Betrachtet man die Tragödie, die sich derzeit in Afghanistan abspielt, aus Sicht von Kurz, Nehammer, Schallenberg, Laschet und all den anderen europäischen Politikern, denen bei den Bildern aus Kabul nur einfällt, dass diese Menschen doch bitte schön nicht zu uns kommen mögen, so kann ihnen gesagt werden: Ihr könnt durchatmen. Das Schreckgespenst "2015 2.0", ein unkontrollierter Masseninflux von Flüchtlingen und Migranten, steht vorerst nicht bevor. Dafür gibt es mehrere, mitunter menschenverachtende Gründe.

Afghanische Flüchtlinge im Iran.
Foto: imago images/ZUMA Wire

Vor sechs Jahren waren die meisten Flüchtlinge Syrer. Der Weg für sie war nur halb so lang wie der für Afghanen. Zudem gibt es seither viele neue Barrieren auf dieser Route. Es fängt schon damit an, überhaupt aus Afghanistan zu kommen, denn die Taliban haben die Grenzen geschlossen. Das passt zum Verhalten der Nachbarländer, die die Grenze ebenfalls streng kontrollieren. Die jeweiligen Regierungen sehen in vielen Flüchtlingen eine Gefahr für die Stabilität in ihrem Land.

Für Europa besonders relevant ist Afghanistans westliches Nachbarland Iran, das bereits knapp 800.000 Afghanen beherbergt – für Teheran schon jetzt mehr als genug. Nicht verwunderlich also, dass laut Medienberichten iranische Beamte rigoros gegen afghanische Flüchtlinge vorgehen.

Neue Routen

Schafft man es trotzdem weiter, wartet an der Grenze zur Türkei eine 150 Kilometer lange Mauer, die derzeit verlängert und letztlich knapp 300 Kilometer lang werden soll. Außerdem nimmt die Stimmung gegen Flüchtlinge in der Türkei zu.

Danach folgt Griechenland, das im Mittelmeer Pushbacks durchführt, also Flüchtende illegal zurückdrängt. Das Gleiche machen kroatische Beamte an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina, und auch Ungarn ist hart an der Grenze, bis hin zu Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof.

Alles gut also? Bleiben die Afghanen, um es zynisch zu formulieren, wo sie bleiben sollen? Darauf sollte man nicht hoffen. Schlepper, und das zeigt die jahrelange Erfahrung im zentralen Mittelmeer, reagieren rasch und mit neuen Routen, wenn sie ein Geschäft wittern. Außerdem können Fluchtbewegungen auch Jahre nach Beginn einer Krise einsetzen, wie man an Syrien sieht. Dort begann der Bürgerkrieg 2011, aber erst 2015 kam es zur Massenflucht – unter anderem deshalb, weil viele Länder ihre Zahlungen an die Uno kürzten und diese dann die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern nicht mehr versorgen konnte. Das sollten sich Kurz, Nehammer und Gleichgesinnte vielleicht für die Zukunft merken. (Kim Son Hoang, 25.8.2021)