In Israel, wo besonders früh geimpft wurde, hat man mit der Auffrischungsimpfung gegen Covid-19 begonnen. Es zeigte sich, dass die Antikörperspiegel rund ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung recht deutlich sinken.

JACK GUEZ / AFP

Es ist aktuell, zugegeben, ein wenig schwierig, den Überblick zu behalten, wie gut Impfungen vor Covid-19 schützen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass erst seit rund acht Monaten geimpft wird – und vor allem: dass die sehr viel ansteckendere Delta-Variante erst seit wenigen Wochen in den meisten Ländern dominant ist und viel verändert hat.

Zudem ist die Frage längst hochpolitisch und auch noch eine Art Glaubensstreit geworden. Soll die 3G-Regel bleiben oder eine 1G-Regel kommen? Ist es legitim, dass Geimpfte mehr Freiheiten (zurück-)bekommen? Und was ist eigentlich mit den (nur) Genesenen?

Bleiben wir bei den Daten und Fakten, so gut sie im Moment eben vorliegen. Dabei ist es ratsam, sich eher an Zahlen vor allem aus Israel oder Großbritannien zu halten, wo nicht nur früher geimpft wurde und sich auch Delta früher durchsetzte. In diesen Ländern ist auch die Datenverfügbarbeit deutlich besser als in Österreich, wo einige Bundesländer immer noch unwillens sind, brauchbare Daten über den Impfstatus von Covid-19-Krankenhauspatienten zu liefern.

Die wichtigsten Zwischenergebnisse

Was also haben die Studien der letzten Tage und Wochen an vorläufigen Ergebnissen gebracht? Grundsätzlich scheinen die Impfungen auch gegen die deutlich ansteckendere Delta-Variante zu wirken. Sie schützen nicht nur die Impflinge selbst vor Infektionen und schweren Verläufen, sondern dürften auch das Infektionsrisiko für die Mitmenschen reduzieren. So sind Geimpfte wohl weniger lang ansteckend, und auch ihr Virenmaterial dürfte eine geringere Infektiosität aufweisen.

Allerdings ist der Impfschutz nicht perfekt, wie man von Beginn an wusste. Und Delta hat ihn noch einmal etwas herabgesetzt. Mit anderen Worten: Auch doppelt geimpfte Personen können sich infizieren und auch schwer erkranken, wie sich zuerst in Israel zeigte. (Statistisch richtig interpretiert zeigen die israelischen Zahlen freilich auch, dass Geimpfte im Verhältnis zu den Ungeimpften deutlich seltener im Spital behandelt werden müssen. Dass es in absoluten Zahlen mehr Geimpfte sind, hängt schlicht damit zusammen, dass sehr viel mehr Personen geimpft sind.)

Rückgang der Antikörper

Neue Analysen zeigen aber auch, dass der Immunschutz und die damit korrespondierenden Antikörperwerte bei Geimpften nach einigen Monaten relativ deutlich abnehmen und den Immunschutz reduzieren. Dieser Abfall dürfte zwischen den verschiedenen Impfstoffen etwas variieren. Bei Comirnaty (dem Impfstoff von Biontech/Pfizer) scheint das relativ schnell zu passieren.

Deshalb hat man in Israel, wo ausschließlich mit diesem Vakzin geimpft wurde, bereits mit 1. August mit Booster-Impfungen begonnen. Und Biontech/Pfizer hat wegen des Antikörperschwunds am Donnerstag auch bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) Daten für die Auffrischungsimpfung eingereicht, die (noch) nicht öffentlich zugänglich sind.

Zugänglich ist aber eine neue israelische Studie, die bisher nur als Preprint auf Medrxiv veröffentlicht wurde (also noch nicht vollständig fachbegutachtet), die jetzt mit konkreten Daten anschaulich macht, wie sich die Antikörperspiegel der Geimpften im Vergleich zu den Genesenen entwickeln: Sie fallen vergleichsweise schneller ab, wie diese beiden Grafiken aus der Studie recht eindrücklich zeigen:

Das Absinken der Antikörperwerte nach zwei Comirnaty-Impfungen ...
Grafik: Eli Magen et al. 2021
... im Vergleich zu den Antikörpertitern nach einer überstandenen Infektion. (Die x-Achse mit den Monaten weist hier im Vergleich zu oben eine andere Skalierung auf.)
Grafik: Eli Magen et al. 2021

Die Antikörpertiter der Genesenen dürften also um einiges "haltbarer" sein als die von Personen mit zwei Comirnaty-Impfungen. Aussagen über die zelluläre Immunität – also insbesondere das die Antikörper ergänzende Immungedächtnis in Form der T- und B-Zellen – macht diese Untersuchung von Forschenden um Eli Magen (Ben-Gurion-Universität des Negev) allerdings nicht. (Aufschlüsse darüber findet man in diesem neuen Preprint eines US-Forscherteams, das von einem anhaltenden Immungedächtnis nach mRNA-Impfungen auch bei Virusvarianten berichtet.)

Weniger Risiko für Genesene

Bedeutet das nun auch, dass die "nur" Genesenen besser geschützt sind als doppelt Geimpfte? Zumindest im Fall der Delta-Variante und relativ lange nach den Impfungen scheint dies tatsächlich der Fall zu sein, wie eine weitere epidemiologische Studie – ebenfalls vorläufig nur ein Preprint – aus Israel zeigt. Die vorläufige Hauptergebnisse der Forschenden vom Tal Patalon (Maccabi Healthcare Services in Tel Aviv) in aller Kürze: Im Jänner oder Februar "nur" Geimpfte hatten bisher ein in etwa 13-fach erhöhtes Risiko für eine Ansteckung mit der Delta-Variante verglichen mit dem Risiko von "nur" Genesenen, die sich im Jänner oder Februar infiziert hatten.

Erfolgte die Infektion bereits vor den Impfungen (also im Wesentlichen im Jahr 2020), so war der Schutz vor Delta immer noch deutlich höher als für die nur Geimpften: Die hatten im Vergleich zu dieser Gruppe der nur Genesenen ein rund sechs- bis siebenfaches Risiko für eine Infektion (asymptomatisch oder mit Symptomen). Auch das Risiko für schwere Verläufe war höher. Unter Kolleginnen und Kollegen hat die Untersuchung für einiges Aufsehen sorgt und wird etwa auch auf Twitter intensiv diskutiert, wie etwa hier.)

Mögliche Schlussfolgerungen

Was heißt das jetzt, wenn die Ergebnisse stimmen? Auf jeden Fall bedeutet das nicht, dass Personen, die noch nicht geimpft und nicht infiziert waren, jetzt auf eine Infektion hoffen sollten, statt zur Impfung zu gehen. Das galt schon für die bisherigen Sars-CoV-2-Varianten und umso mehr für Delta: Neue Daten aus Großbritannien zeigen, dass Delta nur ansteckender, sondern auch aggressiver ist und im Vergleich zu den bisherigen Varianten das Risiko einer Spitalseinweisung nach einer Infektion für Ungeimpfte verdoppelt.

Sollen sich Genesene impfen lassen? Besser wäre es allemal: Die allerbeste Immunisierung dürfte nach allen bekannten Daten eine Infektion plus einmalige Impfung sein. Wirken Impfungen gegen Delta jetzt auf einmal so viel schlechter? Nein, aber es zeigt sich, dass die Immunisierung durch Infektionen jedenfalls im Fall von Delta etwas besser anhalten dürfte als die doppelte Impfung mit Comirnaty. (Konkrete Vergleichsdaten aus Israel gibt es nur für diesen Impfstoff; Moderna dürfte etwas länger für hohe Antikörpertiter sorgen.)

Für die aktuellen österreichischen Diskussionen um eine 1G-Regel (nur für die Geimpften) liefern die beiden Untersuchungen aber einen wichtigen Hinweis: Das G für die nur Genesenen (auch ohne Impfung) sollte wohl besser gleichrangig gültig sein und die 1G-Regel zur 2G-Regel werden. (Klaus Taschwer, 26.8.2021)