Ein Roboter zum Packerlschupfen? Experten sehen für die Zukunft eher mobile Zustellstationen, die Empfänger informieren, wenn sie in der Nähe sind.

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Die rasante technische Entwicklung von Artificial Intelligence und Robotik im vergangenen Jahrzehnt nährte früh die Hoffnung, dass autonom agierende Roboter unmittelbar vor ihrer Praxistauglichkeit stünden. Ein Schauplatz des mittlerweile abgeflauten Hypes war die Logistik.

Seit einigen Jahren werden immer wieder Zustellroboter erprobt, die die zahllosen Lieferwagen in den Innenstädten ersetzen sollten. Breite Praxislösungen sind dennoch kaum vorhanden. Neue Techniken für Routing und Navigation werden eher eingesetzt, um menschliche Mitarbeiter effizienter zu machen.

Das bedeutet aber nicht, dass die automatischen Zusteller nicht kommen. Das werden sie. Investitionen und Expertenprognosen lassen kaum Zweifel daran. Doch wie auch bei den jahrelang beschworenen autonomen Pkws zu sehen ist, braucht gut Ding Weile. Die ersten computergesteuerten Briefträger werden wohl in überschaubaren und abgegrenzten Bereichen Einsatz finden – beispielsweise auf einem Unicampus.

Auf Rädern durch den Campus

So soll auf dem Campus der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) auch bald regelmäßig ein Roboter auf Rädern unterwegs sein – in einem weiteren Feldversuch. Längst geht es nicht mehr nur um die Entwicklung von Navigation und Steuerung, sondern auch um die Frage, wie die Roboter in ihr menschliches Umfeld eingebettet werden sollen. Wie sollen sie mit Menschen kommunizieren? Wie kann man für eine bessere Akzeptanz der Technik sorgen?

In dem Projekt, bei dem der Lehrstuhl für Nachhaltige Transportlogistik 4.0 der JKU, die FH Technikum Wien, der Industriedienstleister IAV und die österreichische Post AG kooperieren, wurde ein Prototyp geschaffen, der als Basis für künftige mobile Paketstationen der Post dienen kann.

"Das entwickelte System gibt uns die Gelegenheit zu erforschen, wie ein Roboter für die ,letzte Meile‘ funktionieren kann", sagt Projektkoordinator Gerd Krizek von der FH Technikum Wien. "Es braucht Modelle wie dieses, um zu erproben und zu evaluieren, was tatsächlich möglich ist." Unterstützung kommt vom Klimaschutzministerium via Förderagentur FFG.

Roboterwahrnehmung

Einem technischen Gerät die Fähigkeit zu vermitteln, inmitten von Fußgängern, Radfahrern, Autos und anderen Verkehrsteilnehmern sicher zu navigieren, ist keine triviale Aufgabe. An der JKU Linz haben die Forschenden rund um Lehrstuhlleiterin Cristina Olaverri-Monreal dem Prototypen – offiziell Last-Mile-Delivery-Roboter (LMDBot) – deshalb eine ganze Reihe von Möglichkeiten gegeben, die Umgebung wahrzunehmen: Ein Lidar-System tastet hochauflösend ein 360-Grad-Umfeld per Laserlicht ab. Kamerasysteme dienen einerseits der Erkennung von Menschen und Tieren über ihre Infrarot-Wärmesignatur. Andererseits nutzt man neuronale Netze, um Objekte aus Bildern ableiten zu können, erklärt Olaverri-Monreal im E-Mail-Interview.

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Eine Schwierigkeit dabei ist, die Sensordaten sinnvoll zu einem Gesamtlagebild zu verbinden. "Sensoren arbeiten nicht immer reibungslos. So kann beispielsweise eine Kamera vom Sonnenlicht geblendet werden oder ein Radargerät gestört werden", sagt die Forscherin.

Um eine genaue Darstellung der Umgebung zu erzeugen und fundierte Entscheidungen treffen zu können, werden die Sensordaten zusammengeführt. "Die gleichzeitige Betrachtung der verschiedenen Datenquellen erhöht die Sicherheit des Systems", so Olaverri-Monreal. Per Sensorfusion können etwa Tiefeninformationen zu jedem Bildpunkt der Aufnahmen zugeordnet und damit Entfernungen von Objekten abgeleitet werden.

Simulierte Testumgebung

Um eine korrekte Arbeitsweise sicherzustellen, wird das Robotersystem durch eine simulierte Testumgebung geschickt, die an der JKU für solche Zwecke entwickelt wurde. Hier werden sowohl die Physik des Roboters als auch das Einsatzumfeld des JKU-Campus samt Objekten und Menschen simuliert, um die Algorithmik des Roboters zu prüfen und zu adaptieren.

Das System errechnet für jedes bewegte Objekt in unmittelbarer Umgebung eine Trajektorie, also einen voraussichtlichen Bewegungspfad, der auch in die eigene Wegplanung einfließt. Menschen, die einander auf der Straße begegnen, nutzen aber auch nonverbale Kommunikation, um ihre Wege zu koordinieren, etwa ein Blickkontakt mit dem Autofahrer, der anzeigt, dass es sicher ist, die Straße zu überqueren; Roboter brauchen eigene Systeme, um Kontakt mit der Umgebung aufzunehmen und sich kommunikativ einzubetten.

"Der Roboter wird mit visuellen, haptischen und akustischen Geräten ausgestattet, etwa einem Bildschirm oder Lautsprecher", erklärt Olaverri-Monreal. Er kann so etwa den geplanten Pfad visualisieren und sogar "Reaktionen und Emotionen der Menschen durch Gesten- und Gesichtserkennung in Entscheidungsprozesse einbeziehen".

Mittels akustischer Signale soll anderen Verkehrsteilnehmern vermittelt werden, dass der Roboter sie wahrgenommen hat. Steht der Roboter vor der Tür und ist bereit für die Paketübergabe, schickt er an den Adressaten eine Benachrichtigung via Smartphone.

Neugier und Akzeptanz

Es ist klar, dass die ersten Einsätze eines derartigen Gerätes Neugier auslösen. Mit der Zeit soll daraus Akzeptanz werden. "Während unserer letzten Tests waren viele Kinder auf dem Campus. Sie haben ununterbrochen Fragen zum Roboter gestellt", sagt die Wissenschafterin.

Die Erforschung des Geräts in der Praxis soll schließlich Informationen liefern, wie Kunden auf die automatisierte Zustellung reagieren. Wie schnell der Schritt in die Praxis nun tatsächlich erfolgen könnte, darüber gibt sich die Post als Projektpartner bedeckt. "Wir gehen davon aus, möglichst bald weitere Tests in der Praxis durchführen zu können", wird dort nur verlautet.

Wie eine Praxislösung tatsächlich aussehen könnte, ist auch für Koordinator Krizek noch kaum absehbar. "Es gibt ungeklärte ethische und juristische Fragen. Hier gibt es noch viel Gestaltungsfreiraum für die Politik. Es muss sich ein gesellschaftlicher Konsens etablieren", sagt der Experte.

"Unsere ,toy models‘ sind dazu da, den Betrieb innerhalb gewisser Grenzen auszuprobieren. Studierende können so an Realsystemen arbeiten. Doch die Entwicklung kann – etwa vom Zustellschwarm kleinerer Roboter bis zum größeren Lieferfahrzeug – noch in alle Richtungen gehen." (Alois Pumhösel, 25.8.2021)