Impfungen für Kinder sind nicht erst seit Corona ein heikles Thema. Doch jetzt gehen die Wogen besonders hoch.

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Ihre Mutter glaube schon lange daran, dass man nicht krank werde, solange Gott das nicht möchte, sagt Karin M.* Der Glaube ist mit einem apokalyptischen Einschlag versehen: Schon bald werde die Welt untergehen. "Corona passt da natürlich genau ins Bild", sagt M. Gefährlich ist der Glaube deswegen, da die Mutter außerdem der Überzeugung sei, dass Impfungen die Seele angreifen würden, auch die Corona-Impfung. Und ohne Seele sei es wiederum nicht möglich, in das Himmelreich zu gelangen. Zudem sei die Impfung darauf ausgelegt, Menschen zu schädigen, und zwar weil nach der Impfung jemand mit 5G Gedanken und Handlungen steuern könne.

Ms. Mutter, und auch der Vater, werden sich also nicht impfen lassen. Das sei schon viele Monate, bevor eine Impfung überhaupt verfügbar war, klar gewesen. Die Mutter habe auch dafür gesorgt, dass das für alle Familienmitglieder gelte. M. selbst betrifft das nicht direkt, sie ist schon erwachsen. Doch ihr kleiner Bruder Jakob* ist noch minderjährig und wohnt zu Hause bei seinen Eltern. Als Angehörige bereitete ihr das Kopfzerbrechen.

Empfohlen ab zwölf

Die Corona-Impfung ist in Österreich seit längerer Zeit auch für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren empfohlen. Im Gegensatz etwa zu Deutschland: Dort gab die Ständige Impfkommission erst kürzlich bekannt, dass es nun auch offiziell eine Empfehlung für Zwölf- bis 17-Jährige gibt. Die Vorteile der Impfung würden gegenüber den Risiken von seltenen Nebenwirkungen überwiegen.

Viele Familien beschäftigt ebendiese Frage der Risikoabwägung. In coronaskeptischen Kreisen werden diese Zweifel aufgegriffen und auf die Spitze getrieben: Da heißt es etwa in einschlägigen Gruppen, dass Kinderrechte nicht nur durch den "Testzwang" an Schulen ausgehebelt würden, sondern auch durch einen Impfzwang, der bald an Schulen eingeführt werden könnte. In einschlägigen Elterngruppen berichten Eltern mit Besorgnis auch davon, dass sich das eigene Kind auf einmal doch impfen lassen möchte, sollte die Ein-G-Regel kommen. Doch was ist mit der Perspektive der Kinder, die anderer Meinung sind als ihre Eltern?

Kritisch

Auch M.s Bruder sollte vor der Zerstörung seiner Seele bewahrt werden. Doch er sehe die Meinung der Eltern sehr kritisch, sagt M. Es sei schnell klar gewesen, dass er sich impfen lassen möchte. M. unterstützte ihn dabei. "Es hat sicher auch geholfen, dass es in der Familie auch Leute gibt, die nicht gesagt haben: Du stirbst oder kommst nicht in den Himmel, wenn du geimpft bist." Im Endeffekt ausschlaggebend seien aber die bereits geimpften Freunde und Schulkollegen gewesen.

M.s Bruder ist über 14 und somit ein mündiger Minderjähriger. Er kann sich also selbstständig für eine Impfung entscheiden. Auf das Einverständnis seiner Eltern ist er nicht mehr angewiesen. Das gilt auch umgekehrt: Denn gleichzeitig darf man ab diesem Alter auch zu keiner medizinischen Behandlung mehr gezwungen werden, außer, es handelt sich um eine notwendige Operation. Anders wäre das, wäre er noch zwölf oder 13: Dann müsste zumindest ein Elternteil zustimmen und ihn auch zur Impfung begleiten. Nachdem es sich um einen korrekten Vorgang handelt und die Impfmotivation nicht erfasst wird, gibt es zur Anzahl der Jugendlichen, die sich heimlich impfen lassen, auch keine Daten.

Sozialer Druck

Doch auf die rechtlichen Fragen alleine kommt es nicht an: M. berichtet vom großen sozialen Druck, den die Eltern ausüben. Eine Impfung würde nicht bloß einen normalen Konflikt nach sich ziehen, die Eltern würden es vermutlich als Hintergehen und als Verrat empfinden. Ein normales Gespräch darüber würde nicht möglich sein. M. und ihr Bruder wählten also die Variante, die Impfung geheim zu halten.

Die Nervosität blieb jedoch: Was, wenn die Eltern doch noch von der Impfung Wind bekommen? Das kann zumindest durch die automatische Zusendung der Impfzertifikate per Post nicht mehr passieren, diese analoge Übergangslösung wurde nur bei Personen angewandt, die bereits bis Ende Juni vollständig geimpft waren. Laut Auskunft des Gesundheitsministeriums scheint auch in der Leistungsübersicht der Krankenkasse die Impfung nicht als solche auf. Die automatische Einsicht in die Elektronische Gesundheitsakte (Elga) für Eltern erlischt zudem ab 14.

Leicht war die Entscheidung, ihren Bruder zu unterstützen, für M. nicht. Sie berichtet von einem innerlichen Konflikt: "Auch wenn ich von der Meinung meiner Mutter nichts halte, möchte ich ihr nichts zufleiß tun oder etwas auswischen" Die durchdringendere Motivation sei aber gewesen, dass ihr Bruder vor dem Virus geschützt ist. (Vanessa Gaigg, 25.8.2021)