"Sehr adäquate Männer (...), gut bewaffnet", urteilt Dmitri Schirnow, russischer Botschafter in Kabul, über die Taliban.

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Einen Fan haben die Taliban bereits: Dmitri Schirnow, russischer Botschafter in Kabul, ist voll des Lobes für die Islamisten. "Der erste Eindruck macht sehr viel Hoffnung", sagte er in einem Interview. Die militärische Disziplin und die straffe Organisation beeindruckten den Diplomaten. Mit Kriminellen machten sie kurzen Prozess, lobte er.

Als neue Herren des Landes hätten sie zudem Verantwortung für die Sicherheit der Botschaft übernommen und rund um das Gelände Wachen aufgestellt. "Sehr adäquate Männer (...), gut bewaffnet", urteilte er. Da Mädchenschulen in Kabul weiterhin geöffnet seien, sah er die "Linie der Westler, die behaupten, die Taliban fräßen Frauen", widerlegt. "Sie wollen beweisen, dass ihr Versprechen, dass sie eine sozial verantwortungsbewusste Politik umsetzen wollen, keine leeren Worte sind", um sich so von einer militärisch-politischen Bewegung in eine politische Kraft zu wandeln, sagte Schirnow.

Moskau vorbereitet

Die Machtübernahme der Taliban trifft Moskau nicht unvorbereitet. Der Kreml war bereits lange vor dem Fall Kabuls auf Tuchfühlung mit ihnen gegangen. Schon 2018 hatte Außenminister Sergej Lawrow – am Mittwoch unter anderem wegen Afghanistan in Wien – bestätigt, dass Moskau Kontakte zu den Taliban pflege, "die Teil der afghanischen Gesellschaft" seien. Ziel der Gespräche sei es, sie zu Verhandlungen mit der afghanischen Regierung zu bewegen, so Lawrow damals.

Solche Absichten rückten zuletzt in den Hintergrund, zumal Präsident Ashraf Ghani im Kreml ohnehin als vermeintliche Marionette der Amerikaner nicht beliebt war. Als Anfang Juli eine offizielle Taliban-Delegation unter Führung von Shahabuddin Delawar in Moskau weilte, ging es eher darum, Sicherheitsgarantien zu bekommen.

Diese hat der Kreml erhalten: Delawar versprach, die Interessen Russlands und seiner Verbündeten in Zentralasien zu beachten. Die Taliban würden es niemandem erlauben, afghanisches Gebiet als Basis für Angriffe gegen seine Nachbarländer zu missbrauchen, sagte er. Die Bewegung werde auch nicht versuchen, ihre Ideologie in andere Länder zu exportieren.

Für Russland sind das wichtige Garantien, da Afghanistan an drei Ex-Sowjetrepubliken grenzt. Speziell Tadschikistan betrachtet Moskau weiterhin als eigene Interessenzone.

Afghanistan bietet Russland unter den Taliban zudem politische und wirtschaftliche Perspektiven. Die vergangenen 20 Jahre war Russland von diesen Prozessen praktisch ausgeschlossen, aber Afghanistan ist ein rohstoffreiches Land, das zudem strategisch wichtig ist. Als Vermittler in der Region könnte Russland auch auf der Weltbühne weiter Gewicht gewinnen.

Vertrauen ist gut ...

Prinzipiell glaubt die russische Führung den Versprechen der Taliban. Trotzdem geht sie auf Nummer sicher. Gemeinsame Truppenübungen mit Tadschikistan und Usbekistan sind ein klares Signal der Stärke, das Russland aussendet: Eine Weiterverbreitung fundamentalistischer Ideologien über die Grenze hinaus wird Moskau nicht tolerieren.

Zu groß ist nämlich die Gefahr, die dann an der Südflanke lauert. Der Vormarsch der Taliban hat auch in den mehrheitlich islamischen und zugleich autokratisch geführten GUS-Republiken Unruhe geweckt. In den sozialen Netzwerken dort werden die Taliban teils als vermeintliche Befreier gerufen. Angesichts des politisch immer noch labilen Kaukasus will Russland einen Dominoeffekt vermeiden.

Mit der diplomatischen Anerkennung der Taliban hat es der Kreml daher nicht eilig. Und in Russland bleiben die Taliban weiterhin als Terrororganisation verboten – da mag der Botschafter noch so von "adäquaten Männern" schwärmen. (André Ballin aus Moskau, 25.8.2021)