Hat beim Klimaticket Druck von zwei Seiten: Niederösterreichs Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko.

Foto: Gerald Lechner / www.fotografundfee

Seit sie den Start des Klimatickets für alle Öffis in Österreich auf 26. Oktober vorverlegt hat, herrscht Eiszeit zwischen der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler auf der einen und schwarzen und roten Ländern der Ostregion auf der anderen Seite. ÖVP-Landespolitiker Ludwig Schleritzko erklärt im Gespräch mit dem STANDARD, wo er die Probleme sieht.

STANDARD: Woran spießt es sich beim Klimaticket. Geht es nur um Pfründe, Macht und Geld im Verkehrsverbund-Ostregion (VOR)?

Ludwig Schleritzko: Ziel ist der Start zum Fahrplanwechsel im Dezember. Klar ist auch: Wir im VOR werden gemeinsam abschließen. Kein Bundesland wird vorpreschen. Das letzte, was wir wollen, egal ob Wien, Niederösterreich oder Burgenland, ist, dass der Verkehrsverbund-Ostregion auseinanderbricht. Wir haben uns aneinander gebunden, wenngleich jedes der drei Länder unterschiedlich weit ist in den Verhandlungen. Wir in Niederösterreich sind relativ weit, oder besser gesagt, wir waren relativ weit bis Mittwoch der Vorwoche.

STANDARD: Was ist seither anders?

Schleritzko: Wir haben gute Gespräche geführt und Grundlagen erarbeitet. Da kam das neue Klimaticket und die Early-Bird-Aktion. Mit diesem Einstiegsrabatt von 150 Euro auf 949 Euro passen unsere Finanzierungsmodelle, die wir hinterlegt hatten, nicht mehr. Wir müssen daher neu rechnen. Aber klar ist: Wenn man den Sack zumacht, machen wir den Sack gemeinsam zu. Eine Einführung des Tickets im Dezember ist für uns realistisch.

STANDARD: Wann haben Sie vom Start am Nationalfeiertag erfahren?

Schleritzko: Zwei Stunden vor der Pressekonferenz in Oberösterreich.

Will mehr Geld vom Bund, wenn viele Fahrgäste zum Bundesticket abwandern.
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STANDARD: Abschließen muss jedes Bundesland einzeln?

Schleritzko: Ja, es wird eine Art Memorandum of Understanding mit den einzelnen Bundesländern geben. Abgewickelt wird es dann gemeinsam über den VOR.

STANDARD: Vom Wahlkampfschlager 1-2-3-Ticket ist nicht viel übrig, die Zweierstufe um 730 Euro gibt es nirgends und die Netzkarte um 365-Euro nur in den Städten ...

Schleritzko: Es stimmt: Von 1-2-3 kann keine Rede mehr sein. Es ist keine einfache Situation für uns, ich bin auch Finanzlandesrat und muss mit einem finanziell annehmbaren Ergebnis rauskommen.

STANDARD: Einspruch, Sie wollen einen Finanzausgleich durch die Hintertür, zusätzlich Geld herausverhandeln. Wird die angekündigte "Revolution im Öffi-Verkehr" eine Dauersubvention des Bundes oder wird der Run auf die Netzkarte so viele Mehreinnahmen bringen, das sich die massive Preissenkung egalisiert?

Schleritzko: Das kann wahrscheinlich niemand so genau sagen. Ich bin bei Finanziellem eher Pessimist, das muss man als Finanzer wahrscheinlich sein. Meine Befürchtung ist, dass man sich auf Bundesseite irgendwann wieder davon verabschiedet und zurückkommt zum Ursprung: Nah- und Regionalverkehr ist verfassungsmäßig Ländersache. Dann wird vielleicht versucht, das Finanzielle im Finanzausgleich nach dem Motto "Das habt‘s eine Summe X" zu lösen. Es kann dann aber auch passieren, dass das Mobilitätsthema nicht zufriedenstellend gelöst wird. Wir sitzen dann auf den hohen Kosten für das günstige Ticket, nicht der Bund. Ich befürchte, dass das eine typische Anschubfinanzierung ist und nach ein paar Jahren geht dem Bund das Geld aus – und dann haben wir die Kosten, weil sich niemand den Preis zu erhöhen getraut. Als Beispiel: Um die Inflation valorisiert würde die Wiener Netzkarte heute 545 Euro kosten, nicht 365 Euro.

"Brauchen keinen sybolischen Preis"

STANDARD: Selbst Bundesländer, die jetzt an Bord sind beim Klimaticket, fürchten, dass in einigen Jahren Verkehrsverbindungen reduziert werden müssen, weil das Geld fehlen wird. Teilen Sie diese Befürchtung?

Schleritzko: Deshalb waren günstige Tickets nie unsere Priorität. Weil wir davon ausgehen, dass nicht das günstige Ticket die Menschen in den öffentlichen Verkehr bringt, sondern primär ein gutes Angebot, gute Taktung, gute Services. Angebot schafft Nachfrage, dann steigen die Leute um auf den öffentlichen Verkehr. Dafür braucht es keinen symbolischen Preis. Die Gefahr ist, dass mit dem günstigen Ticket Geld für das bessere Angebot fehlt.

STANDARD: Das Klimaticket bringt aber doch Einnahmen. Die 100.000 Kunden, die Ministerin Leonore Gewessler als Zielwert im ersten Schritt genannt hat, sind gemessen an der Bevölkerungszahl wohl tiefgestapelt, sie bringen aber 95 Millionen Euro. Wer bekommt dieses Geld und wie viele Kunden erwarten Sie im VOR?

Schleritzko: Unsere Experten rechnen mit 70.000 bis 80.000 Klimatickets allein in der Ostregion. Was die Erlöse, die ja zusätzlich zu den im Budget bereitgestellten Summen erwirtschafteten werden, betrifft: Das ist die Frage, wie diese eingesetzt werden. Darauf haben wir noch keine Antwort bekommen.

STANDARD: Sie haben noch andere Baustellen mit der Verkehrsministerin, Autobahnen wie S8, S34 und S1 mit dem Lobautunnel. Warum reiten Sie mit der Marchfeldschnellstraße ein totes Pferd? Die S8 ist in dieser Form nicht genehmigungsfähig ...

Schleritzko: Sie meinen den Triel. Wegen des Vogelschutzgebietes sei die S8 nicht genehmigungsfähig?

Link nach Bratislava

STANDARD: Nicht nur. Die S8 ist die teuerste Variante. Der Bund zahlt, Sie ersparen sich Ortsumfahrungen, aber es muss keine Autobahn sein ...

Schleritzko: Aus unserer Sicht ist die S8-Trasse die einzige Möglichkeit einer Straßenverbindung nach Bratislava. Das hat auch die Strategische Prüfung ergeben. Deshalb wurde die S 8 in das Bundesstraßen-Gesetz aufgenommen und zu einer Asfinag-Strecke. Die prognostizierten Verkehrsmengen liegen bei mehr als 30.000 Fahrzeugen pro Tag.

STANDARD: Aber es gibt keine Brücke über die March, keinen Anschluss in der Slowakei – oder wollen Sie mit einer Fähre übersetzen wie in Hohenau?

Schleritzko: (lacht) Im Ostabschnitt der S8 müsste es dann eine geben, das ist richtig. Wir reden jetzt aber vom ersten Abschnitt. Ich würde nicht sagen, dass die S8 ein totes Pferd ist. Wir halten die derzeitige Trasse für die beste Variante. Es gibt keine Alternative, wie etwa großräumige Umfahrungen mit der B8 – wie soll das gehen? Der Triel wird auch dort aufstehen, und der Verkehr näher an andere Ortschaften rücken.

Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko (rechts) kämpft mit VOR-Geschäftsführer Wolfgang Schroll für den Erhalt des Verkehrsverbund-Ostregion.
Foto: HO / VOR / Josef Bollwein

STANDARD: Mit der Autobahn bekäme vielleicht der bis heute leer stehende Ecoplus-Gewerbepark Marchegg eine Zukunftschance. Aber es werden neue Gewerbeparks an Autobahnen kommen und noch mehr Verkehr ...

Schleritzko: Zurzeit werden aufgrund fehlender Straßenverbindungen Betriebsansiedlungen verhindert und die Menschen, die hier leben, erst recht zum Pendeln gezwungen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

STANDARD: Anderseits zieht die S1 Kaufkraft ab von Wien. Profiteur des Regionenrings ist Niederösterreich. Eine halbe Stunde oder mehr mit Schnellbahn oder Bus zu fahren, das ist doch zumutbar, das ist ja innerhalb von Wien auch notwendig?

Schleritzko: Es ist schon so, dass die S1 für Wien mit der Seestadt und der Stadtstraße ebenso wichtig ist.

STANDARD: Einspruch, auch dort wurden lokale Projekte mit der Autobahn junktimiert – sachlich und verkehrswirtschaftlich fragwürdig. Aber Sie haben mit der S34 noch ein Projekt, bei dem Pendler von der Schiene auf die Straße gelockt werden – wie bei der Nordautobahn A5 ...

Schleritzko: Na ja, die Nordwestbahn Richtung Retz, die Laaer Ostbahn oder die Nordbahn sind sehr gut gefüllt und es braucht hier sogar Ausbauten. Aber zur S34, ein großes Thema in Sankt Pölten: Die Mobilitätsplanung der Stadt baut auf der S34 auf, um den Individualverkehr aus der Stadt rauszubringen. Es fehlt etwa auf der Mariazeller Straße an Kapazität für Busspuren. Alles wird für den Autoverkehr gebraucht. Die S34 ist eine Entlastungsstraße für die Stadt mit Industriebetrieben im Süden.

STANDARD: Wenn Sie wählen müssten: S8, S34 oder S1 – welches Projekt würden Sie nehmen?

Schleritzko: Alle drei sind wichtig. Da gibt es keine Priorisierung. Bei der S8 lösen wir Probleme der ganzen Region Gänserndorf, Marchfeld mit 60.000 Anrainern und bei der S34 entlasten wir die Landeshauptstadt, ziehen den Durchzugs- und Schwerverkehr aus der Stadt raus.

STANDARD: Klimaschutz ist oft nicht immer mehrheitsfähig. Wie wollen Sie die Klimaschutzziele in Niederösterreich erreichen?

Schleritzko: Straße und Öffis schließen sich nicht aus – 40 Prozent des Öffi-Verkehrs in Niederösterreich finden auf der Straße statt. Wir werden etwa in Sankt Pölten keinen leistungsfähigen öffentlichen Verkehr in der Stadt zusammenbringen ohne S34. Und: Attraktive Öffis brauchen wir überall im Land.

STANDARD: Mit der Spurzulegung bei der S22 bei Stockerau für die S5 haben Sie noch ein neuralgisches Projekt, das hängt ja auch bei Gericht?

Schleritzko: Da hat die Asfinag Rechtsmittel eingelegt gegen die von Stockerau erwirkte UVP-Pflicht. Diese wäre kritisch für die Asfinag, denn es wäre jegliche Kapazitätserweiterung bei bestehenden Projekten unmöglich.

STANDARD: Die Erweiterung des Abschnitts Kottingbrunn–Wiener Neustadt auf acht Fahrbahnen ist dann gänzlich unrealistisch?

Schleritzko: (seufzt) Wir werden in den nächsten Jahren im Autobahnbau vieles nicht erleben.

STANDARD: Das heißt, Sie haben das schon abgeschrieben?

Schleritzko: Nein, aber wir müssen darum kämpfen und man wird überall versuchen, Projekte zu torpedieren. Aufgeben tut man einen Brief. Gerade im Süden Wiens haben wir unglaubliche Investitionen in die Bahn nach Niederösterreich geholt. Es gibt im Verkehr jedoch keine alleinseligmachende Wahrheit, wir werden immer einen Mobilitätsmix brauchen für urbane und ländliche Regionen. Wir bieten aber Chancen zum Umstieg: Wir haben mehr Park&Ride-Plätze als alle anderen Bundesländer zusammen und das kostenlos. Wir unterstützen damit jeden Pendler, der in Öffis umsteigt mit 700 Euro pro Jahr.

STANDARD: Mit Tempolimits ließen sich hunderttausende Tonnen CO2 einsparen und die Verkehrssicherheit erhöhen– kein Thema? Tempo 80 auf Landstraße bringt kaum Zeitverlust, kostet aber nichts.

Schleritzko: Diese Diskussion wird zurzeit noch nicht geführt. (Luise Ungerboeck, 28.8.2021)