CDU-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer in der Kritik.

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Spricht man in der Berliner Politik die Lage in Afghanistan an, dann folgt meist ein tiefes Seufzen. Bei aller Sorge um die Menschen dort – die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD wissen auch, dass dieses Thema die heiße Phase des Wahlkampfes beeinflusst.

Immerhin ist man sich parteiübergreifend einig: Man hat den Vormarsch der Taliban falsch eingeschätzt. "Es gibt da nichts zu beschönigen. Es gebietet die Ehrlichkeit, das in aller Form so einzugestehen", sagt der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD). Auch Kanzlerin Angela Merkel räumte ein, man habe die "Widerstandskraft der afghanischen Armee falsch eingeschätzt".

So weit, so einig. Doch da ist ja auch noch die Frage, wer an dem Schlamassel in Berlin eigentlich die Schuld trägt. Diesbezüglich herrscht Uneinigkeit, vielmehr zeigen diverse Regierungsmitglieder gegenseitig aufeinander.

Viel Kritik trifft Außenminister Maas. Schon im Juni hatten die Grünen im Deutschen Bundestag den Antrag gestellt, dass man afghanische Helfer und Helferinnen der Bundeswehr sofort in Sicherheit bringen solle. Doch der Antrag wurde mit Stimmen von SPD, Union und AfD abgelehnt.

Alle sind schuld

Maas erklärte im Juni, er gehe nicht davon aus, dass die Taliban schon in wenigen Wochen "das Zepter in der Hand" hätten. Laut ARD hatte die deutsche Botschaft zu diesem Zeitpunkt aber schon wochenlang vor einer Gefährdung ihres Personals gewarnt.

"Die Fehleinschätzungen, die es gegeben hat, die haben alle getroffen", verteidigt sich Maas. Und er fügt hinzu, für wen dies alles so gelte: "für die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft". Am Sonntag wurde SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im ZDF-Interview gefragt, ob Maas denn in der nächsten Bundesregierung wieder dabei sein solle. Doch Scholz wich aus, er sagte bloß, es gehe jetzt einmal darum, so viele Menschen wie möglich zu retten.

Die viele Kritik an Maas will die SPD aber auch nicht hinnehmen. Sie schießt sich wiederum auf Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) ein. Dem nämlich unterstehen die Geheimdienste.

Ein Vertreter des Bundesnachrichtendienstes (BND) hat laut Spiegel noch wenige Tage vor der Eroberung Kabuls im Krisenstab der Bundesregierung erklärt, die Taliban hätten derzeit kein Interesse an einer militärischen Einnahme der afghanischen Hauptstadt. Carsten Schneider, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, will von Braun jetzt wissen, wie diese Einschätzung zustande kam.

Und der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich kritisiert, dass man das Versagen jetzt Maas "in die Schuhe schieben will, das empfinde ich als perfide".

Die SPD hat noch ein anderes Regierungsmitglied im Blick: Innenminister Horst Seehofer (CSU). Dieser habe afghanischen Ortskräften viel zu spät eine unbürokratische Einreise nach Deutschland ohne gültige Papiere ermöglicht.

Zu viel Bürokratie

Das wiederum will Seehofer nicht auf sich sitzen lassen. "Für die Vergabe von Visa sind nicht wir zuständig", sagt er und betont, sein Innenministerium müsse lediglich die Sicherheitsfreigabe erteilen. Der Rest liege beim Außenamt.

So lange Kabul noch mit Linienmaschinen angeflogen worden sei, habe es eben ein Visum gebraucht. Jetzt aber, bei Evakuierungsflügen, könne das Verfahren dazu auch erst auf deutschem Boden stattfinden, ebenso die Sicherheitsüberprüfung.

Wütend auf Maas und Seehofer ist die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Mit Chartermaschinen hätte die Bundeswehr am 25. Juni, vier Tage vor ihrem Abzug, rund 300 Personen (afghanische Ortskräfte und ihre Familien) ausfliegen wollen. Die Aktion ist aber an Streit über Visa- und Passanforderungen gescheitert, Kramp-Karrenbauer hat die Flüge dann abgeblasen.

Sie kündigte am Montag bei Bild TV an, nach dem Ende der Rettungsmission eine Bilanz und möglicherweise dann auch ganz persönliche Konsequenzen ziehen zu wollen: "Was immer da vor Ort passiert: Ich halte den Kopf hin", sagte Kramp-Karrenbauer. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter hat mittlerweile offen eingeräumt, es sei ein "großer und gravierender Fehler" gewesen, den Grünen-Antrag vom Juni zur Evakuierung im Bundestag abzulehnen. (Birgit Baumann aus Berlin, 23.8.2021)