Der Aufstieg in Tenever gelingt langsam.

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Bremen – Wenn Journalisten ins deutsche Stadt-Bundesland Bremen kommen, stellen sie sich gerne in den Stadtteil Gröpelingen. Dort lässt es sich gut über Armut sprechen: Das Gebiet zählt zu den ärmsten in ganz Deutschland. Die Menschen dort würde es stören, das Stigma wiegt ja so schon schwer genug, "aber faktisch ist es so", sagt Thomas Schwarzer, Sozialexperte bei der Arbeitnehmerkammer in Bremen.

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Es ließe sich allerdings gut argumentieren, dass Bremen-Tenever das spannendere Viertel in dieser Hinsicht ist. Der Ortsteil im Osten Bremens war lange Zeit ein echter Brennpunkt. Und auch wenn die Armut hier immer noch ein großes Problem ist: Vieles ist besser geworden. Was dort gelungen ist, kann auch in anderen Problemgegenden in Bremen gelingen, sagt Schwarzer – dazu später.

Es gibt auch viele Reiche in Bremen

Dass Bremen überhaupt so stark von Armut betroffen ist, sei erst einmal nicht verwunderlich: Es sei eben eine große Stadt in Deutschland. Auch in insgesamt wohlhabenderen Städten wie Hamburg oder Frankfurt haben 20 bis 25 Prozent der Menschen weniger als 60 Prozent des deutschen Medianeinkommens zur Verfügung und gelten deshalb als arm. Das sei weder außergewöhnlich noch hinzunehmen, argumentiert Schwarzer, der die Bremer Armutskonferenz mitbegründet hat.

Thomas Schwarzer ist Referent für kommunale Sozialpolitik bei der Arbeitnehmerkammer in Bremen.
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Zumal es auch sehr viele reiche Menschen und reiche Gegenden gibt: Das Durchschnittseinkommen im Stadtteil Bremen-Horn ist etwa achtmal so hoch wie jenes in Bremen-Gröpelingen. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich sind in Bremen geradezu plump offensichtlich: Nur wenige Schritte von der Altstadt mit ihren goldverzierten Prachtfassaden entfernt haben wohnungslose Menschen ihre Lager im Park aufgeschlagen.

Der Durchlauferhitzer der Stadt

Tatsächlich ist Gröpelingen ein gutes Beispiel dafür, wie Armut in einem Viertel um sich greifen kann: Dort lebten viele Werftarbeiter – und als die Werft in der Hansestadt 1983 in Konkurs ging, fehlte den Leuten das Einkommen. Die Gegend verwahrloste, die Mieten sanken – und somit wurden mehr Menschen mit wenig Geld angezogen.

Noch heute zieht der Stadtteil deswegen arme Personen, oft Migranten, an. "Das bedeutet", sagt Schwarzer, "dass wir in den Quartieren, wo's sowieso schon schwierig ist, besonders viele Neuankömmlinge haben". Die müssten sich oft erst zurechtfinden und Deutsch lernen. Das mache die Sache nicht einfacher. Wenn sie sich aber einen gewissen Wohlstand geschaffen haben, ziehen sie schnell wieder weg: "Diese Stadtteile sind eine Art Durchlaufheizer", sagt Schwarze. Wer die Gegenden nicht gut kenne und nur von außen darauf schaue, sage dann oft: "Bei denen geht ja nichts voran."

Geld für Innovationen

Und wie ist das im Vorzeigestadtteil Tenever? Der war in den 1970er-Jahren als innovatives Superviertel am Rande Bremens gedacht und geplant worden. Familien, die noch infolge des Zweiten Weltkriegs in prekären Wohnformen gelebt hatten, sollten dort einziehen. Doch der Plan ging nicht auf, etliche Wohnungen blieben unvermietet, die Häuser verfielen zum Teil. Tenever eilte der Ruf als kaputter Stadtteil voraus. "Das Viertel galt schon als problematisch und gelangte dann in diese Abwärtsspirale", sagt Schwarzer. Dazu kam die schlechte Verkehrsplanung: Eine Straßenbahnanbindung wurde erst in den 1990ern hergestellt. "Die haben da draußen teilweise auch isoliert gesessen."

Ein Förderprogramm der deutschen Regierung brachte 1989 Geld und Innovation nach Tenever: Es wurden Projekte zur Vernetzung der Bevölkerung entwickelt, ein Bürgerzentrum eingerichtet, ein Stadtteilfest veranstaltet. Eher "weiche" Dinge, "aber das hat ganz gut funktioniert", sagt Schwarzer: Die Stimmung vor Ort hat sich gebessert, die Leute haben sich wohler gefühlt, der Ruf war wieder positiv. Es wurden auch Kindertagesstätten ausgebaut und Wohnungen saniert.

Gutbürgerliche Optik, weniger armer Kern

Und: Die Menschen in Tenever haben sich auch selbst ermächtigt. "Die haben aus ihrem Stadtteil heraus eine politische Initiative gegründet", erzählt Schwarzer. Einmal im Monat kamen alle Interessierten zu einer "Stadtteilrunde" zusammen und "sprachen darüber, wo es brennt in den kleinen, alltäglichen Dingen". Die Bremer Stadtpolitik sei da dann "schnell drauf aufgesprungen".

Vor rund 20 Jahren wurde Tenever auch städtebaulich weiterentwickelt, etwa ein Drittel des Wohnraumes wurde dafür abgerissen. Heute wirkt Tenever wie eine gutbürgerliche Vorstadt: Begrünte Flächen zieren die Straßen, und die Häuser wirken gut in Schuss. Immer noch ist mehr als ein Drittel der Bevölkerung hier auf Sozialleistungen angewiesen. Fehler im Städtebau, gesamtgesellschaftliche Ungerechtigkeiten, fehlende Aufstiegschancen – dagegen wirken auch die wirksamsten Rezepte gegen die Armut nur langsam. (Sebastian Fellner aus Bremen, 24.8.2021)