Vertreterinnen von Opferschutzeinrichtungen fordern 228 Millionen Euro mehr für ihre Arbeit.

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Anlässlich des am Dienstag in Wien stattfindenden Mordprozesses – ein Mann wird beschuldigt, seine Freundin am 23. Februar in der gemeinsamen Wohnung in Favoriten getötet zu haben, ein Bericht vom Prozess folgt – haben sich Opferschutzorganisationen mit Forderungen gemeldet, um Morde bzw. Femizide zu verhindern. Denn in besagtem Fall ging offenbar einiges schief: Die später getötete Frau musste wegen Gewalt zwischen ihr und ihrem Partner im Krankenhaus versorgt werden, währenddessen suchten Polizeibeamte nach dem Mann, konnten ihn aber nicht finden. Die Frau verließ in der Nacht noch das Spital und fuhr zurück in die Wohnung, wo sie am Morgen tot aufgefunden wurde.

"Wir fragen uns, wie das sein kann", sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Frauenhäuser (AÖF). 17 Frauen seien dieses Jahr bereits von Männern getötet worden, 23 Mordversuche habe es zudem gegeben. "Und es ist immer wieder so, dass die mutmaßlichen Täter polizeibekannt waren." Auch dieser Täter habe "sadistisches Gewaltverhalten" gezeigt, der Exekutive sei er bekannt gewesen, es habe nicht nur in dieser, sondern auch in älteren Beziehungen Gewalt – und Anzeigen sowie Wegweisungen – gegeben. Auch die Bewährungshilfe sei involviert gewesen. "Also, alle Behörden wussten Bescheid – und trotzdem kam es zu dem Mord. Das ist unfassbar und nicht tolerierbar", sagt Rösslhumer.

Schuldumkehr finde oft statt

Immer mehr Frauen fühlten sich von den Behörden im Stich gelassen, spannt sie den Bogen zu den allgemeinen Problemen abseits des konkreten Falles. "Immer mehr berichten von der Schuldumkehr, von unterlassener Hilfeleistung. Immer mehr berichten davon, dass sie als Täterinnen dargestellt werden, als Gefahr für die Männer." Ein negativer Trend sei auch, dass viele Frauen von der Polizei weggewiesen werden, sagt Rösslhumer. "Seine Kratzer werden oft ernster genommen als die Blutergüsse von ihr."

Was sie deswegen fordert: verpflichtende Nachschulungen der Exekutive – und der Justiz. "Damit die Behörden besser Bescheid wissen, was Frauen wirklich brauchen, wenn sie um Hilfe ansuchen." Auch das medizinische Personal müsse besser geschult werden – damit in Fällen wie dem gegenständlichen die Frauen nicht wieder zum Gefährder geschickt werden.

Berichte von Müttern

Dass dies passiert, dafür lieferte Andrea Czak am Dienstag Erfahrungsberichte von drei verschiedenen Müttern. Czak ist Obfrau des Vereins feministischer Alleinerzieherinnen und weist darauf hin, dass viele mit Anzeigen bei der Polizei zunächst überhaupt kein Gehör bekommen hätten, "erst als sie mit Unterstützung der Interventionsstelle gegen Gewalt kamen, wurden sie ernst genommen". Ständig passiere Täter-Opfer-Umkehr. Czak verliest Erfahrungsprotokolle, in denen Mütter von abgewiesenen einstweiligen Verfügungen berichten, von nichtangehörten Zeuginnen und Zeugen, von Richtern, die Frauen "eingebildete Gewalt" vorwerfen würden. Das Resultat sei, dass viele Frauen aus Angst und Scham über erlebte Gewalt schweigen würden, sagt Czak. Auch sie ist der Meinung: Es braucht Schulungen – etwa zu geschlechtsspezifischer Gewalt, für Richterinnen und Richter, aber auch bei der Polizei.

Rosa Logar, Leiterin der größten Opferschutzeinrichtung Österreichs, der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, schließt sich dem an. Sie erkennt bei der Polizei ein "Leitungsproblem": Denn es sei schließlich die Leitungsebene, die Schulungen anordnen müsste, die Monitoring durchführen sollte. "Es liegt uns fern, einzelne Menschen anzuschwärzen. Wir alle wollen bestmögliche Unterstützung und Beratung bekommen."

Kritik an Investitionen in Täterarbeit

Dafür brauche es vor allem eines: Austausch zwischen den Behörden und den Einrichtungen. Dieser finde aber viel zu wenig statt, sagen Rösslhumer und Logar. Ein Beispiel: Ab nächster Woche sollen weggewiesene Täter eine sechsstündige Beratung bekommen. "Wir wissen nichts darüber", sagt Rösslhumer. Inhalt, Kriterien und die Frage, ob es geschultes Personal für die Beratungen gibt, seien ihnen nicht kommuniziert worden. "Wir fordern das Innenministerium und die Anbieter auf, uns zu informieren. Wir brauchen diesen Austausch."

Ganz generell sehen die Opferschützerinnen die neuesten Investitionen in die Täterarbeit skeptisch. Im Frühjahr verkündete die Regierung ja, mehr Mittel bereitzustellen, um Femizide zu verhindern, Opfer zu schützen und auch die rechtliche Verfolgung von Gewalt zu verbessern – insgesamt knapp 25 Millionen Euro an zusätzlichem Budget. Davon würden insgesamt 14 Millionen Euro in Täterarbeit fließen, sagten die Vertreterinnen der Opferschutzeinrichtungen am Dienstag. Für sie eine "Schieflage". Man dürfe "keine Illusionen haben, was Täterarbeit bewirken kann", sagt Logar dazu. Dass sich dadurch sofort etwas am Verhalten der Männer ändere, sei ein Irrglaube. Außerdem sei Täterarbeit auch auf anderen Ebenen gegenüber dem Opferschutz bessergestellt. So sei im Bewährungshilfegesetz festgelegt, dass ein Berater auf höchstens 35 Klientinnen bzw. Klienten kommen dürfe. Ein analoges Gesetz wünscht sich Logar für den Opferschutz, wo auf eine Beraterin etwa 300 Opfer kämen.

Bedingte Strafen nach neuerlicher Gewalt aufheben

Auch ein anderes konkretes Problem sieht Logar – und zwar, dass, wenn bedingte Strafen verhängt wurden und es zu neuerlicher Gewalt kommt, diese nicht sofort widerrufen werden können. "Das kann nicht sein. Bei neuerlicher Gewalt muss es sofort Konsequenzen geben. Das ist ein ganz problematisches Signal jetzt: Mir passiert eh nichts, wenn ich das tue." Es brauche außerdem unabhängige Kommissionen, die Mordanalysen machen. Ein ähnliches Instrument – die Mara-Fallkonferenzen – hat es ja bereits gegeben, damals seien pro Jahr 80 Fälle von Gefährdern besprochen worden. "Da sind wir momentan weit entfernt", sagt Logar.

Die Vertreterinnen der Opferschutzeinrichtungen schließen mit einem Appell für nachhaltige Politik, für einen Aktionsplan gegen Femizide. Einen solchen gebe es aber nach wie vor nicht. (Lara Hagen, 24.8.2021)