Bild nicht mehr verfügbar.

Vor dem Flughafen ist es am Donnerstag zu Explosionen gekommen.

Foto: AP Photo/Wali Sabawoon

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Sicherheitslage in Kabul ist weiterhin prekär.

Foto: AP

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das US-Verteidigungsministerium bestätigt zwei Explosionen in Kabul, Laut Pentagon kamen mehrere US-Soldaten ums Leben.
  • Die Jihadistengruppe "Islamischer Staat" bekannte sich auf Telegram zu dem Anschlag.
  • US-Präsident Joe Biden kündigte in einer Pressekonferenz Vergeltung gegen den IS an. Die Evakuierungsmission werde dennoch bis 31. August fortgesetzt.
  • Die deutsche Bundeswehr beendete offiziell ihren Evakuierungseinsatz. Belgien hat seine Mission bereits mit Mittwoch eingestellt, Frankreich will noch bis Freitag ausfliegen.
  • Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sagte am Mittwochabend im ORF, dass das österreichische "Krisenteam auch über den 31. August hinaus bleiben" wird.

Kabul – Bei dem Anschlag außerhalb des Flughafens von Kabul sind laut US-Angaben 60 Afghanen und zwölf amerikanische Soldaten getötet worden. Die BBC berichtet von 140 Verletzten. Auch mehrere Taliban-Sicherheitskräfte seien verletzt worden.

Der Angriff sei von mindestens zwei Selbstmordattentätern ausgeführt worden, die dem "Islamischen Staat" (IS) zugerechnet würden, sagt Frank McKenzie, Chef des für die Region zuständigen Central Command der USA. Die Jihadistengruppe bekannte sich auf dem Kurznachrichtendienst Telegram zu dem Anschlag. Ein Mitglied der Organisation habe seinen Sprengstoffgürtel inmitten einer Gruppe von "Übersetzern und Kollaborateuren" gezündet, war zu lesen.

US-Präsident Joe Biden trat am Abend vor die Kameras. Er sprach von einem "harten Tag", der sich in Kabul ereignet habe. Biden bestätigte die Zahl von zwölf getöteten und 15 verletzten US-Soldatinnen und Soldaten. Und auch eine andere Meldung bestätigte er: Die US-Geheimdienste seien zum Schluss gekommen, dass es sich bei den Tätern um Mitglieder des IS in Afghanistan (ISIS-K bzw. ISKP) gehandelt habe. Der US-Präsident betonte auch, dass er die Mission am Flughafen genau wegen dieses Risikos so schnell wie möglich habe zum ihrem Abschluss bringen wollen. Geheimdienste hatten ja bereits vor dem Anschlag auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der IS einen Angriff verüben könnte.

Die Mission zur Evakuierung – sie soll plangemäß ja am 31. August enden – werde trotz der Angriffe fortgesetzt. Alle US-Bürger und jene, die den USA geholfen hätten und daher nun in Gefahr sind, sollten die Möglichkeit zur Ausreise erhalten. Sollten dafür zusätzliche Einsätze des Militärs nötig werden, werde er diese autorisieren. Dass es eine Zusammenarbeit zwischen den Taliban und den Angreifern vom Donnerstag gegeben habe, glaubt Biden nicht. Im Gegenteil: Dass die USA das Land schnell verlassen und ihre Mission daher zügig zum Abschluss bringen, sei auch im Interesse der Radikalislamisten. "Niemand vertraut ihnen, aber wir zählen auf ihr Eigeninteresse, dass sie ihre Aktivitäten fortsetzen können."

Den IS in Afghanistan werde das US-Militär aber weiterhin verfolgen. "Wir werden das nicht vergessen und wir werden nicht vergeben. Wir werden Sie jagen und Sie werden bezahlen müssen!", sagte Biden an die Angreifer gerichtet. Für die Mission übernehme er die Verantwortung. Biden betätigte auch, dass die USA den Taliban teils mitgeteilt hätten, welche Menschen an den Checkpoints am Flughafen durchgelassen werden müssten – auch dies verteidigte er, die Aktion habe zum gewünschten Ergebnis, nämlich der Evakuierung dieser Menschen geführt. Mehr als 100.000 Menschen haben die USA bereits aus dem Land gebracht.

Taliban verurteilen Terror

Ein Vertreter der Taliban verurteilte den Angriff am Flughafen. "Angriffe auf unschuldige Zivilisten sind Terrorakte", sagte ein Vertreter der Islamisten dem türkischen TV-Sender Habertürk. Dass solche Angriffe stattfänden, liege an der Anwesenheit ausländischer Truppen. Auch die Taliban hatten in ihrem Krieg gegen die afghanische Regierung und die USA immer wieder auf Selbstmordattentate gegen die Zivilbevölkerung gesetzt. Bei einer weiteren schweren Explosion, die Stunden nach dem Anschlag zu hören war, hätten US-Truppen Munition gesprengt, erklärte er.

Nach der Explosion hätten US-Soldaten an einem anderen Flughafengate Tränengas eingesetzt, um die Menschen auseinander zu treiben, sagte ein Bewohner Kabuls, der an diesem Gate war. Er schätzte, zu dem Zeitpunkt seien dort 2.000 bis 4.000 Menschen gestanden. Mehrere Frauen und Mädchen seien durch das Tränengas verletzt worden.

UN-Generalsekretär António Guterres lud angesichts der chaotischen Situation und der angespannten Sicherheitslage in Afghanistan die Vetomächte zu einem Krisentreffen ein. Diplomatenkreisen zufolge sollen die Botschafter der USA, Chinas, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs am Montag in New York mit dem UN-Chef zusammenkommen, um sich über die Lage auszutauschen.

Hilfeleistung durch Briten

Das britische Verteidigungsministerium gab an, dass kein Militär- oder Botschaftsangehöriger unter den Opfern war. Die britischen Truppen würden aber eng mit den Partnern vor Ort zusammenarbeiten, um für Sicherheit zu sorgen und medizinische Hilfe zu leisten.

Offenbar hatten es die Rettungswagen schwer, zu den Opfern zu gelangen. Zahlreiche Menschen warten noch immer dichtgedrängt rund um das Gelände des Flughafens, um doch noch einen Platz in einer Evakuierungsmaschine zu erhalten. Auf Bildern, die in sozialen Medien zirkulieren, sind verletzte Menschen zu sehen, die von dem Gebiet weggetragen werden.

Macron: "Extrem gefährlich"

Laut CNN wird US-Präsident Joe Biden im sogenannten Situation Room gemeinsam mit Verteidigungsminister Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken über die Lage in Afghanistan informiert. Ein geplantes Treffen mit dem israelischen Premierminister Naftali Bennett wurde bereits verschoben.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte nach den Anschlägen, dass die "kommenden Stunden in Kabul und um den Flughafen extrem gefährlich sein werden". Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem irischen Premierminister sagte er, dass sich die Lage um das Flugfeld ernsthaft verschlechtert habe. Deshalb werde der französische Botschafter auch das Land verlassen und von Paris aus weiterarbeiten.

Die Sicherheitslage rund um den Flughafen in Kabul hatte sich wenige Tage vor dem angekündigten Ende der militärisch gesicherten Evakuierungen schon seit Tagen erheblich zugespitzt. "Aufgrund der Sicherheitsbedrohungen vor den Toren des Flughafens Kabul raten wir US-Bürgern, derzeit nicht zum Flughafen zu reisen und die Tore des Flughafens zu meiden", teilte die US-Botschaft in der Nacht auf Donnerstag mit, ohne die Bedrohungslage genauer zu benennen. Gleichzeitig schwindet die Zeit für Evakuierungen. Auch Großbritannien, Australien und Deutschland warnten ihre Staatsbürger.

"Weiterhin hohe Bedrohung durch Terroranschläge"

US-Bürger, die sich derzeit am Abbey Gate, East Gate oder North Gate aufhielten, sollten das Gebiet sofort verlassen, warnte die US-Vertretung in Kabul. Die britische Regierung forderte Bürgerinnen und Bürger in der Nähe des Flughafens auf, sich an einen sicheren Ort zu begeben und auf weitere Anweisungen zu warten. Sie sprach in ihren Reisehinweisen am Mittwoch von einer "weiterhin hohen Bedrohung durch Terroranschläge". Die deutsche Botschaft warnte in einem Schreiben an deutsche Staatsbürger vor Schießereien und Terroranschlägen.

Die deutsche Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, dass zunehmend potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-Präsident Biden geäußert. Praktisch täglich versuche ein örtlicher Ableger des IS, den Flughafen anzugreifen, hatte er erklärt. Die Terrormiliz sei auch ein "erklärter Feind" der Taliban.

Deutschland beendet Evakuierung

Die USA halten unterdessen weiter an ihrem Truppenabzug bis zum 31. August fest. Die deutsche Bundeswehr hat mit Donnerstag ihren Evakuierungseinsatz abgeschlossen. Die letzten Bundeswehrflieger seien abgeflogen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Doch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte nach den Anschlägen, dass man auch weiterhin Menschen helfen werde, Afghanistan zu verlassen.

Die deutschen A400M-Maschinen haben nach Angaben der Bundeswehr bisher 5.193 Menschen in Sicherheit gebracht. Allein am Mittwoch seien es 539 Personen gewesen. "Wir evakuieren bis zur letzten Sekunde", hieß es. Auch die Niederlande werden am Donnerstag ihre Flüge beenden. Rund 1.200 Personen wurden bisher ausgeflogen, hunderte niederländische Staatsbürger sollen sich noch im Land befinden.

Weitere Nato-Truppen ziehen ab

Auch Frankreich werde seine Evakuierungsflüge nur mehr bis Freitagabend fortsetzen, teilte Premierminister Jean Castex am Freitag RTL Radio mit. Belgien hat seine Luftbrücke bereits am Mittwoch eingestellt. Laut dem "Spiegel"-Bericht ist es inzwischen fast unmöglich, noch weitere Schutzbedürftige zum Flughafen zu bringen.

Und auch die Türkei hat damit begonnen, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Damit dürfte auch die zeitweise besprochene Option vom Tisch sein, dass türkische Truppen den internationalen Flughafen in Kabul über das Ende des Nato-Einsatzes hinaus sichern.

Am Donnerstagabend sagte auch Norwegens Außenminister Ine Eriksen Soereide, dass norwegische Truppen die Evakuierungen beendet hätten. "Die Tore des Flughafens sind geschlossen und es ist unmöglich, noch Menschen hineinzubekommen", sagte Soereide zum TV-Sender TV2.

Albanien und Kosovo wollen tausende Afghanen aufnehmen

Die Balkanländer Albanien und Kosovo haben ihre Bereitschaft bekräftigt, tausende Afghanen zumindest vorübergehend aufzunehmen. Albanien werde etwa 4.000 Menschen, die als sogenannte Ortskräfte für die Nato-Mission in Afghanistan tätig gewesen seien, sowie ihren Angehörigen Aufenthalt gewähren, erklärte Ministerpräsident Edi Rama am Mittwoch dem US-Nachrichtensender CNN.

Auch der Kosovo will 2.000 evakuierte Afghanen aufnehmen. Das sagte Innenminister Xhelal Sveçla laut Medienberichten. Sie könnten bis zu ein Jahr im Land bleiben, bis eine dauerhafte Lösung gefunden sei.

Unübersichtliche Situation

Insgesamt sind seit dem 14. August nach US-Angaben mehr als 82.300 Menschen ausgeflogen worden (Stand Mittwochabend), darunter befanden sich etwa 4.500 US-Amerikaner. 87 davon waren Menschen mit österreichischem Pass oder Aufenthaltstitel, wie Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Mittwoch in der "ZiB 2" erklärte. Etwa zwei bis drei Dutzend würden noch auf die Ausreise warten. Die Situation sei etwas unübersichtlich, weil sich in den vergangenen Tagen und Stunden immer wieder neue Personen gemeldet hätten.

ORF

Das achtköpfige österreichische Krisenteam sei vorwiegend in Taschkent in Usbekistan, aber war und ist auch immer wieder in Kabul, sagte der Außenminister. "Unser Krisenteam wird auch über den 31. August hinaus bleiben", gab er an. Das Ziel sei, jeden Österreicher und jede Österreicherin beziehungsweise Personen mit Aufenthaltstitel so bald wie möglich aus Afghanistan herauszubekommen.

Schallenberg: "Werden Taliban an Taten messen"

Die zukünftigen Beziehungen zu den Taliban ließ Schallenberg offen: "Wir werden sie an den Taten messen. Wir bekommen momentan sehr unterschiedliche Signale", sagte er. Man wisse nicht, wie sich "dieser neue Machtfaktor in Afghanistan" entwickeln werde. Klar sei, dass Abschiebungen derzeit völlig ausgeschlossen seien. "Ich kann nicht die Zukunft voraussehen", fügte der Außenminister aber hinzu.

Die US-Regierung betonte, dass es keine Frist für ihre Bemühungen gebe, ausreisewilligen US-Amerikanern oder Afghanen zu helfen. Die Taliban hätten sich verpflichtet, Menschen über den 31. August hinaus sicheres Geleit zu ermöglichen, sagte Außenminister Blinken. "Und wir haben sicherlich Anreize und Druckmittel gegenüber einer zukünftigen afghanischen Regierung, um sicherzustellen, dass dies geschieht", sagte Blinken, ohne ins Detail zu gehen. (APA, red, 26.8.2021)