Im Gastkommentar setzt sich Bildungswissenschafter Josef Christian Aigner mit dem "Nicht-Christlich-Sozialen" in der türkisen Politik auseinander.

Europäische Länder fliegen Schutzsuchende aus Afghanistan aus. Eine freiwillige zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen lehnt Kanzler Kurz ab.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Derzeit laufen die politischen Sommergespräche auf Puls 24 und im ORF, bei denen man eh schon weiß, welche ihrer Gebetsmühlen die Interviewten auspacken werden. Ein paar privat oder persönlich genannte Details, okay, aber da gibt es Unterhaltsameres im Fernsehen.

Nur gelegentlich stoße ich in Printmedien auf Passagen daraus, die Verwunderung auslösen, nicht wegen des Neuigkeitswerts, sondern wegen der Dreistigkeit, mit der sie vorgebracht werden. So etwa Sebastian Kurz' Aussage, er sei wohl am ehesten "christlich-sozial" (und "liberal"). Da stellt es jedem/r überzeugten Christlich-Sozialen die Haare auf. Ich weiß ja nicht, welche religiöse Bildung Herr Kurz genossen hat, aber ganz grundlegend messen die Christen laut ihren Evangelien die Menschen doch daran, was sie tun, und nicht an dem, was sie sagen, wobei die Rücksicht auf Arme und sozial Schwache und die Barmherzigkeit leitende Prinzipien sind.

Wenn man diesbezüglich auf die Karriere von Kurz blickt, dann hat sein politisches Tun mit dem, was sich gemeinhin "christlich" und "sozial" nennt, wenig bis nichts zu tun: Das beginnt mit der respektlosen Ausschaltung altverdienter Parteikollegen und dem absolutistischen Herrschaftsanspruch ("Durchgriffsrecht"), mit dem der junge türkise Mann den wankelmütigen Schwarzen die Schneid abgekauft hat (die sich ihrerseits fragen müssen, wie "christlich-sozial" die auf Wahlerfolge schielende schweigende Zustimmung zur Kurz-Politik ist).

Asylrecht oder Gnade?

Oder die recht verlogene Spendensammlung bei Millionärinnen und Millionären mittels gestückelter 49.000 Euro, weil mehr als das illegal wäre; dann die korruptionsverdächtige Job-Packelei mit Freunderln aus der türkisen "Familie" – vorbei an korrekten Ausschreibungs- und Bewerbungsprozessen. Ganz besonders auch das demütigende Lächerlichmachen von Kirchenvertretern durch Kurzens mittlerweile verschwundenen Vertrauten Thomas Schmid (den er mit "Gas geben!" auch noch anspornte).

Am deutlichsten aber wird das "Nicht-Christlich-Soziale" bei der Barmherzigkeit, die Kurz und Konsorten mit Füßen treten: die aggressive Antiflüchtlingspolitik, wo Menschen schon von vornherein als "gefährlich" deklariert werden und deren Aufnahme selbst in großer Not bis heute auch Hilfswilligen in Österreich stur verweigert wird. Das widerspricht nicht nur jeder "frohen Botschaft", sondern auch allen aktuellen Appellen des Papstes und vieler Bischöfe. Stattdessen werden Zahlen von afghanischen Aufgenommenen zelebriert (Asylrecht oder Gnade?) und wird die "Hilfe vor Ort" in Endlosschleifen abgefeiert, einerlei, ob diese dort ankommt oder von der konkreten Notlage her Sinn macht.

Erbärmliche Hilfe

Aber nicht nur das: Kurz, Nehammer und Co lügen sich selbst hier in die Tasche, weil diese Hilfe – wie die ganze Migrationspolitik – vergleichsweise erbärmlich ist: Sowohl die Zahlungen an das UNHCR als auch die humanitäre Hilfe sind beschämend niedrig (zehn Millionen US-Dollar im Vergleich zu Dänemark mit 97 Millionen oder Schweden mit 125 Millionen an das UNHCR; 3,8 Euro humanitäre Hilfe pro Kopf 2019, während der EU-Schnitt bei 11,9 Euro liegt). Bei der UN-Welthungerhilfe liegt Österreich mit 4,5 Millionen (Dänemark: 56 Millionen) gar hinter Ländern wie Bangladesch auf Rang 40 weltweit (siehe René Rusch im STANDARD, 21.8.2021).

Das ist, Herr Kurz, eine Schande für ein so reiches Land wie Österreich und hat mit "christlich-sozial" aber auch schon gar nichts zu tun. Freilich fragt man sich auch, warum die ohnehin gedemütigten Kirchenvertreter dazu schweigen, wenn sich jemand ihrer Überzeugungen bedient, um vor Gott (?) und der Welt besser dazustehen. (Josef Christian Aigner, 27.8.2021)