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Eine US-Soldatin mit einem Baby, dessen Familie aus Afghanistan ausgeflogen werden soll. Nicht nur am Welttag der Verschwundenen, sondern bereits seit 1866 versucht der Rotkreuz-Suchdienst, vom Krieg Getrennte zu vereinen.

Foto: Staff Sgt. Victor Mancilla/U.S. Marine Corps via AP

Weltweit haben die Bilder von Soldaten mit afghanischen Babys in den Armen am Flughafen von Kabul für Betroffenheit gesorgt. Wenn Claire Schocher-Döring diese Bilder sieht, denkt sie an eine große Aufgabe für die kommenden Jahre. Sie ist die Leiterin des Suchdienstes des Österreichischen Roten Kreuzes und weiß, wie herausfordernd es ist, in Konfliktsituationen Familienmitglieder ausfindig zu machen. "Diese Babys haben das Recht zu erfahren, wer und wo die Eltern sind", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD.

Die Bilder lassen in ihr auch Erinnerungen an die Fluchtbewegung nach Europa 2015 und 2016 wach werden. Im damaligen Chaos hätten Behörden einfach Busse an den Grenzen gefüllt: "Als alle Sitzplätze voll waren, ist der Bus abgefahren", erinnert sich Schocher-Döring: "Ohne Rücksicht, ob die Familienmitglieder auch an Bord waren." Dabei sei bekannt, dass sich Menschen leichter in neue Umgebungen integrieren, wenn die Schicksale ihrer Liebsten geklärt sind und sie sich nicht ständig fragen müssen, was aus Angehörigen geworden ist.

Anstieg an Suchanfragen

Zum Welttag der Verschwundenen am Montag erinnert das Rote Kreuz eben daran. Der Suchdienst wurde noch vor dem Österreichischen Roten Kreuz im Jahr 1866 gegründet. Eben jenem Jahr, in dem die österreichisch-ungarische Monarchie die Genfer Konventionen unterzeichnete. Vor allem nach den Wirren des Ersten und Zweiten Weltkriegs spielte der Suchdienst eine große Rolle, ist aber nach wie vor durch aktuelle Konflikte essentiell beim Aufspüren von verlorenen Familienmitgliedern.

Alleine 2020 wurden 210.000 Suchfälle bearbeitet. Etwa jede zehnte Person konnte gefunden werden. "Vor allem Menschen, die durch Naturkatastrophen und Migration den Kontakt zu ihren Angehörigen verloren haben, haben sich an das Rote Kreuz gewandt", erklärt Schocher-Döring den Anstieg der Zahlen von 2020 um 25 Prozent zum Jahr davor.

Alte Konflikte

Allein 2020 wurden 210.000 Suchfälle bearbeitet. Etwa jede zehnte Person konnte gefunden werden. "Vor allem Menschen, die durch Naturkatastrophen und Migration den Kontakt zu Angehörigen verloren haben, haben sich an das Rote Kreuz gewandt", erklärt Schocher-Döring den Anstieg von 2020 um 25 Prozent zum Jahr davor.

Der Suchdienst ist zudem für sogenannte Rotkreuz-Nachrichten zuständig, die in Krisengebieten über das Netzwerk der NGO verschickt werden können. Dann, wenn es keine oder nur noch eingeschränkte Telefon- oder Postverbindung gibt. 150.000 solcher Nachrichten wurden im Vorjahr überbracht. Außerdem stellte die Hilfsorganisation mehr als eine Million Telefonanrufe her: "Da geht es um zwei, drei Minuten, in denen man seiner Familie Bescheid geben kann, dass es einem gut geht", sagt Schocher-Döring. Etwa nach der Flucht über das Mittelmeer.

Eigentlich ging man beim Roten Kreuz davon aus, dass die Pandemie für einen Rückgang bei Anfragen sorgt, doch wurde in dieser Zeit vor allem im Kontext mit alten Konflikten nach Verschwundenen gesucht. In Österreich versuchten viele herauszufinden, was mit Angehörigen während des Zweiten Weltkriegs passiert ist, sagt Schocher-Döring.

Die Hoffnung bleibt

So konnte sich etwa ein Geschwisterpaar finden, das durch Adoption getrennt worden war. Der Bub, der mittlerweile ein älterer Mann ist, wusste, dass er nicht bei seinen leiblichen Eltern lebte – und fragte sich, warum niemand nach ihm suchte, erzählt die Leiterin des Suchdienstes. Doch seine biologische Mutter in Slowenien wollte sehr wohl wissen, was mit ihrem Sohn passiert war. Nach ihrem Tod suchte die Tochter weiter und fand mit der Hilfe des Roten Kreuzes Antworten – und ihren Bruder.

Für Schocher-Döring sind solche Geschichten das beste Beispiel dafür, dass es sich lohnt, nie aufzugeben. Vor allem im jetzigen Fall in Afghanistan will die Leiterin des Suchdienstes, dass die Leute wissen: "Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ihre Nachforschungen nach vermissten Angehörigen wieder aufnehmen, sobald es die Sicherheitslage wieder zulässt." Das Internationale Rotkreuzkomitee und der afghanische Rote Halbmond bleiben im Land. (Bianca Blei, 30.8.2021)