Der gebürtige Burgenländer Hannes Tschürtz kommt vom Konzerte-Organisieren. Damit ist jetzt Schluss.

Foto: Christian Fischer

Die "Porzellanhochzeit" – Hannes Tschürtz wird im September 20 Jahre mit seinem Unternehmen Ink Music verheiratet sein – hat er sich wohl anders vorgestellt. Eine große Party, um die Erfolge der letzten Jahre zu feiern, zum Beispiel. Musikantinnen und Musikanten hätte er ja genug: Das Label beheimatet Bands wie My Ugly Clementine, die erst letztes Jahr mit dem prestigeträchtigen "European Independent Album of the Year" ausgezeichnet wurde, sowie die Duos Leyya und Oehl. Aber die Pandemie machte diese Pläne weitestgehend zunichte und brachte letztlich auch das Fass im Live-Department zum Überlaufen. Ink Music wird das Konzertgeschäft, in dem es einst mit den Bookings für Bilderbuch, Ja, Panik oder Wanda große Erfolge erzielt hatte, einstellen. Zeit, dem Branchenkenner strukturelle Fragen über die heimische Musikszene zu stellen.

STANDARD: Herr Tschürtz, es ja heißt immer, man könne in der Musikindustrie überhaupt nur mehr mit Konzerten Geld verdienen. Ink Music stellt nun genau den Livebereich ein. Warum?

Tschürtz: Der Markt hat sich verändert, es gibt einen Wettbewerb, andere Anbieter. Wir können jetzt "nur" Label und Verlag sein und uns trauen, uns weiter zu spezialisieren. Anders als früher muss das Konzept 360-Grad-Agentur nicht mehr sein. 2016 lag die Abhängigkeit des Gesamtunternehmens von Booking noch bei 78 Prozent, im letzten regulären Jahr nur noch bei 29 Prozent. Die streiche ich zwar jetzt, allerdings fallen ja auch Kosten weg. So können wir die anderen Bereiche hoffentlich überlebensfähig halten.

STANDARD: Wie kam es zu der Entscheidung?

Tschürtz: Besonders im Live-Department hat die Pandemie für eine gewisse Aufgeriebenheit und Erschöpfung gesorgt, weil man ja schlicht und ergreifend nie eine Belohnung bekommen hat. Man hat reingearbeitet, dann mussten Konzerte storniert und verschoben werden, und zwar drei- bis viermal. Es war sehr frustrierend. Die Leute denken nun ganz anders über den Wert ihrer Arbeit nach, und es ist verständlich, dass sich viele beruflich verändern wollen. Wir haben uns als Team zusammengesetzt und beschlossen, das koordiniert zu beenden und nicht mit Gewalt ein neues Live-Department aufzubauen, wenn das wirtschaftlich gar nicht notwendig ist.

STANDARD: Schauen wir zurück. Sie haben Ende der 90er angefangen, Konzerte für die Band Garish zu organisieren, weil es sonst keiner tat.

Tschürtz: Richtig. Als ich angefangen habe, gab es quasi nichts an Strukturen. Es war eine mittlere Sensation – ich übertreibe jetzt ein bisschen –, wenn eine Band Gitarre spielen konnte. Ich arbeitete damals in Wiesen, hatte ein Netzwerk, daraus ergab sich der Rest.

STANDARD: Die 2000er, in denen die Anfangszeit von Ink Music liegt, gelten als die mageren Jahre der österreichischen Musik, eine wirkliche Szene gab es nicht. Wieso ist es überhaupt zu diesem Vakuum gekommen?

Tschürtz: In den 80er-Jahren gab es Austropop, der alles andere verschlungen hat. Was dann in den 90ern mit Kruder & Dorfmeister und den Sofa Surfers passiert ist, war ja eine Blase, ein urbanes, großstädtisches Phänomen. Das hatte zwar internationale Strahlkraft, war den Leuten in Kapfenberg aber halt auch wurscht. Sprich, es hat nicht für breite Strukturen gesorgt.

STANDARD: Wodurch sind diese Strukturen dann entstanden?

Tschürtz: Dadurch, dass es seit 2005 den Österreichischen Musikfonds gibt, zum Beispiel. Das ist halt nicht sexy, war aber wahnsinnig wichtig für die Schaffung von Strukturen. 2010 ist das Popfest dazugekommen, die ersten Erfolge mit Soap & Skin oder Ja, Panik waren da. Im Hintergrund sind Labels wie Monkey, Seayou, Siluh, Wohnzimmer oder Problembär, Managements und Agenturen entstanden. Für mich war das Kernmoment aber die 24-Stunden-Programmierung von FM4 anno 2000, weil das ein völlig neues Selbstverständnis bei den Künstlerinnen und Künstlern ausgelöst hat, die nun eine Fläche hatten, auf der sie sich präsentieren konnten.

STANDARD: FM4 soll ja nun umgebaut werden: Es erfülle seine Aufgabe als Jugendsender nicht mehr.

Tschürtz: Ich finde es verstörend, dass man im ORF der Meinung ist, eine vorhandene, loyale Zielgruppe verscheuchen zu müssen. Dass FM4 kein reiner Jugendsender ist, mag richtig sein, aber dann braucht es eben einen zusätzlichen Sender, der jungen Menschen eine Experimentierfläche gibt, wie es FM4 vor 25 Jahren getan hat. Aber es wäre fatal, FM4 grundsätzlich zu verändern.

STANDARD: Nun gibt es also eine Szene und Strukturen. Ist nun alles paletti?

Tschürtz: Nein. Natürlich besteht die Gefahr, dass die sogenannte österreichische Welle bricht, weil sich Bands darauf verlassen, dass es jetzt eh von selbst läuft. Aber unser Markt ist ja nicht der einzige, der sich entwickelt hat. Heute ist eine gute, professionelle Produktion eher Grundvoraussetzung als Erfolgsgarantie. Um von der Musik längerfristig leben zu können, muss man sich international positionieren, denn nur in Österreich gestreamt zu werden bringt monetär gesehen fast nichts. Diese internationale Positionierung ist aber wiederum so kostenintensiv, dass es dir auch nichts hilft, wenn du in Österreich gut tourst.

STANDARD: Als Sie angefangen haben, waren Indie-Pop und -Rock quasi die Sache von drei bis vier weißen Männern mit Gitarren. Nun schaut der Ink-Roster mit Acts wie Kerosin 95, Christl, Sharktank oder Lou Asril ganz anders aus. Wie kam es zum Wandel hin zu einer diverseren österreichischen Musikszene?

Tschürtz: Eine gewisse liberale Kultur geht von Wien aus, wo Diversität in der Stadt abgebildet und auch eingefordert wird. Schwieriger ist es, wenn du dann rausgehst und merkst, dass das auf dem Land nicht so selbstverständlich ist. Trotzdem bewegt sich auch dort etwas, wenn man zum Beispiel an Nenda aus Tirol denkt. Bei Ink ist das jedenfalls organisch passiert, einfach weil es das Angebot gab, da musste sich niemand zu etwas zwingen.

STANDARD: Ink Music war für einige Bands ein Sprungbrett. Am wichtigsten wohl Ja, Panik und Bilderbuch, die beide das Label verlassen haben. Hat es Sie nicht geärgert, immer wieder die Aufbauarbeit für Bands zu machen, deren große Erfolge dann größere Labels oder Bookingagenturen absahnen?

Tschürtz: Ich jammere gern und viel, aber darüber habe ich nie gejammert. Ich habe aus Überzeugung nie Verträge gemacht, die mir eine Band auf Gedeih und Verderb ausliefern würden. Es hat in diesen Jahren sehr wenige Ereignisse gegeben, auf die ich mit Verbitterung schaue. Ich bin stolz, was aus denen geworden ist, auch wenn wir wirtschaftlich nicht mehr direkt davon profitieren.

STANDARD: Ungefähr 2014 ging es bei Wanda und Bilderbuch so richtig los. Jetzt haben wir 2021, und es kam nichts Vergleichbares nach.

Tschürtz: 2004 war es außergewöhnlich, dass Garish zum Albumrelease zweimal hintereinander das Chelsea ausverkauft haben. Da passen 200, 250 Leute rein. 2007 haben wir mit Garish und Clara Luzia das Wuk ausverkauft, und das war etwas Seltenes. Nun verkaufen Bilderbuch und Wanda Stadthalle und Schönbrunn aus – und jetzt wollen wir auf einmal zehn solche? Gehen wir auf die Ebene drunter, also von der Champions in die Europa League: In Deutschland decken Bands von Voodoo Jürgens bis My Ugly Clementine und von HVOB bis Oehl ein sehr breites Spektrum ab. Damit haben wir die Pyramide, die wir immer wollten, sprich, es gibt auf allen Ebenen ein Angebot. Im Wesen einer Pyramide liegt aber nun einmal, dass es ganz oben nur wenige gibt. (Amira Ben Saoud, 24.8.2021)