Wenn es um die Covid-19-Impfung geht, widerspricht Herbert Kickl dem wissenschaftlichen Konsens.

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Er sei zwar nicht stolz darauf, nicht gegen das Coronavirus geimpft zu sein, allerdings sei er es guten Gewissens – das sagte Herbert Kickl, Bundesparteiobmann der FPÖ, am Montag im ORF-"Sommergespräch". Denn: "Die statistische Evidenz ist de facto null", ob und wie die Impfung wirke. Es war nicht Kickls einzige Aussage zur Impfung und Pandemie. Seine wichtigsten Aussagen im Faktencheck.

"Wir haben es mit einer etwas anderen Art der Impfung zu tun"

Kickl spielt hier auf mRNA-Impfstoffe an. Es stimmt, dass diese im Rahmen der Covid-19-Impfung erstmals zugelassen wurden. An der Technologie wird aber bereits seit dem Jahr 1990 geforscht. Seit 2013 wurden verschiedene mRNA-Impfstoffe in klinischen Studien untersucht – darunter Impfstoffe gegen Tollwut, Grippe, das Zika-, Chikungunya- oder das Zytomegalievirus. Das Pharmaunternehmen Moderna testet seit Anfang 2020 einen mRNA-Impfstoff gegen das Zytomegalievirus in einer Phase-2-Studie.

Dass vor den Covid-19-Vakzinen noch kein anderer mRNA-Impfstoff eine Phase-3-Studie durchlaufen hat, hat vor allem finanzielle Gründe: Klinische Phase-3-Studien, in denen der Impfstoff an mehreren tausend Menschen getestet wird, kosten oft mehrere 100 Millionen Euro. Dank großzügiger staatlicher Förderungen war dieser Schritt bei der Covid-Impfung kein Problem.

"Wir haben es mit einer etwas anderen Art des Zulassungsverfahrens zu tun"

Es stimmt: Das Zulassungsverfahren für die Corona-Impfstoffe lief schneller als gewöhnlich. Normalerweise dauert die Prüfung eines Impfstoffes ungefähr ein Jahr. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat zwischen 150 und 210 Arbeitstage für die verschiedenen Schritte des Zulassungsprozesses vorgesehen.

Da es während der Pandemie essenziell ist, Impfstoffe so früh wie möglich zugänglich zu machen, wurde der Ablauf dieses Prüfprozesses abgewandelt. Das bedeutet aber nicht, dass wichtige Prüfschritte weggelassen wurden. Stattdessen haben Schritte, die in einem regulären Prüfverfahren nacheinander durchgeführt werden, parallel stattgefunden.

Im Fall der Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna etwa unternahm die EMA bereits im Oktober erste Schritte für die Zulassung – durch ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren. Das heißt: Die ersten Daten der Zulassungsstudien wurden von der EMA noch vor dem offiziellen Zulassungsantrag eingesehen und ausgewertet. Normalerweise kann ein Zulassungsantrag erst gestellt werden, wenn alle drei Phasen der klinischen Tests absolviert wurden.

Darüber hinaus bewertete die EMA die Daten im Hinblick auf die Erteilung einer bedingten Marktzulassung – sie wird erteilt, wenn Arzneimittel auf ungelöste medizinische Probleme abzielen und gelten einmal nur für ein Jahr. Während dieser Zeit müssen die Pharmafirmen regelmäßig weitere Daten liefern und belegen, dass der Nutzen des Impfstoffs das Risiko von Nebenwirkungen weiterhin übersteigt.

Liegen nach Ansicht der EMA genügend Daten vor, die für den weiteren Einsatz des Impfstoffes sprechen, kann die bedingte Marktzulassung in eine reguläre Marktzulassung umgewandelt werden. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat am Montag in einem vergleichbaren Prozess in diese Richtung entschieden: Sie hat dem Impfstoff von Biontech/Pfizer, der bisher eine Notfallzulassung in den USA hatte, eine vollständige Zulassung erteilt.

"Sie können sich – was bei anderen Impfungen, die ein langes Zulassungsverfahren haben, nicht der Fall ist – Nebenwirkungen holen"

Mehrmals sprach Herbert Kickl ein zentrales Argument von Impfgegnerinnen und -gegnern an: Angesichts des relativ kurzen Entwicklungs- und Erprobungszeitraums der Covid-19-Impfstoffe könnten mögliche Langzeitfolgen nicht entdeckt werden. Das Argument klingt zunächst einmal logisch und einleuchtend, doch genauer besehen ist es weniger plausibel, als es scheint.

In Ausnahmefällen kam es bei Impfungen bereits zu langfristigen Schäden – etwa bei Pockenimpfungen, die selten, aber doch anhaltende Gehirnentzündungen auslösten. Doch diese Gehirnentzündungen waren relativ schnell nach der Impfung aufgetreten. Hier von "Langzeitschäden" zu sprechen sei nicht korrekt, erläutert die Expertin Petra Falb, die als Gutachterin bei der Zulassung von Impfstoffen unter anderem für das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) arbeitet, in ihrem Blog "So funktioniert's!". Übertragen auf die aktuelle Situation wird der Begriff "Langzeitfolgen" falsch interpretiert – nämlich als "Schaden, den die Impfung erst nach langer Zeit verursacht", so die Expertin.

Dass die aktuellen Corona-Impfungen bei den Immunisierten erst Monate danach zu Krankheiten führen könnten, ist natürlich nicht völlig auszuschließen. Tatsächlich hat die Forschung bisher aber beobachtet, dass so gut wie alle Nebenwirkungen innerhalb weniger Tage und Wochen nach Impfungen auftreten.

Ist eine Nebenwirkung aber so selten, dass sie nur bei einer von 50.000 oder 100.000 Personen auftritt, kann sie auch in umfangreichen klinischen Studien nicht entdeckt werden. Denn es braucht eine sehr große Anzahl geimpfter Personen, um sie überhaupt zu erkennen – und bis genug Personen geimpft sind, dauert es normalerweise eine längere Zeit. Das bedeutet: Entscheidender als die Länge des Beobachtungszeitraums war bisher die Größe der Probandengruppen. Im Fall der Covid-19-Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer waren diese mit rund 30.000 und 40.000 Probandinnen vergleichsweise groß.

Trotzdem wurden auch bei den Covid-19-Impfstoffen nach der Zulassung noch äußert seltene Nebenwirkungen entdeckt – etwa Herzmuskelentzündungen oder Thrombosen. Auch hier traten die Nebenwirkungen aber bereits wenige Tage beziehungsweise Wochen nach der Impfung auf.

"Sie können sich weiter infizieren, Sie können weiter krank werden, Sie können schwer krank werden, und Sie können es weitergeben – alles Dinge, die eine Impfung eigentlich verhindern sollte. Nun funktioniert es nicht"

Keine Impfung schützt zu hundert Prozent. Im Fall der Corona-Impfung wurde das auch nie behauptet. Zu Beginn ließen Studien zwar vermuten, dass vor allem mRNA-Impfstoffe – wie jene von Biontech/Pfizer und Moderna – eine hohe Schutzwirkung sowohl vor Infektionen als auch Erkrankungen haben. Mit Delta hat sich das aber geändert. Der Schutz vor Infektionen sank auf 60 bis 80 Prozent ab. Durchbruchsinfektionen werden nun – wie hier von Kickl – oft als Argument gegen die Impfung genutzt.

Allerdings reduziert die Impfung die Ansteckungsgefahr deutlich und bietet vor allem einen sehr guten Schutz vor schwerem Krankheitsverlauf, das zeigen internationale Daten konsequent. Das gilt auch für Impfvorreiter Israel, für das Kickl eine auf den ersten Blick schockierende Statistik zitiert: Dort sind mehr als die Hälfte der Hospitalisierten doppelt geimpft.

Bei der Interpretation dieser Daten muss man aber aufpassen. "Viele sind verwirrt über die Daten, wonach mehr als die Hälfte der in Israel stationär behandelten Patienten geimpft sind, und denken, das bedeute, dass die Impfstoffe nicht wirken", schreibt Jeffrey Morris, Professor für Biostatistik an der University of Pennsylvania, auf Twitter. Seine Analysen zeigen, dass die Daten eigentlich das Gegenteil belegen.

Dazu muss man wissen: Wie viele Geimpften es unter den Krankenhauspatienten gibt, hängt unter anderem davon ab, wie viele Menschen geimpft sind: Je höher die Impfquote, desto größer ist auch der Anteil der Geimpften, die im Krankenhaus landen – aus dem einfachen Grund, dass es mehr Geimpfte gibt als Ungeimpfte.

Morris berechnete deshalb den Anteil der Covid-19-Krankenhausfälle unter allen Geimpften und verglich ihn mit dem Anteil der Krankenhausfälle unter den Ungeimpften: Bei Geimpften lag der Anteil um 67,5 Prozent niedriger als bei Ungeimpften. Das heißt: Die Impfung reduziert das Risiko, mit Covid-19 ins Krankenhaus zu kommen, um gut zwei Drittel.

Berücksichtigt man zudem die unterschiedlichen Impfquoten zwischen Menschen über und unter 50 Jahren, zeigt sich eine Wirksamkeit von 85 bis 90 Prozent. Dröselt man die Altersgruppen weiter auf und bezieht ein, dass das Risiko für einen schweren Verlauf mit dem Alter steigt, ergibt sich je nach Altersgruppe eine Wirksamkeit von 85 bis 95 Prozent.

Strategie hinter Kickls Aussagen

Der Politikexperte Thomas Hofer sieht hinter Kickls Auftritt beim "Sommergespräch" zwei Ziele. Zum einen geht es für die FPÖ darum, die Unsicherheit und Skepsis der Menschen, beispielsweise beim Impfen, bei sich zu vereinigen. Zum anderen baue Kickl seit geraumer Zeit – ebenfalls im Bezug auf die Impfung – die Erzählung auf, dass das System die Menschen langsam, aber sicher mit einem "Impfzwang" unterjochen werde. Dadurch zeichne er das Bild einer Zweiklassengesellschaft: da die guten Geimpften, dort die bösen Ungeimpften, erklärt Hofer.

Die aktuelle Diskussion darüber, ob im Herbst gewisse Bereiche nur noch für Geimpfte erreichbar sein könnten, kommt dem FPÖ-Chef da natürlich zupass. "Auf dieser Klaviatur spielt er sehr, sehr gut", sagt Hofer. "Gewissermaßen ist das die Fortsetzung des Spruchs 'Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist', den Kickl einst für Jörg Haider erfand."

Das Potenzial in diesem Bereich habe der freiheitliche Stratege Kickl früh erkannt und bringe damit auch die Regierung unter Druck. Kurz vermeide dadurch jegliche Bewegung hin zu einer möglichen Impflicht, glaubt Hofer, weil das der ÖVP durch die Vorarbeit der Blauen unmittelbar schaden würde. Und es gehe Kickl schließlich darum, einen Rückfluss von Wählerinnen und Wählern von Türkis zu Blau zu erzeugen. (Eja Kapeller, Jan Michael Marchart, 24.8.2021)