Haufträume müssen laut Gesetz "einfach und zweckmäßig" sein.

Foto: Regine Hendrich

Wasserkocher gibt es in der Justizanstalt Josefstadt für die meisten Häftlinge nicht. Dafür ist die Stromleistung einfach nicht da, dasselbe gilt für Kühlschränke. Duschen können die Insassen und Insassinnen zweimal die Woche – nur Mamas mit Baby dürfen täglich unter die Dusche. Für mehr reicht der Warmwasserspeicher nicht.

Krista Schipper leitet seit vergangenem Winter die JA Josefstadt.
Foto: Regine Hendrich

Freilich, die Justizanstalt Josefstadt ist ein Extremfall: Die sollte längst generalsaniert werden, ist notorisch überbelegt. All das ist kein Geheimnis. Aber auch die anderen 27 Justizanstalten des Landes sind am Anschlag. Nun ist ein Gefängnis natürlich kein Hotel, doch die Lage ist so prekär, dass man sich fragen muss: Ist die Art der Haft, wie wir sie in Österreich praktizieren, eigentlich noch zeitgemäß?

Der Iststand: Volle Zellen, wenig Personal

Doch erst zurück in die Josefstadt. Fragt man die dortige Leiterin, Krista Schipper, was sie eigentlich vom Modell Haft an sich hält, dann sagt sie: "Völlige Straffreiheit wäre das höchste Ziel." Nachsatz: "Das wird man nicht erreichen." Aber, so meint Schipper, man könne sich zumindest fragen, ob es Sinn mache, Leute mit kurzen Haftstrafen einzusperren. Nur ein Zehntel der in Österreich inhaftierten Personen ist wegen Strafen von über zehn Jahren in Haft, über die Hälfte verbüßen Strafen, die unter drei Jahren liegen.

Für viele Insassen – vor allem jene, die nicht arbeiten – ist eine Stunde auf diesem Hof die einzige Zeit außerhalb des Haftraums. Hin- und Rückweg werden von der Stunde abgezogen.
Foto: Regine Hendrich

Nun gehe es, so sagt Schipper, zuallererst darum, "die Rahmenbedingungen für eine Rückfallsminimierung zu schaffen". Indem man zum Beispiel vermehrt Zugang zu Aus- und Fortbildungen ermöglicht, damit die Arbeitschancen nach der Haft besser werden.

Was die ganz grundlegenden Rahmenbedingungen angeht, so sind die allerdings in den einzelnen Justizanstalten recht unterschiedlich. Das Strafvollzugsgesetz gibt lediglich ein Mindestmaß vor. Das beinhaltet zum Beispiel eine Stunde Freigang am Tag, einmal die Woche eine halbe Stunde Besuch und zweimal die Woche eine Dusche oder ein Bad.

"Man bemüht sich, das gesetzliche Mindestmaß zu erfüllen", sagt Roland Hrdlicka, Justizwachkommandant und Chefinspektor in der Josefstadt, während er vom Dach der Anstalt hinabblickt. Hrdlicka ist seit 39,5 Jahren in der Josefstadt, als er anfing, so erzählt er, gab es noch nicht einmal Fernsehgeräte in den Hafträumen. Dass es die nun gibt, habe für einiges an Ruhe gesorgt.

Justizwachkommandant Roland Hrdlicka ist seit fast 40 Jahren in der Josefstadt tätig.
Foto: Regine Hendrich

Zwischen den grauen und grünen Dächern sieht man den ein oder anderen grauen Fleck, das sind die Höfe, in denen der Freigang verbracht wird. Viele Insassen, vor allem jene, die nicht arbeiten, verbringen die restlichen 23 Stunden des Tages eingesperrt im Haftraum. Bei den jugendlichen und psychisch auffälligen Inhaftierten halte man das Mindestmaß aber stets ein, sagt Hrdlicka. Bei denen wird auch nicht, wie bei den allermeisten anderen, die Zelle um 15 Uhr versperrt, die dürfen danach noch drei Stunden Pingpong spielen, auch Therapieangebote gibt es bis 18 Uhr.

"Will man sich rächen?"

Dennoch: Auch abseits der Josefstadt, immerhin das größte Gefängnis des Landes, sind die Bedingungen in Justizanstalten hart – für jene, die einsitzen, und für jene, die dort arbeiten. Im Justizministerium betont man zwar, dass die Gefängnisse momentan pandemiebedingt nicht überfüllt seien. Dass in einer Justizanstalt aus einem Sechsbett- ein Zehnbettzimmer wird, kommt dennoch vor.

Und: Das Personal ist knapp. "Man kommt gerade dazu, dass man die Logistik hinbekommt, dass man die Insassen spazieren lässt und ihnen zu Essen gibt", sagt der Justizwachebeamte Horst Alič. "Aber wenn man jemanden fragt, wie es ihm geht, hat man nicht einmal die Zeit, sich die Antwort anzuhören." Alič arbeitet in einem Gefängnis in der Steiermark, er ist außerdem Gemeinderat für die KPÖ.

"Was erwartet man sich von so großen Anstalten? Will man sich rächen? Oder will man die Leute wieder als wertvolle Mitglieder in die Gesellschaft bringen?", fragt Alič, wenn es um die Sinnhaftigkeit von Gefängnissen geht. Klar gebe es einen kleinen Teil von Insassen, die hätten so schwere Taten begangen, dass man die Gesellschaft vor ihnen schützen muss, sagt er.

Mütter mit Kindern haben in diesem Haftraum Platz. Kleinkinder dürfen im Normalfall bis zum dritten Lebensjahr bei der Mama bleiben.

Doch dann, so meint er, wären kleinere Einrichtungen mit mehr Personal sinnvoll – so könnte man besser auf die Leute eingehen, auch im Sinne der Sicherheit. Und für alle anderen wäre es sinnvoller, den Schaden wiedergutzumachen, als sie einzusperren, meint Alič: "Wir nehmen den Leuten ja alles weg, die haben keine Eigenverantwortung mehr. Wenn du da nur ein Jahr drinnen bist, ist es schwer, dass du dich draußen wieder zurechtfindest. Wenn ich mir also erwarte, dass die Leute nicht mehr straffällig werden, dann ist ein Häfn in der Form nicht die richtige Einrichtung."

Wie es so weit kam

Resozialisierung, so meint auch Monika Mokre, "wird in der Haft nicht geleistet". Mokre arbeitet einerseits bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist andererseits Teil der Solidaritätsgruppe für eine Gefangenengewerkschaft Österreich. Sie kennt die Bedingungen in Haft, weil sie zahlreiche Insassen besucht hat. "Im Regelfall kamen Insassen schon zuvor nicht gut mit der Gesellschaft klar, darum sind sie kriminell geworden, und nach der Haft haben sie es noch schwerer", sagt sie.

Ein Beleg dafür ist die Wiederverurteilungsstatistik: Von jenen Menschen, die 2015 unbedingt aus der Haft entlassen wurden, wurde mindestens über die Hälfte innerhalb von vier Jahren wieder straffällig. Bei den bedingt Entlassenen war es gut ein Drittel. Insgesamt sank die Wiederverurteilungsrate in den letzten zehn Jahren aber minimal.

Ein Besucherraum. Abgesehen von den Gesprächen durch die Glasscheibe gibt es auch Tischbesuchsmöglichkeiten. Für Langzeitbesuche sind die Räumlichkeiten in der Josefstadt nicht vorhanden.
Foto: Regine Hendrich

"Es kann hier nicht darum gehen, uns und anderen Gutwilligen zum x-ten Male nachzuweisen, dass das Gefängnis unwirksam, schädlich und kostspielig ist." Diese Zeilen stammen von den beiden Soziologen Arno Pilgram und Heinz Steinert und wurden 1981 gedruckt. Die letzte grundlegende Änderung, die den Strafvollzug umkrempelte, wurde vom Ex-Justizminister und Humanisten Christian Broda (SPÖ) angestoßen, er entwickelte ein völlig neues Strafgesetzbuch, das 1975 in Kraft trat.

Doch politisch ist das Thema nicht attraktiv – wer sammelt schon Wählerstimmen, indem er oder sie sich für jene einsetzt, die der Gesellschaft geschadet haben? Große Reformen blieben seit Broda aus. Zumindest am Maßnahmenvollzug wird nun geschraubt, also jener Haftform für Täter, die als "geistig abnorm" bezeichnet werden. Dort sind die Zustände noch katastrophaler als im Strafvollzug oder in der U-Haft.

Die Zukunft

Den Häftlingen steht zeitweise ein Turnsaal zur Verfügung. Gewichte heben ist allerdings nicht erlaubt.
Foto: Regine Hendrich

Nun arbeitet die grüne Justizministerin Alma Zadić an einer Reform, auch wenn man am Konzept Freiheitsentzug offenbar festhalten will. Im Zentrum soll laut Justizressort die Modernisierung stehen, ein Schwerpunkt liege auf "modernen Vollzugsformen" – bei gleichzeitiger Sicherheit. Das kostet. Aber immerhin, so heißt es aus dem Ministerium, habe man im Vorjahr ein Budgetplus von 66 Millionen Euro ausverhandelt. Doch was wären Alternativen, wie könnte man Haft neu organisieren?

Menschen, die mit dem Thema befasst sind, nennen internationale Vorbilder: Auf der Norwegischen Insel Bastøy zum Beispiel können Inhaftierte sich in einem "Minimal-Sicherheitsgefängnis" ganz ohne Mauern oder Gitter frei bewegen, sogar reiten, Tennis spielen und fischen. In vielen Ländern werden außerdem deutlich weniger Menschen eingesperrt als in Österreich (siehe unten). "Wirft man einen Blick auf Italien", so heißt es in einem Bericht einer vom Justizministerium beauftragten Arbeitsgruppe, der heuer erschien, "so konnte dort im Zuge eines 'Haftentlastungspakets' die Belagszahl binnen weniger Jahre von über 70.000 inhaftierten Personen auf 'gut' 50.000 reduziert werden." Etwa indem man die Grenzmengen im Suchtmittelbereich anhob und alternative Haftformen entwickelte.

In ebenjenem Papier sind zahlreiche Vorschläge versammelt, wie man die Haft, wenn es sie denn schon geben muss, zumindest entlasten könnte: Da ist die Rede davon, dass man schon viel eher zur Fußfessel als Alternative greifen sollte, dass man einen Modellversuch "Tatausgleich außerhalb der Diversion" starten sollte, und davon, dass öfter bedingten statt unbedingter Strafen verhängt werden sollten. Zumindest eines davon soll bald umgesetzt werden: Zadić kündigte an, den Einsatz der Fußfessel weiter auszuweiten. Noch steht ein Begutachtungsentwurf dazu allerdings aus. (Gabriele Scherndl, 29.8.2021)