Die rechtliche Aufarbeitung der Sitzblockade bei der Klimademo 2019 in Wien dauert an.

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Man könnte meinen, dass es aus Opfersicht eigentlich schlechtere Varianten gibt, wie ein Prozess wegen Körperverletzung beginnen kann. "Die Schläge werden nicht in Abrede gestellt", sagt Verteidiger Nikolaus Rast zu Beginn der Verhandlung gegen zwei Polizeibeamte am Wiener Straflandesgericht. "Dazu gibt es auch, wenn Sie so wollen, ein Tatsachengeständnis."

Doch obwohl sich Anklage und Verteidigung über die vorgefallene Handlung an sich einig sind, gehen die Meinungen über die rechtliche Bewertung ebendieser deutlich auseinander. Es geht um den aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz bei einer Klimademo 2019 in Wien. Am Freitag mussten sich nun, über zwei Jahre danach, zwei Polizisten wegen Körperverletzung und Amtsmissbrauchs verantworten.

Dem Beamten D. wird vorgeworfen, dem Demonstranten K., der bei seiner Festnahme auf dem Bauch am Boden fixiert wurde, neun Schläge gegen die Niere versetzt zu haben. Der medial breit diskutierte Vorfall wurde auf einem Video festgehalten. Darauf ist eine Person zu hören, die im Hintergrund "In die Nieren!" ruft – wobei unklar ist, ob es sich um einen Polizeibeamten oder einen Beobachter handelt. K., der sich zuvor an einer Sitzblockade beteiligt hatte, erlitt eine Prellung der Niere und Hämatome.

Entkräftete Manipulationsvorwürfe

Darüber, dass die filmisch festgehaltenen Schläge so auch stattfanden, herrscht also wie erwähnt Einigkeit. Nicht aber darüber, ob der Beamte D. so hätte handeln dürfen oder nicht. "Aus meiner Sicht ist das nicht strafbar", sagt Verteidiger Rast. "Das Ganze wäre nicht passiert, wenn K. sich hätte festnehmen lassen." Erst nachdem sein Mandant die Fauststöße ausgeführt habe, sei es möglich gewesen, K. Handschellen anzulegen. Besagtes Video sei zudem "in Endlosschleife" gespielt worden und zeige "nicht den ganzen Sachverhalt".

Bereits vor einigen Monaten stellte Ex-Innenminister Wolfgang Peschorn im Rahmen einer parlamentarischen Anfragebeantwortung in den Raum, dass das Video manipuliert worden sei, und zwar konkret, indem entsprechende Sequenzen wiederholt worden seien. Dabei hätte es laut den beteiligten Polizisten eben nur zwei bis drei Schläge gesetzt. Ein aufgrund einer vom Betroffenen K. eingereichten Maßnahmenbeschwerde eingeleitetes Verfahren vor dem Wiener Landesverwaltungsgericht im Jänner 2020 beendete dann diese Debatte: Das Gericht stellte fest, dass K. neun Schläge in die Nierengegend versetzt wurden, worin eine Verletzung der Menschenwürde und eine erniedrigende Behandlung erkannt wurde.

Schläge und Tritte

Doch zurück zur Verhandlung vor dem Straflandesgericht. Wie am Freitag deutlich wurde, herrschen über jene Handlungen, die nicht filmisch festgehalten wurden, weiterhin Wahrnehmungsdifferenzen. Aus K.s Sicht trug sich das Ganze folgendermaßen zu: Er sei zuerst von der Sitzblockade weggetragen worden, wobei ihn währenddessen ein Beamter fallen ließ. Im Zuge dessen und danach sei er mehrmals geschlagen worden – in die Hoden, die Kehle und eben auch in die Nieren. Letzteres ist auch Teil der Anklage. Auf die Frage von Richterin Nicole Rumpl, ob er jemals gegen Beamte getreten habe, gibt K. zu Protokoll: "Nie."

Polizist P., dem Amtsmissbrauch vorgeworfen wird und der ebenfalls beim Wegtragen von K. beteiligt war, erinnerte sich anders. "In meiner Erinnerung hat er sich gewehrt, gewunden und ausgetreten." Sonst hätte er nicht plötzlich das Bein von K. in der Hand gehabt.

Erinnerung und Dokumentation

P. wird zur Last gelegt, die Amtshandlung tatsachenwidrig dokumentiert und dazu auch vor Gericht falsch ausgesagt zu haben, indem er ebendieses angeblich wehrhafte Verhalten von K. festhielt. Der Vermerk wurde vom Wiener Landesverwaltungsgericht bereits als rechtswidrig erkannt, ebenso Teile der Amtshandlung an sich.

"Was ist der Sinn eines Amtsvermerks? Was sollte dort stehen?", will Richterin Rumpl von P. am Freitag wissen. "Das, was sich zugetragen hat", antwortet P. "Und was nicht?", fragt Rumpl weiter. "Lügen?", antwortet P.

"Was passiert, wenn dort was Falsches steht?", fragt Rumpl weiter – und liefert die Antwort kurze Zeit später gleich selbst, indem sie auf das Verfahren gegen K. wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verweist, das allerdings bereits eingestellt wurde.

Dass diese protokollierten Tritte auf dem Video nicht ersichtlich sind, gesteht P. heute auch ein. Die Tritte müssten sich wohl zu einem anderen Zeitpunkt zugetragen haben: "Damals hatten wir den Luxus des Videos noch nicht." Doch dass er den Amtsvermerk vorsätzlich falsch verfasste – was die Voraussetzung für Amtsmissbrauch darstellt –, stellt er in Abrede. Seine Erinnerung habe ihn offenbar getäuscht, zudem habe er sich auf die Wahrnehmung seiner Kollegen verlassen, die ebenfalls von Tritten berichteten. Ein ebenfalls wegen Amtsmissbrauchs eingeleitetes Verfahren gegen zwei weitere Beamte, die diesen Amtsvermerk unterschrieben, wurde eingestellt.

Disput über richtige und falsche Techniken

Die Nierenschläge erfolgten dann, als K. von den Beamten in die gesicherte Zone transportiert und in Bauchlage fixiert wurde. Erst da ist Beamter D. zur Amtshandlung gestoßen. Er habe versucht, die Kollegen bei der Fixierung zu unterstützen, und habe dabei bemerkt, dass es nicht gelang, die Arme von K. freizubekommen, um ihm Handschellen anzulegen. "Ich wollte Sicherheit für alle Beteiligten herstellen", sagt D. Von Richterin Rumpl zum Grund für das Nichtfreigeben der Arme befragt, sagt K.: "Ich habe meinen ganzen Körper angespannt, weil ich Angst vor einer schweren Verletzung hatte."

"Wieso haben Sie diese Technik angewandt?", will Richterin Rumpl von D. wissen. "Ich habe zu dem Zeitpunkt keine andere Möglichkeit gesehen", sagt der Angeklagte. Eine andere Technik sei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht geläufig gewesen, grundsätzlich sei in der Ausbildung nur wenig Zeit für Einsatztraining vorgesehen. "Für welche Situationen wird diese Technik normalerweise angewandt?", fragt Rumpl. D. hält kurz inne, bevor er antwortet: "Eigentlich für Distanzgewinnung und Notwehr." Er habe in der Situation aber keine andere Möglichkeit gesehen. Als "Schläge" würde er seine Handlungen nicht bezeichnen, sondern eher als "Impulse", die er habe setzen wollen. K. beschrieb diese jedenfalls als schmerzvoll, die Folgen spüre er bis heute.

Es sei "das einzige und das gelindeste Mittel", das sein Mandant habe anwenden können, sagt Rast. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders: D. hätte eine andere Technik, einen Beinhebel, anwenden müssen. Ob die in dieser Form angewendeten Schläge nun notwendig waren oder nicht, wurde jedenfalls noch nicht abschließend geklärt. Denn laut Rast würden diese Technik nicht einmal alle Wega-Beamte beherrschen, geschweige denn sein Mandant. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung beantragten noch weitere Zeugen. Der Prozess wurde vertagt.

Erst im Juni wurden ein Beamter im Zusammenhang mit dem Einsatz bei dieser Demonstration wegen Amtsmissbrauchs schuldig gesprochen. (Vanessa Gaigg, 27.8.2021)