An einem verregneten Augustnachmittag haben die Australierin und ich im Wirtshaus Lohninger Station gemacht, einer Institution im Hausruckviertel, und haben dort inspirierend gute Palatschinken gegessen: weich, aber mit ausreichend Biss, noch saftig, aber nicht mehr teigig und mit jenem herrlich flauschig-flaumigen Mundgefühl, das sie von Crêpes abhebt, ihren berühmten, eher knusprig-samtigen französischen Cousinen. Außerdem hatten sie ein angenehm angesengtes Aroma, das der Chinese "wok hai" nennt und das ich bei Palatschinken so liebe.

Ein paar Tage später habe ich dann wieder Palatschinken gegessen, diesmal in Wien, diesmal weniger perfekt, dafür in Gesellschaft des lieben Heinrich S., von dem das Gerücht geht, dass er fast alles weiß und den Rest auch noch lernen möchte. Ich habe ihm vom Lohninger erzählt, und bald haben wir begonnen zu rätseln, was denn die perfekte Palatschinke ausmacht.

Tobias Müller

Wird sie besser, wenn sie sehr schnell und heiß oder eher langsam gebraten wird? Wie sehr kommt es dabei auf die Menge an Ei an, wie wichtig ist Mehl oder Milch, und soll der Teig rasten? Schnell haben wir gemerkt: Die vermeintlich einfache Palatschinke ist ein faszinierend vielschichtiges Gericht.

Palatschinken dürfte zu den ältesten Speisen der Menschheit gehören: flache, unvergorene Teigfladen backen wir schon länger, als wir sesshaft sind und Getreide anbauen (Fußnote 1). Das Wort kommt vom ungarischen "palacsinta", was wiederum vom lateinischen "placenta" kommt, was schlicht Kuchen bedeutet.

Ihre drei Grundzutaten – Eier, Mehl, Milch – können im Verhältnis zueinander variiert werden, zusätzlich werden in manchen Rezepten Fett in Form von Butter oder Öl und gelegentlich auch Zucker zugesetzt. Der Teig kann kurz oder lange rasten, er kann mit Mineralwasser gestreckt, sehr schnell oder eher langsam gebacken werden – und das alles, bevor man noch überlegt hat, welche Pfanne denn die beste ist. (Fußnote 2)

Ließ uns ratlos zurück: wissenschaftliche Studie zum perfekten Pfannkuchen-Pfannenguss.
Tobias Müller

Weil etwas, was es schon so lange gibt wie Palatschinken, ziemlich sicher bereits ziemlich perfektioniert wurde, haben wir zunächst mit einer Literaturrecherche begonnen.

Wir haben uns dabei großteils an den Klassikern der österreichischen Kochbuchliteratur orientiert: Katharina Pratos "Süddeutsche Küche" und Luise Seleskowitz' "Wiener Kochbuch" stammen noch aus dem 19. Jahrhundert (Fußnote 3), die anderen sind allesamt Standardwerke des 20. Jahrhunderts. Das Lohninger-Rezept habe ich am Telefon erfragt und freundlicherweise umgehend bekommen.

Die meisten Palatschinkenrezepte bewegen sich in einer mehr oder weniger ähnlichen Liga, mit den zwei Ausreißern Christian Petz und O&A Hess. Der Heinrich S. hat es sich nicht nehmen lassen, das aufs Mehl normiert grafisch aufzubereiten:

Tobias Müller

Weil wir nicht nur stur nachkochen wollten, haben wir die nicht die Rezepte einzeln getestet, sondern geschaut, was passiert, wenn wir an einer bestimmten Schraube drehen. Wir haben einen Basisteig gemacht und ihn dann langsam verändert: Erst haben wir ihn unterschiedlich lange rasten lassen, dann mehr Ei, mehr Milch und schließlich mehr Fett hinzugefügt. In einer separaten Sitzung habe ich noch mit der Australierin verschiedene Mixarten, Hitzeeinwirkungen und Mineralwasserergebnisse probiert.

Im Laufe eines Nachmittags und zweier Morgen sind wir langsam bei unserer perfekten Palatschinke gelandet. Oder zumindest nahe daran. Woher der eingangs erwähnte rauchige Geschmack der guten Palatschinken kommt, weiß ich leider immer noch nicht. Ich vermute mittlerweile, dass es an der Marillenmarmelade liegen könnte.

Die Rastzeit

Die meisten traditionellen Palatschinkenrezepte empfehlen eine Rastzeit von 30 Minuten für den Teig, bloß das "Servus"-Magazin behauptet, dass der Teig gleich verarbeitet werden muss, weil er sonst Blasen wirft. Aus rein praktischen Überlegungen halte ich das für einen Unsinn und Rastzeit für unabdinglich: Im Restaurant wird der Teig ganz sicher nicht à la minute zubereitet und rastet daher immer. Um nicht bei grauer Theorie zu bleiben, haben wir vier verschiedene Rastzeiten ausprobiert: über Nacht, vier Stunden, eine halbe Stunde und gar keine Rastzeit.

Tobias Müller

Das Ergebnis: Rasten tut dem Teig definitiv gut. Der ungerastete Teig war merkbar zäher als die anderen, mit einem leicht mehligen Beigeschmack. Die fünf Stunden und 30 Minuten gerasteten Teige waren einmal gebacken deutlich flauschiger, geschmacklich besser und sich sehr ähnlich – was gut, weil für den Koch stressfrei ist.

Der über Nacht gerastete Teig war vom Geschmack her deutlich unterscheidbar und viel herzhafter als die anderen – wahrscheinlich, weil da Enzyme und Bakterien doch deutlich länger Zeit haben, ihre Arbeit zu tun. Er war gar nicht schlecht, aber etwas intensiv – der Teig der Wahl für Fleisch- oder andere herzhafte Palatschinken.

Ei-Anteil

Wir haben drei verschiedene Teige verkostet, einmal mit einem ganzen EI, dann haben wir erst ein, dann zwei Eigelb dazugegeben, bei fast gleichbleibender Mehl- und Milchmenge (fast, weil wir jeweils eine Testpalatschinke abgeschöpft haben, bevor das nächste Ei im Teig gelandet ist).

Das Ergebnis: Ein Ei ergab einen etwas ledrigen, zu zähen Teig, bei zwei Eiern war er merkbar mürber und weicher, bei drei Eiern am mürbsten und unserer Meinung nach besten. Selbst die Farbe war am schönsten. Fazit: Nicht an den Eiern sparen und eher ans obere Ende des Ei-Spektrums gehen. Wer es besonders mürb mag, nimmt teilweise Eigelb statt ganzer Eier – das macht den Teig noch fetter.

Tobias Müller

Die Milch

Wie schon beim Ei haben wir drei verschiedene Teige getestet, von einem Basis-Teig ausgehend immer die Milchmenge erhöht. Wenig Milch ergibt einen etwas zähen, mehligen Teig, die mittlere Menge sorgte für deutlich mehr Flausch, die größte Menge aber ließ ihn bereits ins Breiige kippen. Die Lehre: Milch mit Maß!

Mineralwasser?

Die Welt ist voll von Menschen, die auf prickelndes Mineralwasser im Palatschinkenteig schwören. Ich finde das nicht schlüssig: Die Kohlensäure, der großes Flauschpotential zugeschrieben wird, entweicht ohnehin großteils bereits beim Rasten oder Teigrühren, und dann bleibt nur mehr Wasser statt Milch übrig. Oder?

Die Australierin und ich haben zwei Teige gemacht, einen nur mit Milch, einen mit halb Milch, halb prickelndem Mineralwasser. Wie erwartet konnten wir im Vergleichstest keinen Unterschied feststellen, falls er vorhanden ist, ist er minimal. Ich täte eher sagen, dass die Mineralwasserpalatschinken ein bissl schlechter weil zäher waren, aber das kann auch schlicht an der kleinen Sample-Size liegen). Wer es ganz genau wissen will, muss wohl mehr Palatschinken braten als wir, aber der Effekt ist mir zu klein dafür.

Butter oder nicht Butter – oder gar Öl?

Eine Streitfrage, die wir nicht abschließend klären konnten. Fette in Teigen sorgen dafür, dass sich das Gluten nicht so gut vernetzen kann und der Teig daher weniger fest und mehr kuchig wird – siehe etwa den Unterschied zwischen einem Sauerteigbrot und einem Brioche. Bei Palatschinken ist das nicht anders: Palatschinken mit zugesetztem Fett werden etwas weicher, samtiger im Mundgefühl.

Der Heinrich S., ein im falschen Land geborener Franzose, fand die braune Butter super, die er in den Teig gemischt hat, mir war der Buttergeschmack der Palatschinke danach ein wenig zu penetrant. Geschmacksneutrales Öl sorgt für einen reinen Mundgefühl-Effekt – ich bin mir aber ehrlich gestanden nicht sicher, ob selbst das wirklich nötig ist. Bloß die Tatsache, dass das Lohninger'sche Rezept Öl enthält, lässt mich auf Verdacht bei Folgeexperimenten weiterhin zur Flasche greifen.

Am linken Rand

Die Mutter des Heinrich S. schwört auf ein Palatschinkenrezept, das ihr wiederum von Maria Ott, der Schauspielerin, gegeben worden sein soll. Es setzt auf ein Verhältnis von 1:1 von Butter und Mehl, was es zu einem ziemlichen Outlier in unserer Grafik macht:

Maria Ott

Ich konnte dem nicht widerstehen und habe es getestet. Ergebnis: ein prächtig anzusehender, buttrig schimmernder Teig, wie zu erwarten sehr üppig. Schon gut, mir fehlt aber ein wenig die Flaumigkeit. Ich täte es, wenn nochmals, dann mit mehr Ei probieren.

Maria Ott

Die richtige Pfanne

Ich liebe meine Gusseisenpfannen und ganz besonders meine schwedische Tunnbrödpfanne mit extraniedrigem Rand, die ideal ist für Palatschinken. Ich habe sie einst antiquarisch und mit perfekter Patina in Stockholm erworben und nehme sie seither selbst auf längere Reisen mit. Leider muss ich aber sagen: Palatschinken werden in ordinären Antihaftpfannen genauso gut, auch wenn es etwas weniger Spaß macht, sie darin zu backen. Nicht einmal Heinrich S.' geschmiedete Pfanne aus dem Sauerland machte einen schmeckenswerten Unterschied.

Tobias Müller

Heiß, heißer, am heißesten

Die Frage, wie eine Palatschinke gebacken werden soll, ist schnell beantwortet: schnell und heiß. Nicht so heiß, dass sie gleich verbrennt, aber heiß genug, dass sie in ein, zwei Minuten durchgebacken ist. Erstens macht sie das weicher und weniger trocken, und zweitens ist Palatschinkenbacken bei niedriger Hitze einfach fad.

Auch für die Optik ist die Hitze wichtig: Erst bei ordentlich Brennkraft bildet sich das charakteristische braune Palatschinkenmuster. Achtung: Wer ohne oder mit zu wenig Fett bäckt, bekommt statt einer feschen Maserung eine braune Fläche, die störend knusprig ist.

Tobias Müller

Was die Hitze nicht und nicht zustande gebracht hat, ist jener eingangs erwähnte, leicht rauchige Geschmack. Der Heinrich S. und ich haben sogar extra ein wenig Öl in der (Schmiedeeisen-)Pfanne verbrennen lassen, ohne bzw. nur mit unerwünschtem Ergebnis. Mehr Experimente sind eindeutig vonnöten.

Frisch oder aufgewärmt

Bis vor wenigen Tagen hätte ich geschworen, dass es sich mit Palatschinken wie mit Pizza verhält: Sie sind Sternschnuppen des Genusses, die mit jeder Sekunde, die sie aus der Pfanne sind, an Köstlichkeit verlieren. Entsprechend habe ich sie bisher auch am liebsten stehend in der Küche verspeist, eine nach der anderen, wie sie aus der Pfanne kommen.

Der Thomas Schmid, Chefkoch vom Gasthaus Lohninger, hat dann meine Welt zusammenbrechen lassen, als er mir nonchalant und ohne Anflug von Scham erzählt hat, dass die Lohninger-Palatschinken vorgebacken und dann vorm Servieren in der Pfanne und eventuell der Mikrowelle aufgewärmt werden. "Wir haben sie früher frisch gemacht, aber man merkt keinen Unterschied", hat er vernichtend klar gesagt.

Was wir über Palatschinken gelernt haben

Palatschinken sind nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Man kann an ganz schön vielen Teig-Schrauben drehen, ohne das Ergebnis wesentlich zu verändern. Gleichzeitig ist aber der Sweet Spot klein, der Grad schmal zwischen einer perfekten und einer durchschnittlichen Palatschinke. Kurz: Sie werden kaum wirklich schlecht, aber auch nur selten richtig gut.

Als wesentlich erscheint mir das Rasten (30 Minuten plus) und eine relativ hohe Ei-Menge. Hier das vorläufig perfekte "Gruß aus der Küche"-Palatschinken-Rezept, wie Heinrich S.' Scatterplot zeigt, gar nicht so weit weg von der goldenen Mitte:

Tobias Müller

Und als Draufgabe, weil es gar so gut war, das Originalrezept vom Lohninger. Wenn Sie in der Gegend sind – irgendwo zwischen Wien und München –, fahren Sie dort vorbei, auch wenn sie gar keine Palatschinken mögen. Der Schweinsbraten (vorbestellen!) allein lohnt die Fahrt.

Die original Lohninger-Palatschinke

  • 200–220g Weizenmehl glatt 700
  • 500ml Milch
  • 5 Eier
  • 2 Dotter
  • 30g Öl
  • Prise Salz
  1. Milch und Mehl klumpenfrei glattrühren, danach die anderen Zutaten untermischen.
  2. Teig ca. 30 Minuten rasten lassen, anschließend in einer heißen Pfanne mit wenig Öl ausbacken.
  3. Mit Klarsichtfolie abdecken und bei Bedarf aufwärmen.


Die "Gruß aus der Küche"-Palatschinke

Keine perfekte, aber eine gute und schöne Palatschinke

  • 100g Weizenmehl glatt 700
  • 234ml Milch (Fußnote 4)
  • 1 Ei
  • 1 Dotter
  • Prise Salz
  • 10ml braunes Butterschmalz oder Öl (optional)
  1. Alle Zutaten klumpenfrei mischen. Eventuell durch ein Sieb streichen. Teig mindestens 30 Minuten, gern auch fünf Stunden rasten lassen.
  2. In einer ziemlich heißen Pfanne etwas Butter schmelzen, Teig nochmals gut durchrühren und dann einen Schöpflöffel in die Pfanne gießen. Schwenken, bis der Pfannenboden bedeckt ist, zwei bis drei Sekunden stocken lassen und vorsichtig den Rest des Teiges wieder in die Schüssel gießen.
  3. Backen, bis die Ränder sichtbar braun werden. Dann wenden und etwa 30 Sekunden fertig backen. Eisenpfannen dabei von der Hitze nehmen.
  4. Erneut wenden und auf einen Teller gleiten lassen (so ist nachher nicht die getupfte sondern die gebräunte Seite außen).
  5. Kurz vor dem Genuss zurück in die heiße Pfanne legen, mit Marmelade bestreichen, rollen und servieren. (Tobias Müller, 29.8.2021)

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Royi's Crêperie: Der Palatschinkeur

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