Ahmed Massoud im März in Paris, wo seines Vaters gedacht wurde.

Foto: EPA / Christophe Archambault

Die heutzutage mediengeschulten Taliban haben einen Videoclip ins Netz gestellt, in dem eine lange Fahrzeugkolonne mit hunderten Kämpfern an der Kamera vorbeizieht: Sie bewegen sich nach Angaben der neuen Machthaber in Kabul Richtung Panjshir-Tal, das etwa 150 Kilometer nordöstlich der afghanischen Hauptstadt liegt. Eine Demonstration, dass sie nicht militärisch "überdehnt" sind, wie vom sich langsam organisierenden Widerstand erhofft. Gleichzeitig gibt es Berichte über mögliche Verhandlungen.

In den vergangenen Tagen wurde in der ans Panjshir-Tal angrenzenden Provinz Baghlan gekämpft, Bezirke von den Taliban verloren und teilweise wieder zurückerobert. Das Tal der fünf Löwen – das bedeutete Panjshir – wurde während des ersten Taliban-Emirats in Kabul (1996–2001) nie eingenommen und wird jetzt zum Zentrum der Nachfolger der damaligen Nordallianz.

DER STANDARD

Das Tal, das hauptsächlich von Tadschiken bewohnt wird, hat nur einen Eingang: Das erleichtert die Verteidigung, birgt aber auch die Gefahr des Eingeschlossenwerdens. Die Tadschiken stellen die zweitgrößte ethnische Gruppe in Afghanistan, nach den Paschtunen.

Die tragende Figur des heutigen Widerstands hat einen klingenden Namen: Ahmad Massoud, der Sohn des afghanisch-tadschikischen Nationalhelden Ahmed Shah Massoud, der von Al-Kaida am 9. September 2001, also zwei Tage vor deren Anschlägen in den USA, getötet wurde. In der Zeit des Kampfes gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans (1979–1989) erwarb er sich den Titel "Löwe von Panjshir".

Die neuen "Mujahedin"

Ahmed Massoud, geboren 1989 – im Jahr des Abzugs der Sowjets –, kündigte den Kampf gegen die Taliban am 18. August in einem Gastkommentar in der Washington Post an, im Namen der "Nationalen Widerstandsfront Afghanistans". Der Titel war für manche irritierend: "Der Mujahedin-Widerstand gegen die Taliban beginnt jetzt. Aber wir brauchen Hilfe."

Mujahedin sind religiöse islamische Kämpfer, im Falle Afghanistans historisch jene, die von den USA über Saudi-Arabien und Pakistan gegen die Sowjets unterstützt wurden. Die Taliban sind ja auch nichts anderes als eine spezielle Entwicklung einer paschtunischen Mujahedin-Gruppe. Gotteskrieger sind Massouds neue Mujahedin aber wohl nicht: Es soll betont werden, dass der Taliban-Islam eben nicht der wahre ist – was in Afghanistan nach zwanzig Jahren Präsenz westlicher Ausländer manche glauben mögen; anders wäre der Siegeszug im August nicht möglich gewesen.

Verhandlungen und Kampf

Der zweite Exponent der Widerstandsbewegung ist Amrullah Saleh, ebenfalls Tadschike, ebenfalls aus dem Panjshir-Tal: Zuvor Vizepräsident, hat er sich nach der Flucht Ashraf Ghanis selbst zum Interimspräsidenten ernannt. Auch er wirbt um westliche Unterstützung und betont, dass eine Verhandlungslösung und eine inklusive Regierung mit den Taliban – über die es ein Referendum geben müsse – möglich seien, aber dass eine religiöse Herrschaft der Taliban nicht akzeptabel sei. Auch Ahmed Massoud ist zu Verhandlungen bereit, sagt er – aber auch zum Kampf.

Mit dabei ist auch Bismillah Khan Mohammadi, General und Verteidigungsminister, ebenfalls aus dem Panjshir-Tal. Ob die neue Widerstandsallianz dort wirklich alle hinter sich hat, ist nicht ganz klar. Es dürfte Druck geben, den Krieg zu vermeiden und sich zu einer gemeinsamen Regierung mit den Taliban einzulassen.

Die Verbindung zwischen Massoud und Saleh dürfte nicht allen passen. Auf Twitter tauchte eine angebliche Wortmeldung des Onkels und Schwiegervaters Massouds auf, der sie kritisierte. Zuvor war jedoch vonseiten der Taliban in Kabul fälschlicherweise verkündet worden, dass Massoud sich ihnen gefügt habe: An Spins und Desinformationskampagnen ist kein Mangel.

Der Konflikt hat einen Ableger in den Social Media, wo besonders deutlich pakistanisch-indische Spannungen zutage treten. "Die Verräter und Söldner aus dem Panjshir werden wie der indische Hund Ashraf Ghani flüchten", schreibt etwa ein pakistanischer Student. Amrullah Saleh wiederum hatte Pakistan per Twitter beschuldigt, Afghanistan mithilfe der Taliban "schlucken" zu wollen.

Warlords melden sich wieder

Zumindest derzeit konzentriert sich der Widerstand auf das Panjshir-Tal. Wie viel Potenzial er in anderen Regionen und unter anderen Ethnien als Tadschiken hat, ist noch schwer abzuschätzen. Als der Vormarsch der Taliban begann, meldeten sich einige alte, berühmte Warlords kampfeswillig zu Wort.

Einige wurden inzwischen gedemütigt, so wurde etwa das Haus des Usbeken-Generals Rashid Dostum in Mazar-i-Sharif von Taliban eingenommen, ein Hit auf Youtube. In Herat wurde der 75-jährige Tadschike Ismail Khan festgenommen.

Andere berühmte Namen scheinen unter den möglichen Verhandlern auf, wie jener des Türkei-nahen Paschtunen Gulbuddin Hekmatyar, neben denen von Politikern wie Exregierungschef Abdullah Abdullah und Expräsident Hamid Karzai. Letztere sollen im Auftrag der Taliban mit Ahmed Massoud verhandeln. Die Taliban haben aber auch schon einen Militärkommandanten für eine Operation im Panjshir-Tal ernannt, schreibt der Nahostwissenschaftler Reinhard Schulze auf Twitter. Es handle sich um den Tadschiken Qari Fasihuddin, den langjährigen Taliban-Kommandanten von Badakhshan. (Gudrun Harrer, 24.8.2021)