Der Oberste Gerichtshof stärkt die Rechte von pflegenden Angehörigen.

Foto: Regine Hendrich

Ein Mann, der seine betagten Eltern nach einem Autounfall nicht weiter pflegen konnte, bekommt von der Versicherung seines Unfallgegners Schadenersatz. Dass er die Leistungen freiwillig erbrachte und andere Angehörige die Aufgaben unentgeltlich übernahmen, ändere daran nichts, erklärte der Oberste Gerichtshof (OGH). Für den Schadenersatz reiche schon, dass die Arbeitskraft des Verletzten eingeschränkt war. Es habe zwar keine vertragliche Verpflichtung für die Pflegeleistungen bestanden, aber eine "sittliche" (OGH 2 Ob 43/21v, 24.6.2021).

Unverschuldeter Unfall

Der Mann war im September 2018 bei einem Verkehrsunfall verletzt worden. Da seinen Unfallgegner das Alleinverschulden traf, verlangte er von dessen Versicherung insgesamt 41.700 Euro Schadenersatz – darunter auch 5.370 Euro Ersatz für Pflegeleistungen, die er infolge einer Handverletzung für mehrere Monate nicht mehr erbringen konnte.

Der 90-jährige Vater des Mannes leidet an Demenz und Parkinson, die 86-jährige Mutter ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Vor dem Unfall war der Sohn deshalb gemeinsam mit seiner Ehefrau jeden Tag morgens und abends bei seinen Eltern, um ihnen aus dem Bett zu helfen, sie an- und auszuziehen und ihnen Mahlzeiten zuzubereiten. Er unterstützte bei der Körperpflege, diversen Hausarbeiten und kümmerte sich um Einkäufe und Behördenwege.

Keine vertragliche Verpflichtung

Vertraglich verpflichtet wäre der Mann dazu nicht gewesen, auch Geld bekam er keines. Er habe seine Eltern schlicht aus familiären Gründen gepflegt. Außerdem sei er "sittlich" dazu verpflichtet gewesen, weil er deren Liegenschaften übernommen hatte. Da der Mann ausfiel, sprangen andere Familienmitglieder unentgeltlich für ihn ein.

Das Erstgericht folgte den Argumenten der beklagten Haftpflichtversicherung und wies die Klage ab. Die Pflegeleistungen des Mannes seien "freiwillig" gewesen, eine vertragliche oder sonstige Verpflichtung habe nicht bestanden. Auch sei zwischen dem Mann und seinen Eltern keine "Wohn- oder Wirtschaftsgemeinschaft" vorgelegen. Ein Ersatz für die nichterbrachten Pflegeleistungen komme daher nicht infrage. Durch den Entfall der Pflege sei nicht der Sohn, sondern dessen Eltern geschädigt worden.

Arbeitskraft ist "selbstständiger Wert"

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht war allerdings anderer Meinung. Es kürzte den Ersatzanspruch zwar auf 3.700 Euro, gab dem Mann aber grundsätzlich recht. Auch der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Entscheidung: Die "wirtschaftlich eingesetzte Arbeitskraft" sei ein selbstständiger Wert, der vom Schädiger ersetzt werden muss. Der Verdienstentgang entstehe bereits durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft, die der Verletzte nach dem "gewöhnlichen Lauf der Dinge" eingesetzt hätte.

Der Kläger habe die Pflegeleistungen für seine Eltern zwar nicht aus vertraglicher Verpflichtung erbracht, sich dazu allerdings aufgrund des engen familiären Verhältnisses "sittlich verpflichtet" gefühlt. Im Fall eines Eltern-Kind-Verhältnisses stelle das einen hinreichenden Grund für den Zuspruch eines Erwerbsschadens dar. Die gesetzlich verankerte Pflicht der Eltern und Kinder, einander beizustehen, gelte auch für volljährige Kinder.

Die aktuelle Entscheidung bestätigt eine neue, nicht unumstrittene Rechtsprechungslinie des Obersten Gerichtshofs. Bisher entschied das Höchstgericht aber nur in Fällen, in denen die pflegenden Angehörige im selben Haushalt wohnten. So bekam 2019 etwa eine Frau Schadenersatz, die sich aufgrund eines Unfalls nicht mehr um ihren Schwager kümmern konnte (OGH 28.3.2019, 2 Ob 179/18i). In der aktuellen Entscheidung stellte das Höchstgericht nun klar, dass es für den Anspruch auf Schadenersatz nicht darauf ankommt, ob die Angehörigen im selben Haushalt wohnen. (Jakob Pflügl, 25.8.2021)