Typ "Golden Retriever" ist die Autorin nach der Datenanalyse im crossmedialen Experiment "Made to Measure" des Künstlerkollektivs Laokoon. Wer mit Google sucht, gibt viel von sich preis.

Foto: WDR/Konrad Waldmann'

Ich bin Typ "Golden Retriever": "gutwillig, vertrauensselig, offen ..." Diese Informationen bekomme ich, weil ich beim Ansehen der Webdoku Made to Measure Spuren hinterlassen habe: wie ich die Maus bewegt habe ("durchschnittlich schnell"); wie konzentriert ich zugesehen habe ("zehnmal unterbrochen"); wie oft ich in einem anderen Tab war ("27-mal"). "Für dich sollte der Mensch immer im Mittelpunkt stehen", lese ich in der abschließenden, Standardisierten Bewertung weiter. Und: "Du solltest mehr Trash-Komödien schauen" (noch mehr?) und "Musik hören, die dir Zugang zu deinen Aggressionen verschafft" (Andreas Gabalier?).

Die Empfehlungen der Maschine sind lächerlich, aber sie irritieren. Wenn schon so wenige Daten zu so überzogenen Interpretationen führen – welche Schlüsse über die Persönlichkeit eines Menschen und sein künftiges Verhalten sind noch durch Algorithmen möglich? Kann man eine Person allein anhand ihrer Onlinespuren nachbilden?

Diesen Fragen hat sich das deutsche Künstlerkollektiv Laokoon mit Cosima Terrasse, Moritz Riesewieck und Hans Block in einem crossmedialen Experiment gewidmet, das im Web ab 29. August unter www.info.madetomeasure.online abrufbar sein wird und als Doku in der ARD-Mediathek und am 1. September im WDR Fernsehen zu sehen ist. Bei der Ars Electronica in Linz ist das Projekt Anfang September zu Gast.

Nichts zu verbergen?

Auf einen öffentlichen Aufruf meldet sich die junge Lisa. Sie lässt ihre Google-Sucheinträge erheben und daraus ein Profil von sich erstellen. Sie ist neugierig, sieht das Ganze als Spaß, sie habe schließlich nichts zu verbergen. Das Gegenteil ist der Fall, wie sich zeigen wird. Aus den Beschreibungen formt Laokoon eine zweite Lisa, die von der Schauspielerin Nathalie Köbli dargestellt wird. In dem Projekt sitzt Lisa ihrer Doppelgängerin gegenüber und hört ihre eigene, nur aus Daten zusammengesetzte Lebensgeschichte. Diese stimmt, anders als bei meinem kurzen Tracking – bis ins letzte Detail.

Google weiß alles, und trotzdem ist es vielen egal. Warum ist das so? "Weil viele nicht verstehen, was das bedeutet", sagt Terrasse. "Alle wissen, dass wir getrackt werden, aber wir wissen nicht, was diese Daten über uns sagen."

Der Datensatz von Lisa enthält mehr als hunderttausend Datenpunkte. "Mit diesen Rohdaten kann man zunächst nichts anfangen", sagt Riesewieck. Es geht darum, die Punkte zusammenzufügen: "Wir haben zum Beispiel erhoben, wann sich Lisa für welche Themen interessiert und wann diese wieder in den Hintergrund traten." In Kategorien unterteilt, auf Muster und logische Erklärungen untersucht, entstanden die Geschichten.

Hochsensible Daten

So ähnlich macht es auch Google selbst, nur in viel größerem Stil: "Für das Targeting benutzt das Unternehmen mehr als 1000 Kategorien, in die jeder von uns eingeordnet wird, und formt daraus ein Profil mit zum Teil hochsensiblen Daten." Diese Informationen gibt Google weiter, Firmen können damit Konsumenten gezielt ansteuern: "Tech-Unternehmen sammeln Daten von Milliarden von Menschen, um Schwächen, Unsicherheiten, Krankheiten und Suchtpotenziale in Profit zu verwandeln."

Für Lisa wird die Google-Konfrontation heftig. An einer Stelle bittet sie um eine kurze Pause. Am Ende tauscht sie sich mit ihrer Doppelgängerin über das soeben erlebte Experiment aus. "Das letzte Wort habe ich", sagt Lisa ganz zum Schluss. Nach diesem Experiment habe ich da so meine Zweifel. (Doris Priesching, 26.8.2021)