Der Distanzmodus ist auf Dauer nicht förderlich für die Innovationsfähigkeit.

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Die Logik digitaler Kommunikation erschwert, behindert oder verhindert Mehrdimensionalität, Zwischentöne, Ambiguität und den Umgang mit Ungewissheit und Komplexität", schrieb der Rektor der Angewandten, Gerald Bast, kürzlich im STANDARD in seinem Plädoyer für Präsenzunterricht an den heimischen Hochschulen.

Abwägen, relativieren, differenzieren, hinterfragen, Verbindungen herstellen zwischen unterschiedlichen Wissens- und Handlungsfeldern: Das sei auf Hochschulen zu praktizieren. Bei Vorlesungen im Receive-Modus, in der eigenen Kachel alleingelassen, kann das nicht gehen. Da werden ECTS-Punkte gesammelt und die Ausweise der ordnungsgemäß absolvierten Leistungsanforderungen errungen wie in industriellen Fertigungsanstalten, die Produkte mit Brauchbarkeitsnachweis erzeugen. Depressive Symptome ihrer remote mit Informationen gefüllten und sozial deprivierten "Produkte" inklusive.

Und wie ist das dann in der Jobwelt? Remote-Work funktioniert klasse, heißt es rundherum. Virtuelles Onboarding, also das Willkommen, die Einschulung via Video mit den jungen Einsteigern klappt nach virtuellem Drehbuch.

Alles glaublich: Punkte sammeln auf Distanz geht. In den Job vom eigenen Esstisch aus einsteigen geht auch. Das funktioniert dann wie in einer Kadettenschule. Aufträge ausfassen und abarbeiten. Vom linken auf den rechten Stapel. Fragen: am besten keine. Widersprüche schon gar nicht.

Konstruktiver Austausch

Sicher nicht sind auf Distanz die als "future skills" ausgerufenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen: Kritikfähigkeit. Soziabilität. Im Austausch miteinander und an der Reibung aneinander Neues entwickeln und voneinander profitieren. Die Freizeit wird in der Social-Media-Blase verbracht, da kann ohne tatsächliche Auseinandersetzung gelikt werden. Konfrontation wird dann auch in der Arbeit nie erlebt in der einsamen Kachel – wie kann dann Positionierung gelernt werden? Wie kann dann gespürt und ausprobiert werden, wo es sich auszahlt, zu kämpfen und Nein zu sagen – und wo nicht?

Wo bekommen Vorgesetzte und Kolleginnen dann ihr Korrektiv her? Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate benötigt konstruktiver Streit via Video außergewöhnlich gute Moderation. Und die ist, das zeigen auch die distanten Veranstaltungen der Pandemiemonate, eher selten zu finden.

Auch Firmen müssen wie die Unis – letztlich zum Wohl ihrer Innovationsfähigkeit – alles an Schutzaufwand unternehmen, um ihre Menschen zumindest tageweise physisch zusammenzubringen. (Karin Bauer, 29.8.2021)