Am 10. August haben die Grünen den ÖVP-Favoriten Roland Weißmann für die ORF-Spitze mitgewählt, das brachte den Grünen heftige Kritik und den Vorwurf der Unterwerfung ein. "Wenn wir nicht mitspielen, sind wir naiv, wenn schon, sind wir korrupt", sagte Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen. Wie sieht für sie der ideale ORF aus? Und wie soll das größte Medienunternehmen des Landes idealerweise aufgestellt sein, welche Angebote muss es im Programm haben? DER STANDARD lädt Menschen aus der Medienbranche ein, ihre Ideen für den idealen ORF zur Diskussion zu stellen.

Zeitunabhängige Plattform

"Das Angebot muss von einem analogen und linearen Rundfunk zu einer zeitunabhängigen digitalen Plattform transformiert werden", sagt Blimlinger, "ein ORF-Player muss alles umfassen, was der ORF produziert oder in Auftrag gibt. Aus dieser Plattform können sich dann seine linearen Fernseh- und Radioangebote speisen und nicht umgekehrt, es muss also wirklich ‚digital first‘ möglich, ja der Regelfall sein. Mit neuen, für digitale Kanäle konzipierten Formaten im Sinne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ohne Einschränkungen im Social-Media-Bereich und selbstverständlich ohne Sieben-Tage-Frist."

"Die Unabhängigkeit muss in allen Bereichen des ORF gewährleistet sein, in der Leitung, den Redaktionen und den Gremien": Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen.
Foto: STANDARD, Urban

Damit sei auch die Frage um die Streaminglücke beantwortet. Blimlinger: "Natürlich sind Laptops, Tablets und Mobiltelefone die Empfangsgeräte der Zukunft, im Grunde auch schon der Gegenwart. Ob man es jetzt Haushaltsabgabe nennt oder Medien-Abo oder wie auch immer, eines ist klar: Immer weniger Menschen konsumieren das ORF-Angebot auf GIS-pflichtigen Geräten und immer mehr auf anderen Devices, insbesondere die Zielgruppe bis 29 Jahre. Darauf muss der Gesetzgeber reagieren, sonst wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Relevanz verlieren, weil ihm das Geld fehlt. Das geschieht jetzt schon und wird sich weiter verstärken, wenn der ORF sich nicht entwickelt." Das betreffe den audiovisuellen Bereich genauso wie die blaue Seite.

Blimlinger: "Der heimische Rundfunkmarkt braucht einen starken ORF, die österreichische Gesellschaft sowieso." In anderen Ländern sei der Anteil der Gebühren am Gesamtbudget "deutlich höher und macht die öffentlich-rechtlichen unabhängiger vom Kommerzialisierungsdruck. In Österreich gibt es darüber hinaus nur ein Zehntel der Einwohnerinnen und Einwohner im Vergleich zu Deutschland und deshalb auch deutlich weniger Mittel. Das sollte man bei der ewigen Diskussion um die Gebührenfinanzierung jedenfalls immer bedenken."

Soziale, lokale und kulturelle Facetten

Blimlinger fordert, dass der ORF und insbesondere der Player eine "zentrale Rolle, nicht mehr nur als öffentlich-rechtlicher Sender, sondern als digitale Infrastruktur für die gesamte Medienlandschaft und den vielfach zitierten Public Value" einnehmen müsse. "Dieser gesellschaftliche Mehrwert kann nicht allein von ORF und den nichtkommerziellen erzeugt werden. Gerade weil private Fernsehunternehmen staatliche Finanzierung erhalten, sollten und müssen sie auch Public Value generieren."

Sie sieht den Player auch als Chance gegen internationale Konkurrenz. "Spezifisch österreichische Inhalte kann der heimische Markt besser erzeugen – soziale, lokale und kulturelle Facetten können durch Netflix und Co trotz aller Kooperationen nicht im gleichen Maße erzeugt werden."

ORF-Doppelspitze

Die Programmgestaltung für verschiedenen Altersgruppen nach Uhrzeit – Vormittag und früher Nachmittag Kinder, dann Jugend, dann Erwachsene – sei "anachronistisch". Im digitalen Bereich könne und müsse auch der ORF "allen Zielgruppen zu jeder Zeit ein konkurrenzfähiges Angebot machen". Im Zuge der Etablierung des Players soll auch die Struktur der Spartenkanäle im Sport- und Kulturbereich überdacht werden. Und: "Wie im deutschen Fernsehen sollten vor Wahlen alle wahlwerbenden Parteien die Möglichkeit für Spots haben – früher hieß das Belangsendung, auch wenn es manchmal nicht von Belang war", sagt sie.

Blimlinger über die ideale ORF-Führungsstruktur: "Der Stiftungsrat sollte wie zum Beispiel in Deutschland besetzt werden, also mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, NGOs et cetera, und die Kompetenzen des Publikumsrats müssen ausgebaut werden. Es sollte zumindest eine Doppelspitze geben, die rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ausgelagerten Unternehmen müssen jedenfalls im Aufsichtsrat repräsentiert sein."

Die Unabhängigkeit muss "in allen Bereichen gewährleistet sein, in der Leitung, den Redaktionen und den Gremien". Sie kann sich auch eine weisungsfreie Meldestelle gegen politische Interventionen vorstellen. (Oliver Mark, 25.8.2021)