Donnerstag, 26. August, um zehn Minuten vor zehn war es so weit: Der City-Ikea beim Wiener Westbahnhof öffnete seine Pforten, nur ein paar Meter von der U-Bahn-Rolltreppe entfernt, die einen am Westbahnhof ausspuckt. Der zu erwartende Ansturm entpuppte sich eher als ein laues Lüfterl. Die begrenzten Einlasstickets, die für die Eröffnungsphase online gebucht werden müssen, hätte man sich an diesem Vormittag wohl sparen können. Dafür begrüßte klatschend und grölend eine Horde Mitarbeiter in gelben T-Shirts, mit schwedischen Fähnchen wachelnd, die ersten Kunden, die fast andächtig das neue Haus betraten. Und das fast auf den Tag genau 44 Jahre nachdem Österreichs erster Ikea in der Shopping-City Süd aufsperrte. Und fast 70 Jahre nachdem der 2018 verstorbene Firmengründer Ingvar Kamprad seinen ersten Showroom im schwedischen Älmhult aufsperrte, wo bis heute das Zentrum des Ikea-Imperiums untergebracht ist.

Zehn Jahre wurde am Projekt getüftelt, zwei Jahre gebaut. Jetzt ist der Ikea am Wiener Westbahnhof fertig.
Ikea

Nun also nach zwei Jahren Bauzeit ein Ikea in der Stadt. Nun also nach zehn Jahren Projektzeit ein Ende der Frage, ob man in Wien zu Ikea Nord oder Süd fahren soll, um Besorgungen in dem Einrichtungshaus zu erledigen. Nun also derart nah, dass man auch für ein Sackerl Teelichter kommod per U-Bahn oder Rad anreisen kann.

"Hus", zu deutsch Haus, nennt sich der 31 Meter hohe siebente Ikea-Standort in Österreich, der von außen betrachtet einem stählernen, würfelförmigen Riesensetzkasten gleicht. Die Investitionskosten des vom Wiener Architekturbüro Querkraft entworfenen Gebäudes belaufen sich auf 140 Millionen Euro. Geshoppt wird auf fünf Ebenen, die zusammen 9.000 Quadratmeter messen. Auf diversen Terrassen und auf dem Dach, so prahlt man im Pressetext, wurden 160 Bäume eingetopft, die sich aber bei näherer Betrachtung bislang noch als eher armseliges Wäldchen entpuppen. Großartig allerdings gestaltet sich die Aussicht auf Wien von der 2.600 Quadratmeter großen Terrasse, die allen Besuchern bis Mitternacht offen steht. Direkt unter ihr hat sich die französische Hotelkette Jo & Joe eingenistet, eine Art Hipsterherberge, die zielgruppentechnisch auf junge Menschen und Geschäftsreisende abziele.

Selbst wenn einem nicht der Sinn nach Teelichtern oder Fleischbällchen steht, empfiehlt sich ein Besuch der Terrasse.
Ikea

Das Innere des Hauses, in dem sich die würfelförmige Struktur fast zu unauffällig fortsetzt, ist, was es ist: ein mit Rolltreppen verbundenes Einrichtungshaus, auch wenn es etwas luftiger daherkommt als andere Möbeltempel und immer wieder Aussichten durch Fensterfronten auf die Stadt erlaubt. Geshoppt wird der altbekannte Hausrat und Schnickschnack aller Art. Möbel gibt's auch, wenngleich es sich im Vergleich zu den anderen Häusern um ein stark geschrumpftes Sortiment handelt. Mobiliar kann jedoch ab einer bestimmten Größe nicht mitgenommen werden, sondern kommt per Lieferservice nach Hause. Insgesamt sind beim neuen Ikea 3.000 verschiedene Artikel zum Mitnehmen lagernd.

Im Inneren unterscheidet sich der Stadt-Ikea abgesehen vom geschrumpften Sortiment und der Aussicht auf die Stadt nur wenig von anderen Filialen.
Urban

Ebenfalls anders ist das Einkaufen selbst. Die klassische Kassafrau, der Kassamann und Kassabänder sind passé. Das soll der Kundschaft aber Zeit sparen und ihr die Möglichkeit geben, "blitzschnell einzukaufen". Das Ganze funktioniert ähnlich wie in so manchem Supermarkt, indem man an einer der zahlreichen Kassastationen oder überhaupt per App Duschvorhang, WC-Bürste und Co gleich beim Auswählen scannt und dann die gesamte Rechnung an der Station begleicht, ohne die Einkaufstasche noch einmal ausräumen zu müssen. Wem zuvor noch der Magen knurrt, der kann no na im Restaurant oder Café einkehren.

Auf insgesamt 9.000 Quadratmetern gibt es 3.000 Artikel zum Mitnehmen. Größere Stücke werden geliefert.
Urban

Was Ikea hier als besonders revolutionär verkaufen möchte, ist ein Riesenmöbelhaus mitten in der Stadt, das keine Parkplätze braucht. Die Sache ist allerdings die, dass so mancher Kunde vielleicht doch lieber mit dem Auto anreist – entweder weil er es so gewohnt ist oder weil er eventuell doch um einiges mehr als einen Sack Köttbullar oder einen Packen Fantastik-Servietten mitnehmen möchte. Rund um diese Thematik hat sich ein politischer, aber auch städteplanerischer Streit aufgebaut, ein Mords-Tamtam rund um ein drohendes Verkehrsaufkommen im Grätzl und damit verbundene Versäumnisse bezüglich Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung. Bürgermeister Michael Ludwig, ebenso bei der Eröffnung anwesend, strahlte trotzdem übers ganze Gesicht.

Das Wiener Architekturbüro Querkraft entwarf das Gebäude. Insgesamt wurden 140 Millionen Euro investiert.
Ikea

In die Feierlaune bei Ikea mischte sich allerdings noch ein anderer Beigeschmack. Auch die Bürgerinitiative für ein Lieferkettengesetz rief zu einer Protestaktion am Eröffnungstag auf, was den Großteil der Kundschaft nur mäßig interessierte. Nicht zum ersten Mal, Firmengründer Kamprad wurde zum Beispiel immer wieder mit seiner angeblichen Nazivergangenheit konfrontiert, und wohl auch nicht zum letzten Mal kommt der Möbelriese im Zusammenhang mit Vorwürfen in negative Schlagzeilen, vor allem rund um die Themen Menschenrechtsverletzungen und angeblich illegale Holzrodungen.

Unterm Strich ist das neue Haus eine komfortable Lösung, um flott an Dinge aus dem Ikea-Sortiment zu kommen, die in fast jedem Haushalt auftauchen. Nicht mehr und nicht weniger. Abgesehen von der fantastischen Aussicht! (Michael Hausenblas, 26.8.2021)