Johannes Mühl will sich mit regenerativer Landwirtschaft besser gegen die Folgen des Klimawandels wappnen.

Foto: Jakob Pallinger

Behutsam steigt Johannes Mühl über das Feld, kniet sich hinunter zu den kleinen Pflanzen, die dort zwischen dem Reis wachsen. "Das ist der Schlüssel zu allem", sagt er, während er mit der Hand über die Erde fährt: Millionen an Bakterien und kleinen Organismen, die sich unermüdlich durch den Boden fressen und laufend gefüttert werden müssen.

Was sie produzieren, ist Humus: der Treibstoff für die Pflanzen auf Johannes Mühls Feld und jener Anteil des Bodens, den Mühl so gut wie möglich steigern will. "Ohne Humus werden wir es gegen den Klimawandel in Zukunft schwer haben", ist er überzeugt.

Johannes Mühl ist Landwirt im niederösterreichischen Marchfeld, wo er auf den knapp 90 Hektar ebenen Flächen, umgeben von dutzenden Windrädern, Reis, Haselnüsse, Quinoa, Karotten, Weizen, Kürbisse und andere Kulturen anbaut – biologisch, aber auch regenerativ, wie er sagt. Denn Mühl sieht sich nicht nur als Biobauer, sondern als Teil einer neuen Bewegung und Initiative, die sich regenerative Landwirtschaft oder Humus-Bewegung nennt. Sie erfährt gerade nicht nur in Österreich, sondern in vielen Ländern Europas Aufwind. Regenerative Landwirtschaft soll das bessere Bio sein und zugleich ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Klimawandel, aber auch der Weg hin zu einer neuen Vermarktung von Lebensmitteln. Bleibt die Frage, ob das Konzept tatsächlich die Zukunft unserer Nahrungsmittelproduktion darstellen wird.

Alles für den Humus

Ganz leicht erklären lässt sich der Ansatz für viele nicht. Im Kern gehe es darum, den Boden so gut wie möglich zu beleben, sagt Mühl. Dafür pflanzt der Landwirt etwa sogenannte Untersaaten: also Früchte, die zusätzlich zu einer anderen auf dem Feld wachsen, eine Art Pflanzen-WG.

Johannes Mühl auf einem Haselnussstrauch-Feld. Durch einen höheren Humusanteil soll der Boden weicher sein und mehr Wasser speichern.
Foto: Jakob Pallinger

Mühl zeigt auf die kleinen Pflanzen, die zwischen den grünen Reishalmen stehen: "Gräser und Pflanzen wie Leindotter und Klee", erklärt er, die Unkraut fernhalten und zum Humusaufbau beitragen sollen. "Das Feld sollte das ganze Jahr über grün sein." Zudem versucht Mühl das Feld möglichst wenig mit dem Pflug zu bearbeiten, um das Gefüge von Bodenorganismen nicht zu zerstören. Dadurch sollen mehr Nährstoffe in die Erde gelangen und dort bleiben, der Boden mehr Wasser speichern und CO2 binden.

Neu ist die regenerative Landwirtschaft nicht. Dieses Konzept tauchte zum ersten Mal bereits in den 1970er-Jahren in den USA auf, wo es darum ging, den Humusaufbau zu fördern. Während der Ansatz jedoch lange Zeit ein Nischendasein fristete, hat er in den vergangenen Jahren immer mehr Unterstützer gefunden. Immerhin rund 50.000 Hektar sollen in Deutschland und rund 2.400 Hektar in Österreich nach diesem Prinzip bewirtschaftet werden. 220 Landwirtinnen und Landwirte sind hierzulande Teil des Humusaufbauprogramms der Ökoregion Kaindorf, die nach diesem Ansatz Lebensmittel produzieren will.

CO2 speichern

"Mittlerweile reden sehr viele Menschen über die regenerative Landwirtschaft, aber kaum jemand weiß, worum es dabei geht", sagt Hubert Stark, Leiter der Humusbewegung, ein Verein, der Landwirtinnen und Landwirte in Österreich hinsichtlich des Themas vernetzen will. Stark versucht es mit folgender Erklärung: Im Prinzip sei es mit dem Boden nicht viel anders als mit unserer Verdauung. Auch im Darm bestimmten wir durch die Ernährung, wie gesund und vielfältig die Bakterien und Mikroorganismen seien. Passe das Verhältnis von Mineralien und Spurenelemente im Boden, gebe es auch dort mehr Leben und infolgedessen eine höhere Fruchtbarkeit. Gleichzeitig lasse sich durch eine stärkere Begrünung der Felder – also mithilfe sogenannter Untersaaten und Zwischenfrüchte – mehr CO2 im Boden binden und damit dem Klimawandel entgegenwirken, sagt Stark.

Im Klimawandel sieht Stark auch den Grund für das größere Interesse an regenerativer Landwirtschaft, sowohl unter konventionellen als auch unter Biobetrieben. "In einigen Regionen in Österreich ist die Landwirtschaft mit immer mehr Aufwand verbunden: Entweder es regnet zu viel oder gar nicht." Dadurch sei der Boden entweder zu trocken oder könne das viele Wasser nicht mehr aufnehmen – und es kommt zu überfluteten Feldern.

Auch Mühl kennt die Probleme. Seit der 46-Jährige den Familienbetrieb vor knapp zwanzig Jahren übernommen habe, sei es immer wieder zu größeren Ausfällen durch Hagel, Trockenheit oder Verschlämmungen gekommen. Gebe es mehr Humus im Boden, sei dieser weicher und könne mehr Wasser speichern.

"Als es vor kurzem einmal fünfzig Liter in der Stunde geregnet hat, habe ich gesehen, dass auf vielen anderen Feldern in der Umgebung das Wasser stand. Bei mir gab es hingegen kaum Schäden", sagt Mühl.

Daniel Stehr betreibt einen konventionellen landwirtschaftlichen Betrieb in Niederösterreich.
Foto: Jakob Pallinger

"Regenerative Landwirtschaft und Humusaufbau sind durchaus sinnvoll", sagt Jürgen Friedel, Wissenschafter am Institut für ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur in Wien. Die Initiative könne auf jeden Fall dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels wie Trockenperioden und Starkregenereignisse zu mindern und einen kleinen positiven Beitrag zur CO2-Bilanz eines Landes leisten.

Allerdings lasse sich Humus im Boden nicht unbegrenzt steigern. "Es gibt eine Sättigungskurve: Ab einem gewissen Punkt nimmt der Boden keine Nährstoffe und Kohlenstoffe mehr auf." Auf Österreichs Äckern gebe es in diesem Bereich allerdings noch viel Luft nach oben.

Fehlende Standards

Das Problem für den Experten: Das Konzept der regenerativen Landwirtschaft sei im Unterschied zu Bio nicht klar definiert, es gebe keine Richtlinien, Kontrollen oder einheitliche Standards. Das führe dazu, dass jeder Betrieb seine eigene Art der regenerativen Landwirtschaft praktiziere und in einigen Fällen weiterhin Herbizide wie etwa Glyphosat einsetze. "Da erkaufe ich mir einige Vorteile des Humusaufbaus durch Pflanzenschutzmittel", sagt Friedel.

Tatsächlich scheint das Konzept der regenerativen Landwirtschaft breit genug zu sein, um auch bei internationalen Konzernen Anklang zu finden. So kündigte beispielsweise das Unternehmen Pepsico kürzlich an, bis 2030 auf rund drei Millionen Hektar Ackerfläche innerhalb der eigenen Lieferkette regenerative Landwirtschaft betreiben zu wollen. Das soll laut Unternehmensangaben mindestens drei Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen und die Lebensgrundlage von 250.000 Landwirtinnen und Landwirten verbessern. Auch der Lebensmittelgigant Nestlé verspricht, bis 2030 die Hälfte seiner Zutaten aus regenerativer Landwirtschaft zu erwirtschaften, um dem Klimawandel entgegenzuwirken.

Teurere Lebensmittel

Passend dazu haben sich einige Landwirtinnen und Landwirte und Unternehmen 2017 zur Regenerative Organic Alliance zusammengeschlossen, die seit kurzem ein eigenes Label für regenerative Landwirtschaft ausstellt. Nicht wenige Lebensmittelerzeuger erhoffen sich davon eine neue Premiumkategorie von Lebensmitteln im Supermarkt, die noch teurer sein soll als biologisch erzeugte Lebensmittel. Als "klimafreundliche" Produkte sollen sie künftig vor allem junge, umweltbewusste Konsumentinnen und Konsumenten ansprechen.

Hubert Stark von der Humusbewegung hält wenig von Labeln für regenerative Landwirtschaft. "Dafür ist es noch zu früh", sagt er. Zudem brauche es dann wieder zusätzliche Kontrollen und Zertifizierungen für Landwirtinnen und Landwirte, von denen es aber ohnehin schon genug gebe.

Humus-Zertifikate

Aber wenn Konsumentinnen und Konsumenten Produkte aus regenerativer Landwirtschaft nicht erkennen und es keine Förderungen gibt, wer soll dann dafür zahlen? Laut Stark hätten einerseits Landwirtinnen und Landwirte durch regenerative Landwirtschaft einen Vorteil, indem sie sich Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel sparen sollen.

Untersaaten sollen Bodenorganismen als Nahrung dienen und so zum Humusaufbau beitragen.
Foto: Jakob Pallinger

Andererseits ließe sich der Ansatz durch CO2-Zertifikate finanzieren. Genau das passiert bereits in der Ökoregion Kaindorf, wo Landwirtinnen und Landwirte pro Tonne eingesparten CO2 30 Euro erhalten und sogenannte Humus-Zertifikate an Lebensmittelhändler verkaufen können. Nicht zuletzt ist Stark davon überzeugt, dass Konsumentinnen und Konsumenten mehr für nährstoffreichere Produkte aus regenerativer Landwirtschaft ausgeben werden. Die höhere Nährstoffdichte in Lebensmitteln soll sich bei Bedarf auch messen lassen.

Einsatz von Glyphosat

"Ich muss auch als Landwirt überleben können", sagt Daniel Stehr. Der 34-Jährige bahnt sich seinen Weg durch ein Maisfeld, in dem die Pflanzen bereits höher sind als er selbst und dicht aneinander stehen. Stehr ist auf der Suche nach Klee, den er im Frühjahr gesät hat und der zum Humusaufbau beitragen soll.

"Da ist ziemlich tote Hose", stellt Stehr fest. Nur ein paar kleine grüne Pflanzen und Gräser sind zwischen dem Mais zu sehen, ansonsten braune Erde und Kukuruz, so weit das Auge reicht.

"Im Moment bin ich noch viel am Probieren", sagt Stehr. Sein Betrieb liegt bei Mistelbach im Nordosten Niederösterreichs: 300 Hektar Land, auf dem er Raps, Zuckerrüben, Sonnenblumen, Getreide und Mais anbaut. 2016 stieg er in den Betrieb ein, vor drei Jahren habe er sich entschieden, auf einem Teil der Fläche regenerative Landwirtschaft zu betreiben. "Es geht noch nicht zu hundert Prozent so, wie ich mir das vorstelle", sagt er. Auch auf Herbizide wie Glyphosat konnte er bisher nicht komplett verzichten.

Umweltschützerinnen kritisieren den Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft.
Foto: AFP/JEAN-FRANCOIS MONIER

Wirtschaftlich wenig Vorteile

Trotzdem stelle er in der Landwirtschaft ein Umdenken fest: Besonders die jüngere Generation von Landwirtinnen und Landwirten merke, dass sich diese Chemikalien nicht so gezielt einsetzen lassen, weshalb es immer "Kollateralschäden" gebe, sagt er. "Aber wenn ich so wirtschaften würde, wie es für die Natur am besten ist, würde ich zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht über die Runden kommen." In den nächsten Jahren will Stehr die regenerative Landwirtschaft auf mehr Felder ausweiten. Er hofft, in spätestens fünf Jahren erste deutliche Verbesserungen im Boden zu sehen.

Auch im Marchfeld sieht Mühl derzeit wirtschaftlich noch wenige Vorteile durch regenerative Landwirtschaft, aber viel Potenzial für die Zukunft. "Wir können als Bio-Bauern viel von konventionellen Betrieben lernen und umgekehrt", sagt Mühl – etwa welche Nährstoffe der Boden braucht und wie diese gefördert werden können. Mühl will außerdem, dass sich die landwirtschaftliche Ausbildung ändert – und die Werte, die darin vermittelt werden. Derzeit sieht er dort eher vor allem die Interessen der Agrarlobby vertreten.

"Es gibt zwei Dinge, die Menschen antreiben: Leidensdruck und Sehnsucht", sagt Hubert Stark. Bisher seien die Landwirte vor allem von Leiden wie zum Beispiel dem Klimawandel getrieben, etwas an ihren Methoden zu ändern. "Ich hoffe, dass uns in Zukunft auch die Sehnsucht antreibt, uns mehr um unsere Böden zu kümmern." (Jakob Pallinger, 10.10.2021)