Der Neusiedler See droht nach über 150 Jahren erneut auszutrocknen.

Christian Fischer

Johannes Ehrenfeldner zupft eine Pflanze aus dem Boden, reißt ein Blatt ab und kaut darauf herum. "Schlucken Sie es nicht, aber kosten Sie einmal. Ich glaube, das ist Salzkresse", sagt er, während er das kleine grüne Gewächs weiterreicht. Tatsächlich schmeckt es salzig und irgendwie erfrischend. Die Pflanze ist typisch in Biotopen wie dem "Unteren Stinkersee", an dessen Rand Ehrenfeldner steht.

Schilder weisen aus, wie nahe Besucher den rund 40 Salzlacken im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel – dem größten Binnenland-Salzgebiet Europas – kommen dürfen. Das gilt auch für den Direktor. Seit vier Jahren hat der Steirer die Position inne. Als er angekommen ist, habe der Untere Stinkersee im August noch Wasser geführt. Heute ist er nahezu ganzjährig ausgetrocknet und droht, wie es im Fachjargon heißt, auszusüßen.

Johannes Ehrenfeldner vor der Salzlacke "Unterer Stinkersee"
Foto: Christian Fischer

Darauf deutet auch die Vegetation hin. Auf der Salzlacke wächst bereits vereinzelt Schilf, das sogenannte salzliebende Pflanzen wie die Salzkresse sukzessive verdrängt. Nicht mehr willkommen fühlen sich auch Watvögel wie Rotschenkel, Stelzenläufer, Steinwälzer und die Uferschnepfe – sie legen hier keine Pausen mehr ein. "Der Nationalpark war früher Hotspot des internationalen Vogelzugs", sagt Ehrenfeldner. Seit dem Aussüßen der Salzlacken finden die Vögel hier aber nicht mehr genügend Nahrung.

Knapper Grundwasserstand

Die Region rund um den Neusiedler See ist immer mehr Trockenheit ausgesetzt. Geringer Niederschlag (laut Wasserportal Burgenland 550 Millimeter pro Jahr) sowie landwirtschaftliche Nutzung saugen die Grundwasserreserven aus – und gerade diese sind nötig, damit Salzlacken überleben.

Zur Erklärung: Der Lackenboden ist dicht. Steht das Grundwasser an, wird durch Kapillarwirkung Salz in das System der Lacke geliefert. Möglich macht das ein salzführender Bodenhorizont, der sich während der letzten Zwischeneiszeit gebildet hat. Ehrenfeldner: "Reißt diese Verbindung durch Absenkung des Grundwasserspiegels ab, süßt die Lacke aus und ist verloren."

Was dann geschieht, ist im Nationalpark zuhauf zu beobachten: Süßwasserpflanzen bohren ihre Wurzeln durch den Boden der etwa 20 Zentimeter tiefen Salzlacken. Sie werden undicht und kollabieren. Ehrenfeldner: "Wenn sich nicht bald etwas ändert, gibt es in den nächsten 15 Jahre keine Salzlacken mehr."

Wenig Regen, zu viel Sonne

Erst in den vergangenen Jahren hat sich der geringe Niederschlag in der Region zum Problem entwickelt. Grund ist eine Verschiebung der Niederschlagszeiten. Während winterfeuchte Monate früher das Grundwasserreservoir aufgefüllt haben, regnet es mittlerweile weniger in der kalten Jahreszeit, dafür im Sommer mehr. Durch die Hitze verdampft das Regenwasser schneller und kann nicht gespeichert werden.

Wer die Ursachen für diesen Wetterumschwung im Klimawandel verortet, liegt nicht falsch. Die Antwort ist allerdings komplexer. Klaus Haslinger von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) untersucht die Klimahistorie der vergangenen 200 Jahre in Österreich und weiß, dass es immer wieder trockene Phasen in diesem Gebiet gab.

So ist der Neusiedler See bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ausgetrocknet. "In den vergangenen zehn Jahren ist die Gegend wieder markant trocken. Der Klimawandel verstärkt die Verdunstung mit direktem Einfluss auf die Ressource Wasser", sagt Haslinger, und, dass diese besser geregelt gehöre.

"Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern fehlt in Österreich ein Dürrerisiko-Management-Plan. Es braucht ein einheitliches Konzept, das Maßnahmen ab einem bestimmten Grad der Trockenheit vorgibt." Das bedeutet, Wasser in Überschusszeiten zu bunkern und Feucht- sowie Naturräume zu schaffen. "Auch im Bereich der Landwirtschaft werde man sich Gedanken machen müssen", sagt Haslinger.

Sinkt der Grundwasserstand zu tief, süßen die Salzlacken aus.
Foto: Christian Fischer

Damit spricht der Klimaexperte zwei weitere Aspekte der Grundwasserknappheit rund um den Neusiedler See an. Laut Ehrenfeldner würden zu viele Gattungen, darunter Zuckerrüben, Saatmais und Sonnenblumen, angebaut, die sehr viel Wasser brauchen. Zudem führe auch die Entwässerung des Bodens, um landwirtschaftliche Nutzung in der Feuchtgebietregion überhaupt zu ermöglichen, zu verheerenden Folgen. Um die Salzlacken zu retten, fordert der Nationalpark-Direktor eine Umstellung auf Kulturen, die weniger Wasser benötigen, sowie eine Einschränkung der Grundwasserentnahme.

Wasser aus Ungarn

Dass das Burgenland vor Herausforderungen steht, was das Wassermanagement betrifft, weiß auch Christian Sailer von der Wasserwirtschaft Burgenland. Allein der Wasserstand des Neusiedler Sees (derzeit 1,5 Meter am tiefsten Punkt) und vor allem die Ideen, dessen Austrocknung entgegenzuwirken, sorgen für Diskussionsstoff.

Grund ist die Überlegung, Wasser aus der Moson-Donau, einem Altarm der Donau in Ungarn, in den Naturraum Neusiedler See und Seewinkel fließen zu lassen. Damit soll der Grundwasserkörper gespeist und die landwirtschaftliche Beregnung geregelt werden. In weiterer Folge könne auch der Wasserstand des Neusiedler Sees angehoben werden, so Sailer.

Auf ungarischer Seite bestehe bereits eine neun Kilometer lange Ausleitung. Geplant sei, diesen Kanal um zwölf Kilometer bis zur österreichischen Grenze zu verlängern. Erst diese Woche hatte Sailer Verhandlungsgespräche mit ungarischen Verantwortlichen. Ein Ausschreibungsverfahren in Ungarn laufe bereits.

Was die bisherige Kostenschätzung betrifft, liege der burgenländische Anteil bei drei Millionen Euro, also einem Drittel des Gesamtbetrags. Genaue Ergebnisse werden im Herbst erwartet. "Wird die Finanzierung im Herbst fixiert, kann der Bau 2022 beginnen. Frühestens 2024 hätten wir dann das Wasser im Seewinkel." Zu den Kosten des Wasserverteilsystems im Burgenland sagt Sailer lediglich, dass es "sehr viel kosten" werde.

Während Naturschützer wie Bernhard Kohler vom WWF die Pläne im Seewinkel mit dem einen oder anderen Änderungsvorschlag durchaus befürworten, kritisiert er einen Donau-Zufluss in den Neusiedler See aufs Schärfste. "Wir machen den See kaputt. Das Donauwasser hat eine andere Zusammensetzung. Das würde zu unabsehbaren ökologischen Folgen führen." Diskussionen mit der Wasserwirtschaft seien im Gange, und auch Sailer weiß: "Einfach wird es nicht." (Julia Beirer, 29.8.2021)