Eine Aufnahme aus dem September 2020: Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) im Transportflieger mit einer Lieferung österreichischer Hilfsgüter nach seiner Landung in Athen.

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Die Ankündigungen kamen genau zur richtigen Zeit: Ausgerechnet zu Weihnachten erteilte letztes Jahr die griechische Regierung die Bewilligung für ein neues SOS-Kinderdorf auf der Flüchtlingsinsel Lesbos. 500 zusätzliche Kinder könne man so nun betreuen, hieß es. "Wirksame Hilfe vor Ort ist ein ganz zentrales Anliegen dieser Bundesregierung. Ich freue mich sehr, dass es uns gemeinsam mit dem SOS-Kinderdorf gelungen ist, dieses wichtige Projekt so schnell auf Schiene zu bringen", wurde Außenminister Schallenberg (ÖVP) in der dazugehörigen Aussendung zitiert.

Nur: Aus der Betreuung von 500 zusätzlichen Kindern wurde nichts. Gefragt danach, wie viele Kinder denn nun mit österreichischer Hilfe betreut werden können, sagte Schallenberg diese Woche in der "ZiB 2": "Derzeit sind es, wenn ich richtig informiert bin, bei 200, 250. Also noch einmal ganz kurz, die Hilfe vor Ort kommt an."

120 statt 500 zusätzliche Plätze

Allerdings ist auch das laut SOS-Kinderdorf, die diese Betreuung übernehmen, nicht richtig. Auf Anfrage des STANDARD heißt es: "SOS-Kinderdorf betreibt seit Mitte Mai 2021 die Tagesbetreuungsstätte für Kinder aus dem Flüchtlingslager Kara Tepe II / Mavrovouni auf Lesbos in einem eigens dafür angemieteten Haus in Mytilini. Aktuell werden dort täglich rund 120 Kinder im Alter von vier bis 13 Jahren betreut." Das sind um mindestens 80 weniger als vom Außenminister angegeben und um 380 weniger, als zu Weihnachten angekündigt wurde.

Auf eine STANDARD-Anfrage antwortete das Außenministerium am Freitagabend, dass die Bundesregierung Ende 2020 beschlossen habe, die Kosten des Projekts von SOS Kinderdorf zur Tagesbetreuung von bis zu 500 Kindern des Lagers Kara Tepe II für drei Jahre zu übernehmen. "Insgesamt wurden bereits ca. 350 Kinder mit diesem Angebot erreicht."

Kein kindergerechtes Umfeld

Eigentlich hatte man sogar schon einmal mehr Kinder in Betreuung als vor der "Hilfe vor Ort": SOS Kinderdorf betrieb in Kara Tepe bereits seit 2015 eine Kinderbetreuung für 200 Kinder. Diese musste nach Schließung dieses Lagers gänzlich eingestellt werden.

Das Problem sei, so heißt es von einer SOS-Kinderdorf-Sprecherin, dass man einfach kein kindgerechtes Umfeld finden würde. "Die Lage im Lager ist kinderrechtlich unwürdig", sagt sie, darum sei es wichtig, "die Kindern rauszuholen und ihnen eine andere Welt zu zeigen". Viele der Kinder würden in der Betreuungseinrichtung zum ersten Mal auf einem Sessel sitzen, seien zum ersten Mal in einem richtigen Haus. Und dafür bräuchte es eben Räumlichkeiten, die nicht zu finden sind.

Man habe zwar über Zusatzschichten nachgedacht, um den hohen Bedarf zumindest ein wenig besser erfüllen zu können, sich aber dafür entschieden, die Kinder, die man habe, regelmäßig zu betreuen. Und: Sobald die Corona-Beschränkungen auf Lesbos gelockert werden, könne man die Zahl der Kinder "noch etwas erhöhen".

Tonnenweise Hilfsgüter geliefert

Doch das waren nicht die einzigen Hilfsleistungen, die Österreich medienwirksam erbrachte, nachdem die Zustände in den Lagern immer katastrophaler wurden. Mitte September schon flog Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) höchstpersönlich nach Athen. Im Gepäck: 55 Tonnen Hilfsgüter, bestehend aus 400 Familienzelten, 2.000 Hygienepaketen, 200 Zeltheizungen, 400 Zeltbeleuchtungen, 7.400 Decken und 2.700 aufblasbaren Matratzen, Polstern und Bettwäsche. Im Oktober dann berichtete das Nachrichtenmagazin "Profil", dass die Lieferung immer noch am Flughafen liege.

Laut Recherchen des ORF stehen von diesen Zelten inzwischen nur 25, die Heizstrahler könne man nicht verwenden, weil es im Lager keinen Strom gibt. Darauf angesprochen, verwies Schallenberg auf das UNHCR, dem habe man die Waren gegeben, dort würde entscheiden, was wo eingesetzt werde: "Also, die Kritik müssten Sie eigentlich an die Uno richten", so Schallenberg.

Beim UNHCR allerdings betont man, dass man niemals Güter von der österreichischen Regierung bekommen habe. Das sei ein bilateraler Deal direkt mit der griechischen Regierung gewesen, so könne man auch nicht sagen, was aus den Gütern wurde. Nachdem Christoph Pinter, Leiter des UNHCR Österreich, das auch in einem Tweet klarstellte, ruderte das Außenministerium – ebenfalls via Twitter – zurück: "Konkretisierung der gestrigen Aussage von Außenminister Schallenberg in der 'ZiB 2': Österreich hat Griechenland Hilfsgüter auf deren Ansuchen zur Verfügung gestellt. Griechenland gibt diese an das Lager weiter", hieß es da.

Vom Innenministerium heißt es auf Anfrage des STANDARD dazu, wo denn die Güter nun seien: "Die Übergabe erfolgte an die griechischen Zivilschutzbehörden am Flughafen Athen, mit denen auch zuvor alle Absprachen durch die zuständige Fachabteilung des Bundesministeriums für Inneres erfolgten. Die weitere Verwendung von Hilfsgütern obliegt in einem souveränen Staat selbstverständlich den dortigen Behörden selbst".

Hilfe vor Ort auch in Afghanistan

Das Argument der "Hilfe vor Ort" war in der ÖVP nicht nur in Bezug auf Lesbos die Standardantwort, wenn es darum ging, keine Geflüchteten aufzunehmen. Auch nun, in der aktuellen Afghanistan-Debatte, argumentieren ÖVP-Minister und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) damit, dass man direkt in Kabul helfen wolle, anstatt die Leute dort rauszuholen.

Laut Schallenberg werde Österreich zusätzlich zu den drei Millionen Euro, die man Afghanistan und seinen Nachbarländern zur Verfügung stellen werde, weitere 15 Millionen Euro Soforthilfe für die Uno und das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR in Afghanistan leisten. "Das Gebot der Stunde ist Stabilität und Hilfe bei der Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern Afghanistans. Es ist daher auch dringend notwendig, möglichst rasch eine UN-Geberkonferenz einzuberufen. Damit leisten wir dort Hilfe, wo es am nötigsten ist, nämlich vor Ort, und können somit neue Flüchtlingsströme nach Europa zu verhindern helfen", hieß es dazu von Kurz in einer Aussendung. (Gabriele Scherndl, 27.8.2021)