Lässt man anderen das beste Stück Torte oder nimmt man es selbst? Die österreichische Probandengruppe dieses Experiments scheint sozial achtsamer zu sein.
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Angenommen, es befinden sich drei Tortenstücke auf einem Tisch, von denen nur noch eines von einer begehrten Schokoladentorte stammt. Nimmt man eher dieses Stück oder präsentiert man sich sozial achtsam und lässt auch anderen Personen noch die Wahl? Diese "soziale Achtsamkeit" untersuchten Forscher im Vergleich zwischen 31 Ländern – freilich nicht nur am Beispiel der Schokoladentorte, damit kein Wert für die Schokopräferenz der Länder berechnet wird. Die österreichische Stichprobe landete in der Auswertung hinter Japan auf Platz zwei, gefolgt von Mexiko und Israel, heißt es im Fachblatt "PNAS".

Bei der sozialen Achtsamkeit "geht es darum, dass man bei einer eigenen Entscheidung immer mitbedenkt, was das für andere Leute bedeuten kann", erklärte die beteiligte Sozialpsychologin Ursula Athenstaedt von der Universität Graz gegenüber der APA. Während die oftmals untersuchte Kooperation irgendeine Art von gemeinsamem Ziel beinhaltet, setzt diese Form der Achtsamkeit unterschwelliger an und steht stark im Zusammenhang mit sozialen Wertorientierungen, die darauf abzielen, dass einem selbst, aber auch anderen etwas bleibt.

Achtsamkeit und Höflichkeitskultur

Insgesamt arbeiteten 65 Wissenschafterinnen und Wissenschafter an der Untersuchung, über 8.300 Menschen nahmen weltweit teil. Um möglichst viele andere Faktoren auszuschließen und die Probandengruppe homogen zu gestalten, wurden vorrangig junge Studierende befragt – so lässt sich das Ergebnis auch besser mit früheren Studien vergleichen. Von den Beteiligten kamen mehr als 300 aus Österreich. Dabei handelte es sich um Studierende verschiedenster Fachrichtungen an der Uni Graz, sagt Athenstaedt.

Tatsächlich fanden sich in der von Niels Van Doesum von der Universität Leiden in den Niederlanden geleiteten Untersuchung erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, in denen die Fragebogenstudie entweder online oder unter Laborbedingungen durchgeführt wurde. Die Studierenden aus Österreich präsentierten sich demnach besonders bedacht, auch anderen noch alle Optionen offen zu lassen, nachdem sie selbst zum Zug gekommen waren. Auch beim Ausmaß der sozialen Wertorientierungen weist der österreichische Teil der Studie den zweithöchsten Wert aus. Über die 31 Länder hinweg ließ sich ein Zusammenhang zwischen der Wertorientierung und der Achtsamkeit erkennen.

Dass bei derart umsichtigen "kleinen Entscheidungen" die Studenten aus Österreich im Ländervergleich derart gut abschneiden, hat auch Athenstaedt durchaus erstaunt. Erklären könne man sich das vielleicht mit einer doch vorhandenen "gewissen Höflichkeitskultur in Österreich". Zu dieser wissenschaftlich mit der Studie allerdings nicht festzumachenden möglichen Erklärung passe auch, dass mit Japan nur ein Land vor Österreich liegt, in dem dies traditionell sehr hoch gehalten wird.

Zusammenhang mit Umweltschutz und Wirtschaftslage

Worauf die frappanten Unterschiede zwischen den Ländern – die vier hintersten Plätze belegen Südafrika, Indien, die Türkei und Indonesien – tatsächlich beruhen, lasse sich schwer sagen. Das Phänomen sei es aber Wert, "näher untersucht zu werden", sagt Ko-Autor Ryan O. Murphy von der ETH Zürich. Der stärkste untersuchte Zusammenhang zwischen der sozialen Achtsamkeit und einem anderen Faktor ergab sich überraschenderweise mit dem Umweltschutz. Teilnehmer aus Ländern, in denen letzterer mehr Stellenwert hat und die auch wirtschaftlich besser dastehen, präsentierten sich tendenziell umsichtiger.

Insgesamt sei das als Hinweis zu werten, dass die Einstellung, die sich mitunter in kleinen Gesten zeigt, auch gewisse Auswirkungen auf größere gesellschaftliche Strömungen haben kann. Letztlich gehe es um eine grundlegende Haltung gegenüber dem "guten Auskommen miteinander. Wenn das in stärkerer Weise etabliert ist, ist das sicher günstig für das Zusammenleben", sagte Athenstaedt. Die statistischen Zusammenhänge machen aber nicht deutlich, wie das Wechselspiel dieser Elemente aussieht und welcher Aspekt den anderen zur Folge hat. (APA, red, 25.8.2021)