Die USA, der Westen insgesamt, haben soeben einen Krieg verloren. Und zwar gegen einen Haufen bärtiger Analphabeten, die aber wissen, wie man mit Schläue, Terror und Bereitschaft zum Tod im Jihad einen ganzen Staat an sich reißt (wobei: Afghanistan war und ist kein Staat, sondern eine Ansammlung von Stammesfürstentümern).

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Patrouillierende Taliban in Kabul.
Foto: AP/Rahmat Gul

Auf jeden Fall: Verloren ist verloren. Zuvor haben die Amerikaner schon versucht, aus dem Irak (Spaltung in Sunniten, Schiiten und Kurden) eine "Nation" zu machen, mit einem eher traurigen Ergebnis, und lange davor in Vietnam.

Heißt das, dass die USA – "der Westen" – nun jeden "liberalen Interventionismus" aufgeben müssen? Viele werden das so interpretieren, vor allem wenn es um Gesellschaften geht, die wir nicht verstehen. Und um ewige Kriege, die nicht zu gewinnen sind.

Aber das bedeutet nicht, dass man in Ruhe gelassen wird, wenn man der ewigen Kriege in entlegenen Gegenden müde ist. Die US-amerikanische Außenpolitikexpertin Anne Applebaum hat es in einem Beitrag im Atlantic so formuliert: "Die Taliban sind der Kriege überhaupt nicht müde. Ebenso wenig die Pakistaner, die ihnen geholfen haben. Auch nicht die russischen, chinesischen und iranischen Regimes, die hoffen, vom Machtwechsel in Afghanistan zu profitieren; auch nicht Al-Kaida und andere Gruppen, die Afghanistan in Zukunft zu ihrer Basis machen könnten. Selbst wenn wir nicht an irgendeiner dieser Nationen und ihrer brutalen Politik interessiert sind – sie sind an uns interessiert. Sie sehen die wohlhabenden Nationen der USA und Europas als Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Für sie ist liberale Demokratie keine Abstraktion; es ist eine starke, gefährliche Ideologie, die ihre Macht bedroht."

Lästige Konkurrenz

Autoritäre Systeme vertragen nicht, dass es andere, freiere, wohlhabendere Modelle an ihren Grenzen gibt. Sie neigen dazu, diese lästige Konkurrenz zumindest zu destabilisieren. Wladimir Putin verträgt keine stabile Ukraine. Man denke daran, was die früheren baltischen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen angesichts von Putins UdSSR-Nostalgie ohne Nato-Garantien wären; wie der Diktator von Belarus seine demokratischen Nachbarn durch die "Flüchtlingswaffe" zu destabilisieren sucht; oder wie sich China immer bedrohlicher gegenüber Taiwan verhält.

"Nation-Building" oder Demokratisierung von außen mögen in manchen Gegenden wenig aussichtsreich sein, aber das bedeutet nicht, dass Eindämmung und Abschreckung überflüssig wären. Der Afghanistan-Krieg begann vor 20 Jahren, als die Taliban Al-Kaida unmittelbar nach dem Attentat von 11. September Unterschlupf und eine Operationsbasis gaben. Wahrscheinlich hätten sich die US-Amerikaner auf Spezialoperationen beschränken sollen – aber nachdem sie die Taliban relativ rasch besiegt hatten, sollten sie sich dann wieder zurückziehen? Wer entscheidet, ob eine komplett rückständige Stammesgesellschaft doch eine Chance auf Transformation hat?

Liberaler Interventionismus ist zuletzt fast nur schiefgegangen (zum Beispiel durch die Europäer in Libyen). Aber das heißt nicht, dass man die Idee aufgeben muss, die Demokratie dort zu schützen, wo sie existiert oder eine Chance hat. (Hans Rauscher, 24.8.2021)