Und dann tauchte sie auf, die große Düne, der spirituell aufgeladene Sehnsuchtsort, der im Südosten nahe der algerischen Grenze liegt: der Erg Chebbi.

Foto: Karl Füsselberger, Wiener Fotoschule

Amstetten in den 1980er-Jahren: Dem Vater zuliebe hatte Karl Füsselberger eine Zimmermannslehre absolviert, aber tief im Innersten wusste er, dass es da draußen noch etwas anderes geben musste als Holz (und Amstetten): Mit 16 schon überquerte er per Fahrrad ein paar Pässe und landete in Südtirol, aber dort fand er "das andere" noch nicht.

Ein Jahr später befuhr er mit seinem Bruder 140 Kilometer auf einem Fluss in Schweden, auch dort sah er immer noch viel Holz. 1985 trampte er nach Schottland (viel Regen, viel Moos), und auf der Fähre nach Island kam er seiner Suche nach "dem anderen" unerwartet näher: Er lernte einen Niederösterreicher kennen, der in ihm den Nordafrika-Reisenden erkannte: "Du musst nach Marokko!", sagte der zu ihm, und diese Idee gefiel Karl: Sand, Steine und Trockenheit. Ab nun wollte er in die Wüste, zum Erg Chebbi, der großen Sanddüne des Östlichen Großen Ergs.

Der heute 57-jährige Fotograf hatte keine Ahnung, was ihn dort erwarten würde, es gab kein Internet, kein Google Maps. Nur den Reiseführer von Erika Därr, die mit ihrem Verlag in München die Expertin für Marokko schlechthin war. Und ein kleines Pons-Wörterbuch zum Sich-Unterhalten.

Noch keine Kreisverkehre

1986, da war er 22 und Tschernobyl gerade explodiert, motivierte er einen Freund, mit ihm die Autobahnauffahrt Amstetten zu nehmen und auf der A1 Richtung Westen zu fahren. Kreisverkehre, auf denen man schon zu Beginn der Reise die Orientierung verlieren konnte, gab es damals noch nicht.

Karl hatte einen türkisfarbenen R4, der zehn Jahre alt war, mit 34 PS, 845 cm3 Hubraum, 600 Kilo Eigengewicht und Stangenschaltung. Der kleine Franzose hatte aber noch eine lustige Eigenheit, die ihnen in der Wüste von Vorteil sein würde: "Du konntest ihn höherstellen, er war also auch offroad nicht so schlecht."

In den Kofferraum stellten die beiden Freunde eine Kochkiste, die sie aus Sperrholzplatten gezimmert hatten, und hängten sie an eine riesige Gaskartusche. Bei Hof und Turecek, damals schon der Experte für Expeditionen aller Art im 15. Wiener Gemeindebezirk, kauften sie Schlafsack und Zelt. Dort gab man ihnen auch eine Flagge als Aufkleber für den R4 mit auf den Weg, auf dem Austria, Autriche und Al Nemsa stand. So heißt Österreich auf Arabisch.

Österreich auf Arabisch

Spät in einer Samstagnacht im Juni fuhren sie los, der Weg interessierte sie nicht, sie fokussierten sich allein auf das Ziel. Paul, sein Freund, war ein guter Fahrer, sie vertrauten einander. Über Salzburg, Innsbruck, Bern und Genf kamen sie nach Valence, Frankreich, wo sie in irgendeinem Feld übernachteten. Über Montpellier, Girona, Barcelona (zweite Übernachtung) und Valencia kamen sie nach Algeciras, nach 2851 Kilometern und nur drei- oder viermal tanken.

Eine Fähre brachte sie hinüber in die spanische Enklave Ceuta, die damals noch nicht boulevardbekannt war für das Ankommen von Flüchtlingen. Wie auch Marokko noch kein "Herkunftsland" war, sondern Sehnsuchtsland vor allem für Bildungsreisende aus dem akademischen Milieu.

"Die Marokkaner waren sehr unangenehm an der Grenze", erzählt Karl, sie waren quasi die Nehammers auf ihrem Weg zum Erg. Sie haben ihren R4 aufgemacht und umgedreht, sogar die Isostar-Flaschen geleert und nachgeschaut, ob was Verdächtiges drinnen ist. Bis sie ihren Aufkleber entdeckten: "Ah! Waldheim! Good Muselmann!"

Im Mai davor waren in Al Nemsa die Bundespräsidentenwahlen gewesen, und so positiv sah man den frischgewählten Präsidenten und ehemaligen UN-Generalsekretär mit seinem problematischen Erinnerungsvermögen in Marokko. Eine Frage noch: Ob die jungen Autrichiens "pistoleros" mithätten? Und dann hieß es: "Welcome! Have a nice time!"

Ins erste Teppichgeschäft

Die Küstenstadt Tanger, die ihnen ihre Landkarte rechter Hand anzeigte, ließen sie wegen der im Reiseführer beschriebenen Abzocke durch "Schlepper" links liegen, aber auch in Tétouan, wo sie erstmals auf marokkanischem Boden haltmachten, sahen sie sich nach einer halben Stunde ins erste Teppichgeschäft verschleppt. "Das war am Anfang unangenehm", erzählt Karl, "du fühlst dich unterlegen. Aber die fanden für jeden Teppich einen Käufer, der eine kriegte einen für 300, die andere für 3000 Schilling", dabei wurde ihnen viel Tee angeboten.

Das Problem damals schon, so Karl: "Ein Amerikaner, Erste Welt, kauft eine Hose bei einem Marokkaner, Dritte Welt, die einen Dollar kostet, und gibt ihm neun Dollar Trinkgeld. Was sollen die Leute sich denken?" Immerhin war Fotografieren noch kein Problem, "wohingegen du heute in der Gerberei in Fès jedem einzelnen Marokkaner Geld geben musst, der irgendwo auf deinem Foto auftauchen könnte, wenn du dort eines machen willst".

Dann bogen sie gleich einmal falsch ab hinein ins Rif-Gebirge, das eine sehr heiße Gegend war, nicht nur weil sie als Hochburg der Haschischproduktion galt. Um jede Ecke fand sich ein Anbieter, um jede zweite Ecke ein Polizist, der mit dem Anbieter zusammenarbeitete.

Sie aber waren nicht interessiert am "Marokkaner" und fanden nüchtern zurück auf die gut asphaltierte Überlandstraße in Richtung Süden. Erreichten die Cathédrale des Roches, wo ihnen ein Teil der Vorderradaufhängung brach. Drei Marokkaner auf einem Esel (klassisch!) kamen geritten und hatten Draht und anderes Zeug mit dabei, und damit fixierten sie irgendwie den Bruch.

Erwähnung im Reiseführer

Das Problem: "Sie verlangten danach einen astronomisch hohen Preis." Schließlich einigte man sich auf ein Zehntel davon und eine Stange Marlboro, und später schickte Karl die Routenbeschreibung hin zu dieser Cathédrale an Erika Därr, die sie 1989 in einer Neuauflage ihres Führers auch erwähnte: "Erstbefahrung mit R4, Karl Füsselberger ..., nur für starke Gemüter, Allrad empfohlen." Leider verborgte der Erstbefahrer den Band und hat ihn bis heute nicht zurückbekommen.

"Marokko war extrem billig und das Essen großartig!", schwärmt Karl, und so stellte sich die mitgebrachte Kochkiste bald als überflüssig heraus. Aber da sie das Teil nun schon einmal mithatten, kochten sie damit weiterhin Eierspeis und Nudeln und kamen gar nicht auf die Idee, einfach ins nächste Restaurant zu gehen.

Mit dem türkisen R4 auf dem Weg in die Wüste.
Foto: Karl Füsselberger, Wiener Fotoschule

Immerhin den Dreh mit dem Tee hatten sie bald heraußen, er geht so: Die erste angebotene Tasse musst du trinken, die zweite Tasse kannst du trinken, die dritte Tasse sollst du ablehnen. Sonst zieht sich das Zeremoniell in die Länge, bis es sogar den überaus freundlichen Einheimischen auf die Nerven geht, auch wenn sie es selbstverständlich nie zeigen würden.

Den lästigen Schleppern trauen sie sich bald zu sagen, dass sie sich – wörtlich – "schleichen sollen", den entsprechenden Satz beherrschten sie auf Arabisch, und die Schlepper nahmen das nicht persönlich, sondern gingen lächelnd zum Nächsten.

Wanderungen im Atlasgebirge

"Fenster runter!" war oberstes Gebot im R4, nicht nur wegen der Hitze, sondern auch wegen der eigenen Ausdünstungen. Geduscht wurde nicht jeden Tag, übernachtet auf Campingplätzen oder als Gast einer Kooperative. Über Fès und Meknès – "Nach wie vor die schönsten Städte Marokkos!" –, über Kasba Tadla und Marrakesch ("Uninteressant!") kamen sie nach Imlil, zum Ausgangspunkt für Wanderungen ins Atlasgebirge.

Von dort geht man auf den Djebel Toubkal, und ein Bayer, den sie kennenlernten, erklärte ihnen, wie man mit den "Bergführern" verhandelt: "Du musst zu dem hingehen, der am schönsten angezogen ist, und dem haust du so richtig hart auf die Schultern, was sich sonst keiner traut." Das stärkte die Position bei der Preisgestaltung. "Von Imlil kommst du zur Neltner-Hütte, die damals bescheiden war, extrem schiach, grausliche Matratzen." Karl aber war damals "richtig knackig", und so ist er in einem Tag von 1600 Meter auf den 4167 Meter hohen Gipfel hinaufgestiegen, "blöderweise habe ich auch oben übernachtet, mir war dann so richtig schlecht".

Über das "wunderschöne" Draa-Tal mit den hunderttausend Palmen im Südosten und nach einer Runde in der Todra-Schlucht, nach den blauen Quellen von Meski – "Mit einem total berühmten Campingplatz, wo es einen abgefuckten Swimmingpool gibt!" – über Quarazate, Tinghir, Erfoud, Merzouga kamen sie endlich zum Erg. Sand, erklärt Karl, mache nur 20 Prozent der Fläche der Sahara aus, der Rest ist Stein- und Geröllwüste.

Extrem emotional

Die letzten der 4300 Kilometer, die nun hinter ihnen lagen, fuhren sie im R4 einem Kleinbus hinterher, und dann tauchte sie auf, die große Düne, der spirituell aufgeladene Sehnsuchtsort, der im Südosten von Marokko nahe der algerischen Grenze liegt: der Erg Chebbi.

Der Niederösterreicher auf der Fähre nach Island hatte recht behalten, denn: "Die Wüste ist schon super", sagt Karl. "Da ist man extrem emotional, wenn man dorthin kommt. Plötzlich liegt sie wie ein riesiger Sandhaufen da, wie bei uns das Leithagebirge, und mit einem Geländewagen kannst du sie sogar in fünf Stunden umrunden."

Oder man steigt hinauf und sinkt bis zu den Knien ein. "Wenn du den Mythos der Wüste erlebst, die Stille, den fantastischen Nachthimmel, dann hat das schon was." Und man bedenke: Damals gab es noch keine Instagram-Verrückten, keine Facetimer, keine Snapchatter, nur vereinzelt das Klicken analoger Fotokameras.

Er selbst, der später Berufsfotograf werden sollte, hatte eine Fuji dabei und belichtete damit ein paar Diafilme für die Daheimgebliebenen, denen er erzählte, dass die Reise für ihn selbst "ein Wendepunkt war". Sie weckte seine Liebe zu den arabischen Ländern, und zwei Jahre später schon fuhr er in einem umgebauten VW-Bus über Genua nach Tamanrasset, wo am Ende eines 400 Kilometer langen Pistenstücks durch die Steinwüste eine 90-Grad-Linkskurve mit einem 80 Meter hohen Felssturz auf die Reisenden wartet. Dort liegen viele Lkws herum, erzählt Karl, deren Fahrer die Kurve nicht mehr kriegten.

Aber das ist eine andere Geschichte. (Manfred Rebhandl, ALBUM, 28.8.2021)