Baran Rasoulof, die Tochter des Regisseurs Mohammad Rasoulof, die in Deutschland lebt, spielt Darya, eine junge Frau, die im Iran mit den Konsequenzen ihres Widerstands leben muss.

Foto: Viennale

Heshmat heißt in Mohammad Rasoulofs Film Doch das Böse gibt es nicht ein Mann im Iran, den man wohl bewusst als Durchschnittsbürger sehen soll. Wenn er abends mit dem Auto von der Arbeit nach Hause fährt, lädt er einen Sack Reis in den Kofferraum. Das mag ein Indiz dafür sein, dass es ihm ein bisschen besser geht als dem iranischen Durchschnitt; ansonsten jedoch sieht alles nach einem Leben der Mittelklasse aus. Heshmat hat Frau, Tochter und eine Mutter, die auf Hilfe angewiesen ist. Er geht abends auch gern einmal eine Pizza essen, und nachts schläft er.

Allerdings schläft er nicht so lang wie die meisten anderen Menschen. Heshmat steht früh auf, weil er eine ungewöhnliche Arbeit hat. Was es damit auf sich hat, bleibt die ganze erste Episode von Doch das Böse gibt es nicht hindurch auffällig offen, bis Rasoulof die Angelegenheit schließlich mit einer harten Pointe enthüllt. Beruflich ist Heshmat nämlich das Gegenteil eines Durchschnittsbürgers, er tut etwas, was viele Menschen als skandalös empfinden würden – vielleicht sogar als böse. Er tut es allerdings mit der Haltung von jemandem, der auch Regale vollräumen oder Dokumente ausstellen könnte.

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Moralische Verantwortung

Mohammad Rasoulof zielt mit den vier Episoden seines Films mitten hinein in die brennenden Fragen moralischer Verantwortung in einem Staat, dem in diesen Fragen nicht zu trauen ist. Der Iran ist offiziell eine islamische Demokratie, die Gewalt liegt beim Staat, wie es in Österreich auch ist.

Rasoulof geht es um die Bestreitung dieser Gewalt, indem er von Menschen erzählt, die im Iran durch den Staat in Gewissenskonflikte gestürzt werden. Denn in einem System, in dem die Todesstrafe vollstreckt wird, kann es dazu kommen, dass man selbst zu einem Teil der Gewalt wird.

Die entsprechenden Dilemmata buchstabiert Rasoulof am Beispiel von vier Figuren aus. 2020 wurde der Regisseur dafür mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet. Das Festival hat eine gewisse Tradition bezüglich kritischer Filmen aus dem Iran, und Regisseur Rasoulof hat auch lange Zeit in Hamburg gelebt. Inzwischen ist er allerdings wieder im Iran und dort der wahrscheinlich zurzeit prononcierteste Regimekritiker aus dem Feld des Kinos.

Urlaub nützen

Deutlich gebrochener als der scheinbar ungerührte Heshmat ist Javad, Hauptfigur in der dritten Episode des Films. Javad ist Soldat. Einen kurzen Urlaub will er nützen, um seiner Freundin Nana einen Heiratsantrag zu machen. Auf dem Weg zu ihr nimmt er ein Bad in einem Bach. Es ist, als müsste er sich reinigen von dem, was er so im Dienst erlebt hat.

Seine Freundin Nana lebt in einer idyllischen Umgebung mit ihren Eltern. Es liegt jedoch ein Schatten über Javads Besuch. Ein Mann ist gestorben, von dem er bisher nie etwas gehört hatte. Ein väterlicher Freund Nanas, ein Opfer seiner politischen Überzeugungen, wie den Andeutungen zu entnehmen ist, in denen von diesem Keyvan gesprochen wird.

Die tragische Pointe der Geschichte von Javad und Nana bringt es mit sich, dass er noch einmal an den Bach eilt, dieses Mal aber keine symbolische Reinigung mehr findet. Er macht Anstalten, sich ins Wasser zu stürzen, um sich regelrecht davon verschlingen zu lassen. Javad hat eine Schuld auf sich geladen, die ihm als solche gar nicht bewusst war. Er hat einen Befehl befolgt, er hat sich sogar ein bisschen erbötig gemacht, um doch diese drei Tage Urlaub zu bekommen, die er nun bei Nana verbringt.

Drei der vier Episoden des Films haben als Kontext die Welt des Militärs und verweisen dementsprechend auf eine stärkere Beschränkung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten. Also anders gesprochen: auf Heldentaten, die ein Widerstand gegen Unrechtsstaaten erforderlich macht.

Doch das Böse gibt es nicht ist ein Film, mit dem jemand seinen eigenen Freiheitsraum als Künstler auslotet. Heshmat in seiner Undurchdringlichkeit ist die programmatische Antithese zu Bahram in der vierten Filmepisode, in der Baran Rasoulof, die Tochter des Regisseurs, die in Deutschland lebt, eine wichtige Rolle spielt.

Helden im Widerstand

Sie ist in der Rolle von Darya zu sehen, einer jungen Frau, die mit den Konsequenzen eines Aktes des Widerstands leben muss. Allerdings fehlt es ihr zuerst an Verständnis. Darya lebt nämlich unter einem anderen Gesetz, in einem anderen Land, in dem man sich dem Gewaltmonopol nicht verweigern muss. Mohammad Rasoulof hat auf die persönliche Freiheit in Deutschland verzichtet, um den Helden des Widerstands im Iran mit einem Film von durchaus thesenhafter Wucht beizustehen. (Bert Rebhandl, 26.8.2021)