Vermehrte Gewitter können Asthma verschlimmern. Extreme Hitze und weitere Stressfaktoren erschweren sogar neurologische und psychische Erkrankungen.

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Hitzewellen, Luftverschmutzung, neue Krankheitserreger: Der Klimawandel stellt uns nicht nur bei katastrophalen Einzelereignissen vor schwerwiegende Probleme. Unser Körper wird durch die sich verändernde Umwelt stets vor neue Herausforderungen gestellt – und die Prognosen verheißen keine Besserung, im Gegenteil.

Nicht alle Folgen sind dabei offensichtlich. Experten wie Claudia Traidl-Hoffmann versuchen daher, die facettenreiche Problematik ins Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. Am Uniklinikum Augsburg erlebt die Allergologie-Spezialistin die Folgen des Klimawandels regelmäßig in ihrem Berufsalltag. Diese kommuniziert sie unter anderem in der Lehre an der Universität Augsburg und der TU München. In ihrem Buch "Überhitzt" wendet sie sich an die breite Öffentlichkeit.

STANDARD: Das National Bureau of Economic Research prophezeit bei einer Erwärmung von mehr als drei Grad mehr Tote durch Klimawandelfolgen als durch alle Infektionskrankheiten. Ist das Pessimismus, oder fürchten Sie Ähnliches?

"Auch Gesunde haben Anpassungsgrenzen. Letztlich ist die Menschheit die vulnerable Gruppe", sagt Claudia Traidl-Hoffmann.
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Traidl-Hoffmann: Ich befürchte, dass diese Schätzung sehr realistisch ist. Wir hatten schon 2003 rund 6.000 Hitzetote in Deutschland, die Schätzungen gehen allerdings von 60.000 Toten aus. Bei Corona wissen wir genau, wie viele Tote es gibt. Bei Infektionskrankheiten besteht teils Meldepflicht. Aber Hitzetod ist keine meldepflichtige Erkrankung, vielmehr führen während der Hitze unterschiedliche Voraussetzungen zum Tod.

STANDARD: Was kommt auf uns zu?

Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel macht von Kopf bis Fuß krank. Er fördert Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle. Diabetes nimmt zu, der Fettstoffwechsel ist beeinträchtigt. Allergien steigen massiv, auch weil Pollen aggressiver werden und wir neue Pollen wie die des Traubenkrauts in Europa haben. Dazu kommen neue Infektionen, da etwa die Tigermücke bei uns angelangt ist und neue Erreger überträgt. Wir haben das Virus, das West-Nil-Fieber verursacht, in unseren Breiten; auch Dengue-Fieber, Borreliose, FSME. All diese Dinge werden zunehmen.

Aggressive Pollen wie Ragweed werden durch den Klimawandel begünstigt.
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STANDARD: Sind unsere Gesundheitssysteme dafür gerüstet?

Traidl-Hoffmann: Wenig bis gar nicht. Wobei man zugeben muss, dass die Medizin in den vergangenen Monaten in zweifacher Hinsicht aufgewacht ist. Erstens merkt sie, dass der Klimawandel in Europa angekommen ist, da Menschen an Klimawandelfolgen erkranken und sterben. Zweitens, und das ist eine bittere Wahrheit, steht der Gesundheitssektor beim CO2-Ausstoß weltweit selbst an fünfter Stelle. Wir haben also eine doppelte Verantwortung. Wir müssen vor unserer eigenen Tür kehren und zusehen, dass der Gesundheitssektor klimaangepasst agiert.

STANDARD: Merken Sie einen Bewusstseinswandel? Gibt es Initiativen, die aus dem Gesundheitssektor selbst kommen?

Traidl-Hoffmann: Ich bin selbst sehr aktiv in der Allianz für Klimawandel und Gesundheit, in der auch Österreicher vertreten sind. Im Herbst gibt es einen deutschen Ärztetag, der sich nur um Klimawandel und Gesundheit kümmert. Das Thema wurde bereits in die Fortbildung aufgenommen. Ich bin derzeit in einer Kommission, in der wir die entsprechenden Inhalte für das Medizinstudium implementieren. Hätten wir vor einem Jahr darüber gesprochen, hätte ich nur von fünf Prozent der Ansätze erzählen können, die jetzt erprobt werden. Es ist auch so, dass jeden Tag neue Kolleginnen und Kollegen hinzukommen, die ebenfalls aktiv werden.

STANDARD: Wie wappnen wir uns für den Gesundheitsnotfall Klimawandel in seiner ganzen Bandbreite?

Traidl-Hoffmann: Das muss inter- und transdisziplinär geschehen. Wir müssen alle an einen Tisch bringen und die großen Hebel identifizieren. Etwa die Stadtplanung, da der Mensch der Zukunft in der Stadt lebt. Wir müssen Städte so anlegen, dass sie uns gesund halten, sie begrünen, Schadstoffe reduzieren, Städte am besten autofrei machen. Natürlich müssen wir auch die großen CO2-Produzenten identifizieren. Der ganz große Hebel ist, Kohlekraftwerke abzuschalten und auf alternative Energien zu setzen.

Hochwasser – wie heuer in Hallein – werden künftig klimabedingt zunehmen.
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STANDARD: In Ihrem Buch schreiben Sie von politischer Ignoranz, dabei befürworten Menschen weltweit mehrheitlich Strategien gegen die Klimaerwärmung. Hinkt die Politik dem Volk und den Experten hinterher?

Traidl-Hoffmann: Genauso ist das. Ein deutscher Kanzlerkandidat sagte angesichts der Hochwasserkatastrophe in Deutschland, wegen dieses einen Tages ändern wir die Politik nicht. Aber gerade weil sie sich nicht ändert, haben wir solche Tage. Es ist höchste Zeit, dass die Politik aktiv wird und auch ungemütliche Entscheidungen trifft. Und nicht immer nur daran denkt, sich beim nächsten Mal wieder wählen zu lassen. Es geht jetzt wirklich um die Wurst.

STANDARD: Braucht es noch mehr Druck aus der Bevölkerung? Fridays for Future ist ein großartiger Start, aber die Bewegung beschränkt sich hauptsächlich auf junge Menschen.

Traidl-Hoffmann: Das stimmt, aber es gibt auch Scientists for Future, Parents for Future, Omas for Future. Die jungen Leute haben einen wahnsinnig tollen Schritt gemacht, vor allem Greta Thunberg hat mit ihrem Engagement vieles losgetreten. Daneben gibt es natürlich andere Engagierte, in Deutschland etwa Luisa Neubauer. Interessanterweise bewegen zurzeit vor allem junge Frauen sehr viel. Und ja, es sind junge Menschen, die aber durch zahlreiche wache Erwachsene unterstützt werden.

STANDARD: Wir erleben Wetterextreme und enorme Temperaturgefälle, die etwa Schlaganfälle fördern. Was kommt außerdem hinzu?

Traidl-Hoffmann: Wir haben vermehrt Gewitter, was auch bei uns in Europa mit dem Thunderstorm-Asthma einhergehen kann. Durch elektromagnetische Kräfte und besondere Windströmungen platzen Pollen auf, und so dringen kleinste Pollenpartikel tiefer in feine Lungengefäße vor. Von allem kommt mehr auf uns zu: mehr Gewitter, mehr Asthma, mehr Flutkatastrophen, mehr Tote. Ich bin jetzt 51 Jahre alt, aber dass einmal eine Tornadowarnung für Deutschland kommen würde, hätte ich nicht vermutet.

STANDARD: Welche psychischen Spuren hinterlassen extreme Ereignisse wie Orkane, Überflutungen und enorme Hitzewellen?

Traidl-Hoffmann: Die mentale Gesundheit wird auf unterschiedliche Weise stark in Mitleidenschaft gezogen. Erstens durch diese akuten mentalen Belastungen durch Katastrophen, bei denen jemand sein Haus oder nahestehende Menschen verliert. Zweitens verschlechtert extreme Hitze mentale beziehungsweise neurologische Erkrankungen wie Depressionen, Alzheimer oder multiple Sklerose. Hinzu kommt auch die Zukunftsangst, die insbesondere junge Menschen ergreift. Etwa wenn ich darüber nachdenke, wie es sein kann, dass die Politik nicht reagiert und wir es immer noch nicht hinbekommen haben, Handlungen gegen den Klimawandel zu setzen. Diese Ohnmacht geht auch auf die mentale Gesundheit.

STANDARD: Wenn wir von Eco-Anxiety – also von der Angst vor dem Klimawandel und seinen Folgen – sprechen, lehrt die Psychologie, dass überfordernde Dinge lähmend wirken können. Wie können wir damit umgehen?

Traidl-Hoffmann: Das stimmt, doch genau das darf jetzt nicht sein. Wir brauchen keine Lähmung, wir brauchen Aktivität und eine Transformation der Gesellschaft. Schon Albert Einstein sagte: Wir können ein Problem nicht mit denselben Denkstrukturen lösen, in denen das Problem entstanden ist. Deswegen müssen wir nachdenken, was uns dazu geführt hat, dass wir in dieser Klimakrise stecken. Ich habe erst am Wochenende mit meinem Nachbarn über nötige Einschränkungen oder Änderungen des Lebensstils gesprochen. Er meinte, das sei ja alles ein Rückschritt. Doch es geht nicht anders, als ein Stück zurückzutreten und die Natur in die Gleichung miteinzubeziehen. Im Bruttoinlandsprodukt ist nie impliziert, welchen Raubbau wir an der Natur tätigen. Würde man das einbeziehen, hätten wir ein sehr schlechtes BIP.

Die Bewegung Fridays for Future setzt sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel ein.
Foto: EPA / Constantin Zinn

STANDARD: Weder Umweltzerstörung noch Ökosystemdienstleistungen fließen ins BIP ein. Was entgegnen Sie Menschen, die wirtschaftliche Interessen über den Klimaschutz stellen?

Traidl-Hoffmann: Viele glauben, dass Klimaschutz zu teuer ist und wir ihn uns nicht leisten können. Es gibt eine Kalkulation, nach der das BIP um vier Prozent sinken wird, wenn wir etwas für den Klimaschutz tun. Es wird aber um 20 Prozent sinken, wenn wir nichts tun. Oder um es mit einem Spruch zu sagen: Wer glaubt, dass Wirtschaft wichtiger ist als die Gesundheit, der soll einmal sein Geld zählen, während er die Luft anhält.

STANDARD: Müssen wir die Frage stellen, was es tatsächlich für ein gutes Leben braucht?

Traidl-Hoffmann: Das ist die zentrale Frage, die jeder recht schnell beantworten kann. Insbesondere die, die schwer krank sind oder waren. Es ist nur die Gesundheit, die wir am Ende brauchen.

STANDARD: Gibt es einfache und günstige Wege, um auf Gesundheit und Klima zu achten?

Traidl-Hoffmann: Alles, was ich selbst tun kann, kann ich immer für mich und für das Klima tun. Wenn ich mit dem Fahrrad anstatt mit dem Auto fahre, dann bringt mir das etwas – und auch dem Klima. Wenn ich fleischarm esse, fördere ich dadurch meine Gesundheit – es bringt aber wiederum auch etwas für das Klima. Es gibt viele doppelte Gewinnsituationen.

STANDARD: Man weiß aus vielen Studien, dass der Naturkontakt oder Bewegung im Freien guttun. Aber mit höheren Temperaturen, Flächenversiegelung und Urbanisierung gehen gerade diese Fluchtorte und Erholungsräume verloren. Wie wirkt sich das aus?

Traidl-Hoffmann: Ich nenne sie die Orte für die medizinische Rehabilitation. Das sind gerade die alpinen Räume, wo wir ganz genau wissen, wie gut es tut, in die hohen Höhen zu kommen. Aber das geht uns in der Tat verloren. Darauf müssen wir achten, sonst haben wir keine Rückzugsorte mehr. Normalerweise haben wir in hohen Höhen sehr wenig Pollen, aber wir sehen sukzessive, dass Pollen in immer größeren Höhen fliegen. Das liegt an der Vegetation, die sich verändert, aber auch am Ferntransport, mit dem Pollen bis auf die Zugspitze getragen werden.

STANDARD: Bisher gelten angesichts der Klimaveränderungen eher Kinder, Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen als gefährdet. Aber muss die vulnerable Gruppe nun weiter gedacht werden?

Traidl-Hoffmann: Letztlich ist die Menschheit die vulnerable Gruppe. Bei der vergangenen Flutkatastrophe in Deutschland stammen die Toten aus allen Bevölkerungsschichten und Altersstrukturen. Hitzebelastung trifft insbesondere Kinder, kranke oder alte Menschen. Wobei ich das Beispiel eines jungen Dachdeckers nennen kann, kerngesund, ein muskulöser Kerl. Der arbeitet fünf Stunden in sengender Hitze, wird bewusstlos, ins Krankenhaus eingeliefert und stirbt innerhalb von drei Stunden, weil er eine Kerntemperatur von 43 Grad hatte. Auch Gesunde haben Anpassungsgrenzen.

STANDARD: Sollte es gegen solche Fälle verpflichtend hitzefrei geben?

Traidl-Hoffmann: Wir können nicht drei Monate lang hitzefrei machen, die Bauten müssen ja vorangehen. Wir müssen allerdings Anpassungsstrategien und Hitzeschutzpläne schaffen und zu anderen Zeiten arbeiten. Nicht umsonst haben Spanier und Italiener ihre Siesta.

STANDARD: Haben neue Klimabedingungen auch eine epigenetische Wirkung?

Traidl-Hoffmann: Es ist absolut der Fall, dass sich unsere Gene durch Umwelteinflüsse ändern, diese Faktoren schalten Gene ein oder aus. Epigenetik ist ein Punkt, über den wir uns anpassen können. Sie kann positive Effekte haben und dazu führen, dass sich der nordeuropäische Körper besser an Hitze adaptiert. Das werden wir nicht in zwei Jahren sehen, das passiert über Jahrzehnte. Selbst hier haben wir aber Grenzen der Anpassung. Im negativen Sinne können wir durch epigenetische Einflüsse empfänglicher und empfindlicher für chronisch entzündliche Erkrankungen werden.

STANDARD: Welche Schritte würden Ihre Arbeit als Umweltmedizinerin künftig erleichtern?

Traidl-Hoffmann: Wir brauchen Frühwarnsysteme für Patienten, etwa durch entsprechende Apps. In der Medizin müssen wir die vulnerablen Gruppen identifizieren, da brauchen wir Gelder für die Forschung und die Transformation, um personalisierte Prävention zu schaffen – um ganz konkret den Asthmatiker während eines Gewitters frühzeitig zu informieren, dass er jetzt gefährdet ist. Dafür müssen wir natürlich wissen, dass er gefährdet ist, und das erfordert einige Schritte. Der Weg führt über die Forschungsförderung, und diese muss vom Staat kommen. (Marlene Erhart, 27.8.2021)