er in Afghanistan erlitten hat – und zu diesem Westen gehört eben auch Österreich, das sich nicht eingestehen will, an dieser Niederlage beteiligt zu sein. Es hat unter anderem eigene Truppen geschickt, um jene Soldaten auszubilden, die sich schließlich kampflos den Taliban ergeben haben – oder sich ihnen womöglich sogar angeschlossen haben. Genaues weiß man darüber nicht – und man hat den Eindruck, dass das hierzulande auch niemand richtig aufarbeiten will.

Und ebenso, wie Österreich mit der militärischen und politischen Niederlage der USA und ihrer Nato-Partner nichts zu tun haben will, will es auch nicht mit der Verantwortung belastet werden, die mit Niederlagen eben so einhergeht: Österreich hat an der Illusion eines modernen, demokratischen Staatswesens für Afghanistan mitgewebt und ist nicht nur der halbwegs aufgeklärten, westlich orientierten Minderheit, sondern ganz konkret den bis vor wenigen Wochen hilfsbereiten "Ortskräften" etwas schuldig geblieben: Wer mit deutschsprachigen Soldaten – zwischen Bundeswehr und Bundesheer wird da wohl wenig Unterschied gemacht – oder mit westlichen Hilfsorganisationen gemeinsame Sache gemacht hat, wird von den Taliban bedroht.

Helfer nicht im Stich lassen

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen – als ehemalige deutsche Verteidigungsministerin mit der Sachlage besser vertraut als viele andere europäische Politiker – hat am Wochenende klargemacht, dass die Europäer ihre Helfer jetzt nicht im Stich lassen dürfen.

Einige von ihnen werden tatsächlich nur in Europa vor Verfolgung durch radikale Islamisten sicher sein.

Das betrifft vor allem jene Personen, die in langjähriger Tätigkeit für westliche (nicht nur militärische) Organisationen tätig gewesen sind, sowie Universitätspersonal und Medienmacher, die der traditionellen Gesellschaft ihres Landes längst abgeschworen haben.

Damit ist zweierlei Hoffnung verbunden: Erstens sind diese Menschen aufgrund ihrer höheren Bildung und ihrer Erfahrungen wahrscheinlich leichter zu integrieren als die bisher aus einfachsten Verhältnissen und unter Mitnahme ihrer kulturellen Prägung nach Österreich gekommenen afghanischen Migranten.

Zweite Hoffnung

Die zweite Hoffnung ist, dass möglichst wenige "Ortskräfte" in einer Lage verbleiben, in der ihnen vor aller Öffentlichkeit Verfolgung und Tod drohen. Denn was dieser Tage in Afghanistan passiert, wird auch in anderen Ländern beobachtet, in denen sich Österreich engagiert – dort würde bald niemand mehr "dem Westen" trauen oder gar helfen wollen. Die Folgen würden auch die ÖVP treffen. (Conrad Seidl, 22.8.2021)