Die Grünen widersprechen in der Flüchtlingsdebatte inhaltlich zwar dem Koalitionspartner ÖVP, meiden aber die direkte politische Konfrontation. Der Wiener Ex-Parteichefin Birgit Hebein ist das zu wenig.

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Es war eine der wenigen Reaktionen, die bisher an die Öffentlichkeit schwappten. "Birgit ist & war immer ein Mensch mit Herz & Haltung & ich kanns gut verstehen", schrieb Viktoria Spielmann, Grüne Gemeinderätin in Wien, auf Facebook: "Es bricht mir trotzdem das Herz, wo sich unsere Partei hin entwickelt."

Die Ex-Kollegin, der Spielmann nachtrauert, war nicht nur Wiener Parteichefin, sondern auch eine der Mütter der amtierenden Bundesregierung. Vor zwei Jahren hat Birgit Hebein noch den türkis-grünen Koalitionspakt mitverhandelt, nun ist sie aus der Partei ausgetreten. Das Experiment der Regierungsbeteiligung sei an die Grenzen gelangt, schrieb sie am Sonntag: Demokratie, Diskurs, Rechtsstaat, Parlament und Medien bewegten sich weiter "in eine türkis-autoritäre Richtung, (...) als wäre nichts gewesen."

Geräuschlose Parteispitze

Die grünen Wortführer versuchen sich nach bewährter Manier aus der Affäre zu ziehen: möglichst geräuschlos. Von der Bundesparteispitze um Vizekanzler Werner Kogler hat niemand ein offizielles Wort zum Austritt verloren, die Wiener Statthalter beschränkten sich auf ein paar allgemeine Zeilen. Über ihre Gründe könne Hebein, die vom Gemeinderatsklub als Vorsitzende abgewählt worden war, am besten selbst Auskunft geben, selbstverständlich setzten sich die Grünen weiterhin für Menschenrechte ein.

Doch brodelt es unter der Oberfläche? Zweifellos gibt es unter Mandataren, Funktionären und anderen Mitstreitern – kurz: an der Basis – viele Enttäuschte, die ähnlich empfinden wie Hebein. Vom Abdrehen des U-Ausschusses über die Besetzung des ORF-Chefsessels mit dem türkisen Wunschkandidaten bis zur harten Flüchtlingspolitik: Manche glauben, dass der Preis für die Regierungsbeteiligung längst zu hoch sei. Wollten die Grünen ihre Seele nicht verkaufen, dürften sie nicht weiterhin die Mehrheitsbeschafferin für diese ÖVP spielen.

Dem steht jene Haltung gegenüber, die etwa Vizekanzler Kogler vorlebt. Bei allen harten Kompromissen: Jede Alternative zur Regierungsbeteiligung – man denke an Türkis-Blau – verheiße nur noch Schlimmeres. Österreich würde keinen einzigen Flüchtling mehr aufnehmen. Doch wer setze dann ein Klimaticket oder die ökosoziale Steuerreform durch?

Mit Hardliner-Kurs abgefunden

Wer dieser Linie folgt, hat sich mit dem von der ÖVP zelebrierten Hardliner-Kurs in der Flüchtlingspolitik abgefunden. Von Beginn der Koalitionsverhandlungen an war klar, dass sich die Türkisen bei diesem Leibthema nicht reinfunken lassen wollen und es zu jedem möglichen Anlass – vom Parteitag diese Woche bis zur Oberösterreichwahl im September – anfachen werden. Dass Kogler & Co nicht rhetorisch stärker dagegenhalten, um den moralischen Anspruch der Grünen hochzuhalten, folgt taktischem Kalkül: Damit würde man der ÖVP nur den Gefallen tun, die Asyldebatte weiter am Köcheln zu halten.

Folglich verzichteten die Grünen auch auf eine direkte Kritik an Innenminister Karl Nehammer, als dieser jede Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan als "gefährlich" brandmarkte und entsprechende Vorschläge der EU-Kommission "als sehr kurzsichtige und ideologisch fehlgeleitete Politik" geißelte. Das heißt nicht, dass sich die kleine Koalitionspartei einer Meinung enthielt. Entgegen der ÖVP-Linie plädierten die Grünen für eine "europaweite Initiative zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden": Österreich müsse sich auf Hilfe in Afghanistan, die Versorgung der Flüchtlinge in Nachbarstaaten, aber auch auf eine "sofortige Evakuierung all jener, die um ihr Leben fürchten müssen", konzentrieren.

Verhallter Vorwurf

Ob das den grünen Kritikern reicht? Ein konzertierter Aufstand zeichnet sich bis dato nicht ab, ein Vertreter der Pragmatiker ist sich sicher: "Das Tolle an unserer Basis ist, dass sich die Mehrheit der fehlenden Alternative bewusst ist."

Verhallt ist jedenfalls Hebeins Vorwurf, wonach Sebastian Kurz bei den Koalitionsgesprächen zugesagt habe, über die Aufnahme von Flüchtlingen gesprächsbereit zu sein, wenn andere Länder vorangingen. Aus dem Büro Kogler gab es keine Reaktion, das Kanzleramt verweist auf den türkis-grünen Regierungspakt: Dort ist bekanntlich nichts dergleichen zu finden. (Gerald John, 24.8.2021)